Gute Unterhaltung? Geht nur, wenn man liebt, was man tut. Pianist Joja Wendt spricht viel von der Liebe. Zur Musik, zu seiner Familie.

Der Rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, die Besonderes für diese Stadt leisten, die in Hamburg als Vorbilder gelten. Joja Wendt bekam den Roten Faden von Harald Vogelsang und gibt ihn weiter an Kristin Schwarz-Cranz.

Am Anfang dieser Geschichte steht eine Reise nach New Orleans. Vor der Reise nach New Orleans gab es ein Geständnis. Gegenüber dem Vater, der kein Musiker war, sondern Arzt, und dem Joja Wendt nach dem Abitur eröffnete: Ich möchte Pianist werden. Der Vater schlug vor, nach New Orleans zu fliegen. An diesen Ort, wo ein Leben ohne Jazz zwar denkbar wäre, aber niemals möglich.

Also so etwas wie eine Berufsfindungsreise?

Joja Wendt schüttelt den Kopf. "Nein", sagt er und schaut kurz vor sich auf den Tisch, dann wieder nach oben, er lächelt. "Das würde ich so nicht sagen. Es war die liebevolle Rücksichtnahme eines Vaters auf das, was der Sohn später einmal machen will."

Es kommt nicht häufig vor, dass Künstler über ihre Väter sprechen, über die Liebe, die sie von ihnen bekommen haben. Oft geht es um die Liebe, die gefehlt hat. Große Karrieren sind so entstanden von Menschen, die ein Leben lang dieser Liebe hinterherliefen und glaubten, sie im Erfolg zu finden.

Wenn man Joja Wendt fragt, woher der Ehrgeiz kommt in seinem Leben, dann sagt er, dass er schon immer so war. Als eines von neun Geschwistern, dreimal war sein Vater verheiratet. Als Opfer eines Unfalls, nach dem die Krankenschwester zu ihm sagte: "Pianist werden? Das können Sie sich abschminken." Als einer der erfolgreichsten deutschen Pianisten, entdeckt von Joe Cocker, als der Wendt 1991 in einer Hamburger Kneipe sah. Als Ehemann, Vater von zwei Kindern. Und je länger man dem heute 48-jährigen Joja Wendt an diesem grauen Hamburger Morgen Anfang November gegenübersitzt, desto klarer wird die Erkenntnis: Joja Wendt ist ein glücklicher Mensch.

In seinem Tonstudio in Bahrenfeld malen die Kerzen ein warmes Licht auf die Gesichter. In der Ecke ist eine kleine Küche mit Kaffeemaschine und Kühlschrank. An der Wand laufen noch die alten Pferdetränken entlang, Joja Wendt hat sie gelassen, als er den alten Stall renovieren ließ. Mit Eisen-Uwe und Olli, zwei Nachbarn, deren Familien die ehemalige Kaserne an der Theodorstraße in den 70er-Jahren vor dem Abriss bewahrten.

Solche Geschichten mag Joja Wendt. Massive Holzbalken stützen das Dach, die Wände sind aus rotem Klinker. Vor den wandhohen Fenstern nieselt der Regen.

Es braucht nur ein paar Sätze, um aus einem Pferdestall in Bahrenfeld nach New Orleans zu fliegen. Joja Wendt erzählt viel, und immer baut sich dabei ein kleines Filmset um ihn auf. "Dann sind wir zwei also nach New Orleans, Vater und Sohn, sind durch die Straßen gezogen, durch die Bourbon Street, da spielten die Marching Bands an jeder Ecke, aber wir sind in eine Kneipe, in der nichts los war, nur eine Frau am Klavier, ein Bartender, der seine Gläser poliert." Und da saßen sie dann. Bis Joja Wendt es nicht mehr aushielt. Er fragte die Frau, ob er auch mal ans Klavier dürfe. Sie war einverstanden. "Und dann habe ich gespielt, aber so richtig New Orleans Style, und dann kamen die ersten Touristen rein und haben bestellt, und dann immer mehr, und der Bartender sagte nur ständig zu mir: ,Go ahead', mach weiter!" Der Küchentisch im Pferdestall ist schon längst zum Klavier geworden, und drüben sitzt sein Vater, er bekommt ein Freibier nach dem anderen. Der Bartender fragt ihn: "Your son?" Er nickt. "Amazing!" Joja Wendt weiß das noch sehr gut. Und wie sein Vater und er die Bar verließen und der Vater zu ihm sagte: "Du musst das unbedingt machen."

Im Grunde umfasst diese Szene alles, was Joja Wendt noch heute ist, oder besser: was ihn zu dem gemacht hat. Ein wunderbarer Unterhalter, ein exzellenter Pianist. Der man nur wird, wenn man ernst meint, was man tut. Wenn man es liebt. Doch oft ist die Liebe der Pianisten zu ihrem Instrument eine kranke, sie lässt einen das Kommunizieren verlernen, das ganz normale Zusammensein mit anderen Menschen.

Auch Joja Wendt kennt diesen Tunnel. Er hat in ihm gelebt, als er in New York studierte und seine Tage von 8 bis 2 Uhr nachts gingen, weil er nichts anderes tat, als Klavier zu spielen. "Man wird relativ schnell neurotisch, wenn man sich so viel mit sich selber und dem Instrument beschäftigt", sagt er. "Dieses Scheitern des Spielens, das ist ständig präsent, du lernst etwas, und am nächsten Tag geht es nicht mehr, das Gehirn will ja immer vergessen. Es ist ein ständiger Kampf gegen sich selbst. Der bis aufs Messer geführt wird, wo es nur noch um Nuancen geht. Wo du in einem Moment denkst: Ja, das ist der Ton, so wollte ich ihn formen. Und das nächste Mal kommt er wieder zu schwer, zu leicht. Darum dreht sich irgendwann das ganze Leben. Und dann wird es uferlos."

Joja Wendt konnte kein Eremit werden. Er weiß es selbst, das ist sein großes Glück. Er ist ein Mensch, der gerne andere um sich hat. Er ist immer voller Zuversicht. 26 war er, als in Hamburg ein Auto in seines fuhr. Ein halbes Jahr später sollte er seine erste CD in London aufnehmen. Erst heute sei ihm klar, sagt Joja Wendt, wie sehr seine Karriere damals auf Messers Schneide stand. Dass das ein Wendepunkt hätte sein können. Aber am eigenen Plan zweifeln? Das kam nicht infrage. Mit einem Keyboard auf den Knien übte er schon kurz nach der Operation wieder, eine Hand war ja noch heil. In der anderen hielten zwei Drahtseile die Finger in den Gelenken. "Das war ja alles Matsch hier, wo die Handwurzelknochen sind", sagt er und drückt auf seiner Hand herum und bewegt gleichzeitig die Finger. Und dann sieht man es: die zusammengewachsene Knochenfläche kurz hinter dem Handgelenk. Die Schmerzen von damals hat er bis heute nicht vergessen. Als der Gips abkam, waren die Muskeln in der linken Hand fast verschwunden. "Beim Üben liefen mir die Tränen herunter, so hat das wehgetan." Um wieder Kraft in der Hand zu bekommen, fuhr er an die Ostsee. Um Wasserski zu fahren. "Wasserski", Joja Wendt springt fast auf, "mein Vater - Arzt! - hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Bist du wahnsinnig, sind die Drähte noch drin?, hat er mich gefragt." Sie waren es. Aber die Kraft in der Hand kam langsam zurück. Und im September nahm Joja Wendt seine erste CD in London auf.

Wenn man ihn fragt, wie er als Kind war, dann schweigt er für ein paar Sekunden. Vielleicht weil er weiß, dass er jetzt wieder erklären muss. "Wir waren neun Geschwister, ich war der Drittletzte. Und meine Eltern haben uns so viel Liebe gegeben, da war für jeden immer genug da." Natürlich auch von der Mutter, auch wenn Joja Wendt an diesem Vormittag weniger von ihr spricht. An der Wand neben dem Tisch hängt das Wappen der Familie und daneben ein Schriftstück im Bilderrahmen.

Was Du auch beginnst

Deine Absicht sei gut

Und Rein Dein Wollen

Und Recht Dein Vollbringen

Und selbstlos Dein Ziel stets

So segne Dich Gott und lässet Dir

alles zum Heile gelingen.

Joja Wendts Stimme ist klar, als er die Zeilen liest, viel Stolz liegt darin, und Wärme. Er hat jetzt selbst Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Die er beide sehr liebt. Natürlich.