Unter welchen Strapazen sie gefangen werden, sieht man den schmackhaften Fischen später auf dem Teller nicht an.

Eigentlich wollte Lothar Buckow zunächst keine Reporter mitnehmen. Nicht bei diesem Wetter! Zu gefährlich, sagt er und lässt sich dann doch überreden: Scharfer, kalter Ostwind steht gegen den Flutstrom der Elbe, steile Wellen mit weißem Kamm wirft er auf. Gischt fegt über das offene Beiboot, und es schaukelt wirklich heftig, als Buckow es längsseits zu seinem Kutter "Elise" bringt. Es platscht, es pfeift, es knallt, als die Rümpfe im Seegang zusammenstoßen. "Jetzt aussteigen, einer nach dem anderen", ruft er.

Die "Elise" hängt hier zwischen Neßsand und Hahnöfersand Tag und Nacht an einem dicken Anker. Nur mit dem kleinen Boot ist sie zu erreichen. Jetzt, in dieser Jahreszeit, halten sich die Stinte in diesem Nebenarm gerne auf, weiß Fischer Buckow. Februar - das ist für ihn Hochsaison. Wenn die Hamburger Restaurants in diesen Tagen wieder mit der norddeutschen Delikatesse "Stint satt" werben, sind Buckow und sein Decksmann draußen, um den Nachschub aus dem Strom zu holen. Schweres Ölzeug haben sie an, dicke Pullover, dichte Handschuhe, Mützen mit Ohrenklappen gegen den schneidenden Wind. Den Reportern schlottern in dünnen Jeans die Beine. Stintfang - das ist ein eisiges Geschäft, ein Knochenjob.

Kaum vorstellbar diese Mühen, wenn diese kleinen, lachsartigen Fische paniert, goldbraun in der Pfanne brutzeln und der würzige Duft in die Nase steigt. Im 19. Jahrhundert war dieser Fisch eine Arme-Leute-Speise, gefangen wurde vom Strand aus mit Waschkörben. Stintfang - der Name der Hamburger Jugendherberge erinnert noch an diese Zeit, als man die massenhaft gefischten Stinte sogar an Hühner verfüttert oder gar zum Düngen genutzt hat. Später jedoch, mit zunehmender Wasserverschmutzung, spielten Stinte und Elbfische kaum eine Rolle mehr auf den Speiseplänen. Erst seit sich der Fluss in den 1990er-Jahren erholte, Fische wieder unbedenklich gegessen werden konnten, wurde der Stint zum begehrten Saisonprodukt. So wie Grünkohl oder Spargel ist er eine regionale Besonderheit, die daher wohl auch so begehrt ist. Tiefgekühlte Erdbeeren bekommt man mittlerweile jederzeit - Stint eben nur im Winter und Frühjahr.

Es ist jetzt kurz vor Hochwasser. Für Elbfischer Buckow das Signal, mit dem ersten Hiev zu beginnen. Er startet den alten Diesel des Kutters, der Strom für die Winden liefert. An hohen Masten hat die "Elise" zwei etwa sieben mal zehn Meter große Netze hängen, in die der Fisch mit dem Flutstrom getrieben wird. Erst Backbord, dann Steuerbord, so ist die Reihenfolge. Buckow muss dabei auf den Wind achten, damit der Kutter nicht in die Stahlseile und Netze getrieben wird. Mit dem Beiboot zieht er sich am Tampen durch die Wellen, packt die schon vereisten Netze, knotet Tampen daran. Dann taucht das erste Netz auf, silbrig schimmern die knapp 20 Zentimeter langen Stinte darin. Jetzt geht alles schnell. Fischer und Decksmann schütten den Fisch in Kisten, ein wildes Gezappel darin. "Das ist eine Sache von fünf Minuten, dann ist es vorbei", sagt Buckow, der schon das nächste Netz mit der Winde verbindet. Anschließend werden die Netze aus dem Wasser genommen, damit sie sich nicht im Eisgang verheddern. Neulich nachts wäre der Kutter fast umgekippt, als ein Netz sich so verkeilt hatte. Die beiden Männer hatten in der Kajüte, die eher an eine Hundehütte erinnert, auf den Pritschen zwischen Ersatzteilen geschlafen und durch das laute Knirschen die Gefahr rechtzeitig bemerkt. Jetzt im Winter fischen sie bei jedem Hochwasser, und bei jedem Niedrigwasser bringen sie die Netze aus. Rund um die Uhr, die zeitversetzt einsetzenden Tiden kennen da keinen Tarifvertrag. Heute wird um 17 Uhr gefischt, nachts um eins geht es wieder raus. Zwei Stunden Arbeit, sechs Stunden Pause, rund um die Uhr. "Der Tidenkalender ist mein Gebetsbuch", sagt Buckow. Zwischendurch beliefert er den Hamburger Fischgroßhandel und etliche Restaurants, auch sein eigenes in Jork-Wisch.

Bereits im Spätherbst beginnt für ihn der Stintfang. Dann ziehen die Fische von der Nordsee in die Elbe, bleiben aber vor Hamburg und "fressen sich dort dick und rund", wie Buckow sagt. Erst wenn das Wasser im März wieder wärmer wird, wandern sie die Oberelbe hoch, um zu laichen und meist anschließend zu sterben. "Wir mögen den Stint lieber, wenn er wie jetzt schön prall ist", sagt Buckow.

Um die 200 Kilogramm fischt er in diesen kalten Monaten täglich - und fast ausschließlich Stint, der im Winter zu mehr als 90 Prozent die Fischarten in der Unterelbe dominiert. Früher hat Buckow auch vor Glückstadt gefischt, doch Elbvertiefung, die damit verbundene starke Strömung und immer größere Frachter machen diesen Job dort lebensgefährlich, sagt er.

Seit dem 17. Jahrhundert schon ist die Fischerei eine Familientradition bei den Buckows, die ursprünglich aus Pommern stammen. Nach dem Krieg mussten seine Eltern flüchten, der Vater wurde Leuchtturmwächter, fischte nebenbei. So wie sein Sohn Lothar, der zunächst Software-Engineering studierte. Meist fischte er in den 1980er-Jahren allerdings für das Forschungsministerium, weil Elbfisch noch nicht wieder als Speisefisch zugelassen war. Nach der Sandoz-Katastrophe am Rhein lieferte Buckow junior Aale, die im Rhein wieder ausgesetzt wurden. Er war dabei so erfolgreich, dass er eine Art Ausnahmepatent zum Kutterfang bekam, um noch mehr Aale für den damals umgekippten Rhein zu liefern.

Und weil eine Nervenkrankheit an den Fingern die feinmotorische Arbeit am Computer nicht mehr zuließ, wurde aus dem IT-Studenten einer der wenigen Elbfischer. Vier oder fünf mit Vollerwerbsbetrieb gibt es noch. Statt mit Bits und Bytes kämpft Buckow daher nun seit vielen Jahren in der Stintsaison mit Kälte, Wind und Nässe. Doch die harte Arbeit auf dem Fluss, die habe ihn auch fit gehalten, sagt Buckow. Und er habe es nie bereut. "Jeder Tag auf dem Fluss ist anders, nie ist es hier langweilig", sagt der Fischer. Stintfang - das ist für ihn mehr als ein Geschäft, es ist ein Leben mit der Natur.