Hamburg. Warum zieht es Hamburger wieder in Glaubensgemeinschaft, Geburtsland oder die Gesellschaft? Antworten dazu in „Himmel & Elbe“.

„Ich möchte wieder zu euch gehören. Geht das überhaupt?“ Mit dieser Frage stand Xenia Gerresheim Anfang des Jahres im Büro der Kirchengemeinde in Siek. Es war ein spontaner Impuls, dem sie auf einer ihrer Hunderunden durch den Ort folgte. Es ging. Und seit Februar ist sie wieder Mitglied der Evangelisch-Luthe­rischen Kirche. Räumlich ist Xenia Gerresheim schon länger mittendrin. Seit 18 Jahren wohnt sie in Siek, und vor zwei Jahren hat sie Räume in der alten Pastoratsscheune zwischen Kirche und Gemeindehaus angemietet, in der sie heute ihre „Coaching-Scheune“ führt.

Sie mochte diesen Ort schon immer, die riesige Blutbuche vor der Kirche und die Energie, die sie an diesem Ort spürt. Ihr Wunsch, wieder einzutreten, war ausgelöst durch ein Wort: Besonnenheit. Es prangte auf einem großen Banner an der Friedenskirche in Siek mit der Aufschrift „Kraft, Liebe & Besonnenheit“. Worte aus der Bibel, die während der Hochphase der Pandemie an vielen Kirchen zu lesen waren, um die Menschen zu stärken. „Da sah ich mich zugehörig“, erzählt Gerresheim.

Ihr Entschluss hatte auch etwas mit mehr Reflexionsvermögen zu tun, sagt die 54-Jährige. 2017 hat sie sich beruflich neuorientiert, ein langjähriges Angestelltenverhältnis verlassen und sich als Neuro-Coach und Trainerin selbstständig gemacht.

Himmel & Elbe: Als Jugendliche kaum Bezug zur Kirche

„Meine berufliche Beschäftigung mit der menschlichen Psyche hat auch mich besonnener gemacht.“ Gerresheim hatte lange falsche Vorstellungen, „von einer Kirche, die nichts tut und nur den Klingelbeutel aufhält“. Dieses Vorurteil hört sie auch von anderen. „Da wird vieles in einen Topf geschmissen. Diese Ungerechtigkeit beschäftigt mich heute.“

Als Jugendliche und junge Erwachsene hatte Xenia Gerresheim kaum Bezug zur Kirche. Aufgewachsen im Kreis Stormarn, war die Konfirmation ein Ereignis, das einfach dazugehörte. „Da ist man so mitgeschwommen, und am Ende gab es das neue Mofa.“ Mit dem ersten Ausbildungsgehalt Ende der 80er-Jahre trat sie aus der Kirche aus. Religiös geprägt hat sie ihr Großvater, der ihr viele Bibelgeschichten erzählte. Die Gottesdienste und Andachten in der Friedenskirche zu besuchen ist für Xenia Gerresheim wie „offline gehen“. Hier genießt sie Momente der Ruhe. „Mir tut es sehr gut. Freitags in den Friedensgottesdienst zu gehen ist für mich wie meditieren.“

Xenia Gerresheim: "Ich glaube weniger an den einen Gott"

Manchmal stört es sie, dass so viel von Leid, Angst und Schmerz gesprochen wird. Dann wünscht sie sich eine positivere Wortwahl. „Wir können ja nur besonnen sein, wenn wir in unserer Kraft sind.“

Xenia Gerresheim geht es um eine bestimmte Haltung zum Leben. „Ich glaube weniger an den einen Gott, aber an unsere persönlichen Wertesysteme.“ An ihrer Gemeinde mag sie die offene Art der Menschen, dass sich auf Augenhöhe begegnet wird – und die vielen aktiven Jugendlichen. Die Gemeinde Siek ist für sie ein großes Team, zu dem sie nun gehört und in dem sie mitwirken kann.

Wiedereintritt war lange ein Wunsch bei Stjepan Filipovic

Die Frage enger Freunde gab den letzten Anstoß: Ob er Pate werden wolle? Gern hätte Stjepan Filipovic zugesagt, doch die Taufe des Kindes war schon in zwei Wochen und er kein Mitglied der katholischen Kirche mehr. Die Austrittsgeschichte von Stjepan Filipovic ist vielschichtig und der Wiedereintritt mehr als ein bloßer Verwaltungsakt. Nun ging er dem lang aufgeschobenen Wunsch nach.

Der gebürtige Hamburger hatte seine religiöse Heimat in der kroatischsprachigen römisch-katholischen Mission. Eine Gemeinde, deren Mitglieder quer über die Stadt verstreut sind und in zwei unterschiedlichen Kirchen ihre Messe in kroatischer Sprache feiern. In dieser Gemeinde besuchte der Sohn kroatischer Gastarbeiter als Kind jeden Montagnachmittag den katholischen Religionsunterricht. „Das war eine schöne Zeit“, sagt Stjepan Filipovic. „Doch als Erwachsener war ich immer weniger angedockt an die kroatische Gemeinde.“ Anlass auszutreten war vor elf Jahren seine Scheidung. Die war mit den Grundsätzen der kroatischen Gemeinschaft nicht vereinbar, so dachte er. „Im Grunde wollte ich der Exkommunikation zuvorkommen.“

Eine spirituelle Heimat in Langenhorn gefunden

Rückblickend hätte Stjepan Filipovic sich gewünscht, als Kind in die katholische Ortsgemeinde in Langenhorn integriert worden zu sein. Zu dieser gehört er heute. Die Gemeinde Heilige Familie ist seit Januar seine spirituelle Heimat. Er schätzt den Ortspfarrer, der ihn und seine Geschichte verstand und ihm den Wiedereintritt in die katholische Kirche ermöglichte.

Stjepan Filipovic ist wieder in die katholische Kirchengemeinde Heilige Familie in Langenhorn. eingetreten.
Stjepan Filipovic ist wieder in die katholische Kirchengemeinde Heilige Familie in Langenhorn. eingetreten. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES

Die Jahre zuvor war Stjepan Filipovic ein Suchender. Er hat verschiedene christliche Gemeinden besucht und sich viel mit seiner Religion und ihrer Geschichte beschäftigt. An seinem Glauben hatte sein Austritt nichts geändert. „Jesus war immer mein Hirte“, sagt der 38-Jährige. „Ich versuche sein Werk in meinem Alltag umzusetzen.“

Katholische Kirche: Kritische Stimmen im Bekanntenkreis

Nächstenliebe und Gewaltverzicht sind zentrale Werte für ihn. Sein Wiedereintritt vor vier Monaten fiel in eine Zeit, als weitere Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche bekannt wurden. Das machte die Rückkehr nicht leichter, und es gab durchaus kritische Stimmen im Bekanntenkreis. Stjepan Filipovic ist dafür nicht blind und fordert Strafverfolgung.

Der Finanzberater hat einen durchaus kritischen Blick auf die Strukturen der katholischen Kirche. Eine moderne, zeitgemäße Kirche wünscht er sich, in der Homosexualität kein Thema ist und Pfarrer Familie haben dürfen. In seiner Gemeinde in Langenhorn erlebt er eine Kirche, die die Menschen im Stadtteil unterstützt und verbindet.

Er genießt die Sonntagsmesse, die er oft mit seinen beiden Neffen besucht. Die Kommunion, das heilige Abendmahl, an dem er erstmals im Januar wieder teilnahm, war für ihn sehr besonders. Ihm liegt etwas an den Sakramenten – an der Kommunion, an Taufe, Trauung und Beerdigung –, mit denen die Kirche Menschen begleitet. „Das bringt Struktur ins Leben. Das finde ich schön.“ Und wer weiß, Pate wird Filipovic vielleicht auch noch. Denn das nächste Kind der Freundin ist unterwegs.