Heute startet ein neues Format im Abendblatt. Lars Haider trifft regelmäßig bekannte und weniger bekannte Menschen auf ein Getränk ihrer Wahl. Das Gespräch endet automatisch immer dann, wenn das Glas leer ist

Erster Interview-Partner im Hotel Vier Jahreszeiten ist Weinhändler Gerd Rindchen.

Hamburger Abendblatt:

Eigentlich soll die erste Frage bei diesem Format immer lauten: Was trinken Sie? Bei Ihnen können wir verkürzen: Rot oder Weiß?

Gerd Rindchen:

Weiß.

Warum?

Rindchen:

Weil Weißweine anregender sind, den Geist beflügeln und durchgehend am meisten Spaß machen.

Kann man die Weinliebhaber in Weißwein- und Rotweintrinker unterteilen?

Rindchen:

Ja, die meisten haben schon eine klare Präferenz. Es wird immer noch mehr Rot- als Weißwein getrunken. Die Menschen verbinden mit Rotwein gediegene Gemütlichkeit, diese Kamin-Atmosphäre.

Und gesund soll er auch noch sein.

Rindchen:

Dass es heißt, Rotwein sei gut für das Herz, hat uns Weinhändlern natürlich in die Karten gespielt. Außerdem sind die Leute bereit, für einen Rotwein mehr Geld auszugeben als für einen Weißwein.

Bevor wir zu grundsätzlich werden: Für welchen Wein haben Sie sich entschieden und warum?

Rindchen:

Für einen Mosel-Riesling vom Sankt-Urbans-Hof, Jahrgang 2011. Guter Winzer, verlässlicher Jahrgang, guter Preis.

Den gibt es aber nur als Flasche.

Rindchen:

Ist aber besser als die offenen Weine, die auf der Karte stehen.

Das geht ja gut los. Dazu eine Flasche Wasser?

Rindchen:

Unbedingt, und bitte stilles. Kohlensäure verstärkt die Wirkung von säurebetonten Weinen. Ich trinke möglichst immer mindestens genauso viel Wasser wie Wein.

Wie oft trinken Sie überhaupt Wein?

Rindchen:

Jeden Tag, und das meist aus Vergnügen. Es gibt ja auch viele Weinhändler, die das Ganze nur als Geschäft sehen, und 90 Prozent der verkosteten Weine wieder ausspucken - oder nicht ernsthaft probieren.

Das letzte Mal, als wir uns getroffen haben, haben Sie Bier getrunken. Was war da los?

Rindchen:

Das war alkoholfreies Bier und in einer Phase, in der ich zweieinhalb Wochen ganz auf Alkohol verzichtet habe.

(Der Wein kommt)

Zum Wohl. Sie wissen, dass das Gespräch zu Ende ist, wenn Sie den letzten Schluck genommen haben?

Rindchen:

Keine Angst, ich trinke nicht besonders schnell.

Und: Zufrieden mit der Wahl?

Rindchen:

Der Wein schmeckt exakt so, wie ich es erwartet habe. Eine ganz feine Süße, im oberen Bereich trocken, schön eingebundene Säure.

Da ist sie wieder, die ziemlich spezielle Sprache der Weinhändler und Winzer.

Rindchen:

Viele meiner Kollegen neigen dazu, die Menschen durch ihre Sprache auszugrenzen. Ich versuche das Gegenteil, ich will den Weingenuss demokratisieren. (Er trinkt einen Schluck). Und: Habe ich den gut ausgesucht?

Sehr gut.

Rindchen:

Da ist diese ganz feine Mineralität drin. Das macht den Wein so schön spannungsreich.

Was heißt bitte feine Mineralität?

Rindchen:

Als ob Sie an einem Stein lecken. Stellen Sie sich vor, ein Stein ist in der Sonne warm geworden, er riecht so typisch, und Sie lecken einmal kurz daran.

Ich möchte eigentlich gar nicht an einem Stein lecken. Allein schon die Vorstellung ...

Rindchen:

An einem Schieferstein zu lecken, das ist doch was Schönes. An der Mosel, es ist ein wunderbar sonniger Tag, die Schieferplatten haben sich den ganzen Tag aufgewärmt. Verstehen Sie?

Na ja. (Pause). Sie haben recht, das stille Mineralwasser passt besser zu einem Weißwein als eines mit Kohlensäure. (Erneute Pause). Umgerechnet auf ein Glas würde unser Riesling gut zehn Euro kosten. Die Deutschen geben aber pro Flasche nur 2,36 Euro aus. Was sagt das über uns?

Rindchen:

Wir sind keine Genießer, leider. Wir geben ja auch nur zehn Prozent unseres verfügbaren Einkommens für Lebensmittel aus, die Franzosen das Doppelte. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. (lacht)

Wie ist denn ein Wein für 2,36 Euro?

Rindchen:

Der kann schon eine solide Standardqualität liefern. Ich unterteile die Weinwelt in den industriellen und den Manufaktur-Bereich. Die industrielle Weinwelt ist dafür da, Wein als konventionelles Konsumprodukt zu liefern. Nicht gesundheitsschädlich, aber langweilig. Auf der anderen Seite stehen die Winzer, die Weine mit einer Handschrift und einer Identität erzeugen. Beide Segmente haben ja eine Berechtigung, weil sich nicht jeder einen Wein für zehn Euro leisten kann.

Oder für 35 Euro.

Rindchen:

Ich habe extra einen günstigen genommen, um Ihren Redaktionsetat nicht zu stark zu belasten. Das war der zweitbilligste Wein auf der Karte!

Sehr aufmerksam. Wein ist ja nach wie vor auch Alkohol, übrigens mit gar nicht so wenigen Prozenten ...

Rindchen:

Stimmt.

... und trotzdem ist er nicht ansatzweise so geächtet wie andere alkoholische Getränke. Wie hat er das geschafft?

Rindchen:

Wein ist ein kulturell besetztes Getränk. Es gibt doch kein Segment, das über die Jahrhunderte so verfeinert und individualisiert worden ist. Die Weine aus dem Manufaktur-Bereich schaffen es, die Persönlichkeit des Winzers, den Boden, auf dem sie gewachsen sind und die Rebsorte widerzuspiegeln, das ist doch faszinierend. Darüber kann ich mich jeden Tag freuen, genauso wie über die Traditionen und Geschichten, von denen Weine erzählen. Ich habe heute wirklich den richtigen Wein ausgesucht. (Trinkt einen Schluck).

Sie haben auch nach dem Jahrgang ausgesucht. Welche Jahrgänge können Sie empfehlen?

Rindchen:

2010 war ein schwieriger Jahrgang. 2011 war ein sogenannter neidischer Jahrgang, es gab sehr gute, aber eben auch sehr grenzwertige Weine. 2012 war dann wieder ein wirklich gutes Jahr. Was Deutschland an Weißweinen aus 2012 bekommt, darauf kann man sich freuen. Das knüpft an die sehr guten Jahre 2005 und 2009 an.

Darf man einen Wein einfach nach dem Etikett beziehungsweise der Flasche aussuchen?

Rindchen:

Nein. Ich weiß, dass vielen Menschen nichts anderes übrig bleibt, weil man in den meisten Supermärkten ja nicht probieren kann. Aber die Gestaltung der Flasche sagt oft mehr über die Marketingfähigkeiten des Anbieters aus als über die Qualität des Weines.

Ich liebe eher süßere Weißweine. Haben Sie einen Tipp?

Rindchen:

Ein Riesling müsste es sein, zum Beispiel von Markus Molitor.

Riesling ist sowieso wieder richtig angesagt. Warum?

Rindchen:

Ein guter Riesling enthält relativ wenig Alkohol, hat eine geschmackliche Brillanz und etwas Animierendes. (Trinkt einen Schluck) Der wird nicht langweilig. (Trinkt das Glas aus).

Schade, schon vorbei. Vielleicht hätten Sie doch lieber ein Hefenweizen nehmen sollen ...