Anlässlich seines Geburtstags hat Reemtsma erzählt, wie er mit seiner Entführung von 1996 umgeht und was ihm im Leben wichtig ist.

Jan Philipp Reemtsma ist ein fleißiger Autor, der scharfsinnig und anregend über das schreiben kann, was ihn beschäftigt - bevorzugt über literarische Themen, aber ebenso über das gewaltreiche 20. Jahrhundert, den bundesdeutschen Terrorismus oder die Folter im Rechtsstaat. Überraschend ist, dass er im Gespräch über seine Vorlieben ein Buch besonders preist, das nicht recht in die Publikationsliste zu passen scheint, ihm aber größten Spaß gemacht hat: "Mehr als ein Champion", eine Hommage an Muhammad Ali. Reemtsma erzählt, dass seine Begeisterung für den Boxer bis 1964 zurückreicht, als er durch einen Abendblatt-Artikel auf ihn aufmerksam wurde.

Mit dem Ali-Buch, das 2013 überarbeitet neu erscheint, ist Reemtsma noch immer sehr zufrieden - nicht zuletzt wegen fachkundiger Rückmeldung, die ihm Stoff für eine Anekdote lieferte: "Jemand berichtete mir, dass mein Buch ihn gerettet habe, als er bei einem Essen neben Vitali Klitschko gesessen habe. Obwohl er keine Ahnung vom Boxen hat, konnte er dank des Buches darüber reden. Klitschko habe sich mit dem Kompliment verabschiedet, dass es ein Vergnügen war, sich mit jemandem zu unterhalten, der sich so gut mit Boxen auskennt.' Was will man mehr?"

Jan Philipp Reemtsma, der an diesem Montag 60 Jahre alt wird, ist schwer zu fassen. Stifter, Gründer und Vorstand eines sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts, Literaturwissenschaftler, Autor, Honorarkonsul von Slowenien. Eine öffentliche Person, die nicht öffentlich leben wollte, aber lernen musste, diese Rolle anzunehmen und sie im eigenen Sinne zu gestalten.

Mit 26 Jahren wurde er als Erbe zum Mehrheitsgesellschafter des Tabakkonzerns Reemtsma und veräußerte seine Anteile sofort. "Nach dem Abitur stellte sich mir die Frage, ob ich Jura und Volkswirtschaftslehre oder das andere studieren sollte", erzählt Reemtsma. Er entschied sich für "das andere": Germanistik und Philosophie. Die Wahl war nur konsequent, denn Reemtsmas stärkste Prägung war die Literatur. Er hatte die Bibliothek des Vaters erkundet, früh Klassiker gelesen und war auch auf ein Buch gestoßen, das Türen öffnete: ",Der Fremde' von Camus hat mir gezeigt, was Literatur sein kann - ein völlig anderer Blick auf die Welt."

Die Entscheidung, nicht ins Familienunternehmen einzutreten, hat Reemtsma als notwendig empfunden: "Ich war der Meinung, dass der Mehrheitsgesellschafter in einer Personengesellschaft das Unternehmen selbst leiten muss. So etwas geht nicht mit halber Hand. Und ich wollte frei sein für das, was ich tue."

Das war zunächst die Förderung des Autors Arno Schmidt, in dessen schwieriges Werk er sich mit wachsender Bewunderung hineingearbeitet hatte. Reemtsma unterstützte Schmidt mit 350 000 Mark - die Dotierung des Literatur-Nobelpreises, um Schmidt die Arbeit zu erleichtern. Als der Autor kurz danach, 1979, starb, bot Reemtsma der Witwe an, Geld und Zeit zu investieren, um das Werk ihres Mannes "in angemessener Form zu edieren".

Dieses Engagement wurde von Unkundigen als exzentrisches Hobby eines reichen Mannes betrachtet. Als Anmaßung empfanden einige Medien das 1984 von Reemtsma gegründete Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS). Was als Ergänzung des Wissenschaftsbetriebs gedacht war, wurde als linke Herausforderung missverstanden. "Eine Zeitung schrieb, dass ich spinne. Dass ich jetzt das Geld für Blödsinn auf den Kopf hauen würde", erzählt Reemtsma und fügt hinzu: "Die Idee eines Ortes, an dem stattfinden sollte, was anderswo nicht gemacht werden konnte, war wahrscheinlich zu diffus und vielleicht auch naiv." Erst als das Institut ein Haus, Organisationsstrukturen und eine Programmatik bekam, etablierten sich eigenständige Forschungsbereiche, die sich Themen wie der Gewaltgeschichte im 20. Jahrhundert oder Protest und Terrorismus in der Bundesrepublik widmeten.

Mit der Wehrmachtsausstellung provozierte das HIS erbitterte Reaktionen. Die Ausstellung musste überarbeitet werden, weil handwerkliche Fehler nachgewiesen wurden. Am Ende stand aber ein Triumph: "Es ist seither unstrittig, dass die Wehrmacht an allen Verbrechen des NS-Regimes beteiligt war. Das war eine Leistung, so nachhaltig in den öffentlichen Diskurs einzuwirken."

1996 wurde Reemtsma Opfer einer Entführung. Die Familie zahlte ein hohes Lösegeld, er kam einen Monat später frei. Die Täter wurden gefasst. Was sie Reemtsma angetan haben, ist nicht wiedergutzumachen. Ein Versuch der Aufarbeitung ist sein Buch "Im Keller". Reemtsma nahm als Zeuge, Nebenkläger und Beobachter am Prozess gegen die Entführer teil: "Das war eine sehr anstrengende Sache. Ich wollte aber die Möglichkeit haben, mich zu Worte zu melden." Noch heute quälen ihn die Folgen der Gefangenschaft: "Es bedeutet gravierende Einschränkungen zu lernen, mit so etwas zu leben."

Jan Philipp Reemtsma hat sein Leben ändern müssen. "Durch die Entführung war ich eine öffentliche Person geworden und konnte nicht auf den Status quo ante zurück." Er tritt jetzt oft auf - in vielen verschiedenen Funktionen. Für ihn selbst gilt, was er dem HIS zum 25. Geburtstag wünschte: "Dass das Überraschungsmoment erhalten bleibt."