Hamburg. Weihnachtssterne geben uns in dieser düsteren Zeit Trost und Wärme. Auf den Spuren des Sternenzaubers: im aktuellen Himmel & Elbe.

Der Herrnhuter Stern hat in der dunklen Jahreszeit Strahlkraft. Er regt an zu Fantasien, Betrachtungen und Geschichten:

Die Dunkelheit zieht Gott an. Er gesellt sich zu ihr. Und plötzlich geht ein kleines Licht auf. Für alle im Finstern Verirrten und Umherirrenden, für alle Suchenden, für alle Per­spektiv- und Hoffnungslosen. Dunkelheit und Licht umarmen sich. Auf eine behutsame, liebevolle Art. Das Grelle, Schreiende, Aufdringliche kann Gott natürlich auch. Zornig donnernd, wütend und gewaltig. Er weiß aber, dass es sanftmütig, leise, verständnisvoll und umsichtig besser ankommt. Und so entstehen bei denen, die im Dunkeln wohnen, wohnliche Ecken. Orte, an denen man sich gern aufhält. Wohltuende Gemütlichkeit macht sich breit. Hell, obwohl noch ziemlich dunkel. Verlorengeglaubte sehen wieder, wo sie stehen. Nehmen wahr, was um sie herum geschieht. Man sieht sich wieder gegenseitig in die Augen, in denen sich der Glanz des warmen Lichts spiegelt. Dunkelheit und Licht vermählen sich und bekommen Kinder: Kerzenschein, Transparente, Adventskränze – und Herrnhuter Sterne.

Der Herrnhuter Stern war irgendwann da

In der Literatur über den Herrnhuter Stern wird dessen historische Entstehung allerdings anders beschrieben. Auffallend ist aber, dass in allen geschichtlichen Nachforschungen die Schlussfolgerung zu finden ist, die man so zusammenfassen kann: Dieser Stern war eben irgendwann zu Beginn des 19. Jahrhunderts da. Schriftlich wird ein solcher Stern mit damals 110 Zacken erstmals im Bericht über das 50. Jubiläum des Jungeninternates in Niesky in der Oberlausitz erwähnt. Diese Einrichtung gehörte zum Schulwerk der Herrnhuter Brüdergemeine, einer protestantischen Freikirche, deren Entstehung auf die tschechische Reformation zurückgeht. Und in den Tagebuchaufzeichnungen eines Nieskyer Schülers wird der Erbauer dieses Sterns namentlich erwähnt: Christian Madsen.

In Niesky liegt die Wiege des Herrnhuter Sterns, und von hier aus gelangte er in andere Brüdergemeinsiedlungen. Natürlich auch nach Herrnhut selbst, wo am 1. Advent 1891 der erste Stern für den dortigen Kirchsaal feierlich in Gebrauch genommen wurde. Also in dem Ort in Sachsen, der vor gut 300 Jahren von mährischen Flüchtlingen gegründet wurde und in dem dann die Herrnhuter Brüdergemeine entstand.

25 Zacken sind kundenfreundlicher als 110

Zunächst mag der Stern wohl als anschauliches Objekt für geometrische Formen im Mathematikunterricht gedient haben. Spätestens mit der Verwendung in einem Kirchsaal – zumal im Advent – war aber klar: Dieser Stern hat symbolische Tragkraft. Er weist, wenn man so will, den Weg zur Krippe und begleitet Gedanken, die auf das Weihnachtsfest gerichtet sind, mit freundlichem Schein.

Dass er in der heute gängigen Ausführung 25 Zacken hat, würde sogar einen Hinweis auf den ersten Weihnachtsfeiertag zulassen. Nüchtern betrachtet ist der 25-Zacken-Stern einfach kundenfreundlicher als das Modell mit 110 Zacken.

Sternemanufaktur wird Touristenmagnet

Und dieser Stern ist so schön! Doch wie kann man diesen Stern möglichst vielen Menschen zugänglich machen, damit man sich weltweit an seinem adventlichen Glanz erfreut? Der Mann, der dann den Anstoß gab, diesen Stern zu vermarkten, war der Herrnhuter Buch-, Kunst-, Musikalien- und Papierhändler Pieter Hendrik Verbeek, der den Stern aus seiner Nieskyer Schulzeit kannte.

Ende des 19. Jahrhunderts verkaufte er erstmals einen Bastelbogen für den Stern, und wenig später vertrieb er auch schon zusammensetzbare Modelle. Bald darauf legte die große Nachfrage die Gründung einer Sternemanufaktur nahe. Und da die Herrnhuter durch emsige Missionsarbeit auf allen Kontinenten aktiv waren, war die weltweite Verbreitung dieses genialen Produkts nur noch eine Frage der Zeit.

Auch in Hamburg gibt es die Herrnhuter Brüdergemeine

Auch im Tor zur Welt, in Hamburg, gibt es deshalb diese Sterne in vielen Häusern und Kirchen. Ebenso findet man die Herrnhuter Brüdergemeine in dieser Stadt in der Heilandskirche auf der Uhlenhorst. Das Geschäft mit dem Herrnhuter Stern nahm aber vor allem in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts, also nach der Wende, richtig Fahrt auf.

Die Sternemanufaktur, im Volksmund „Sternelei“, ist mittlerweile zu einem Unternehmen mit rund 30 Arbeitsplätzen geworden: die Herrnhuter Sterne GmbH. Sie ist Touristenmagnet mit Schauwerkstatt, Besucherzentrum und Entdeckerwelt. Die Farbgebung der 25-zackigen Sterne ist nicht festgelegt. Ursprünglich hatten die Adventssterne überwiegend wohl rote und weiße Zacken. Dabei stand das Rot für die Vergebung Gottes im Blut Christi und das Weiß für die reinlichen Windeln des Heilands. Heute wäre es vielleicht eher verständlich, wenn man Begriffe wie „rot wie die Liebe“ und „weiß, die Lichtfarbe Gottes als Summe aller Farben“ verwendet. Da es sich aber um ein Symbol handelt, sind natürlich allerlei Deutungen zulässig. Und auch andere Farbgebungen.

Dieser Herrnhuter Stern hängt in den Räumen der  Heilandskirche auf der Uhlenhorst
Dieser Herrnhuter Stern hängt in den Räumen der Heilandskirche auf der Uhlenhorst © Stefan Richter | Stefan Richter

Neben der ursprünglichen Form mit Rot und Weiß werden heute in unseren Breiten gelbe, weiße und rote Sterne im Verkauf angeboten. In anderen Gegenden Deutschlands sind eher gemischtfarbige Zacken – rot und weiß, gelb und rot, gelb mit roten Spitzen, gelb mit rotem Kern – gefragt. Seit 2015 tauchen hier und da auch bunte Sterne auf – als Plädoyer für eine vielfarbige Gesellschaft.

Die schöne Leuchte ist wie ein Gleichnis

Ein bunter Herrnhuter Stern könnte aber auch als Gleichnis verstanden werden. Fünf mal fünf Zacken. Fünf Hände voll. Sinnbildlich für zwei bis drei Personen. Eine Gemeinde. Wenn auch eine sehr kleine. Denn schon über zwei oder drei Personen, die im Namen Christi versammelt sind, steht die Verheißung, dass Jesus auch dabei ist. Als Mittelpunkt.

Das Licht in der Mitte des Sterns. Die Zacken sind unterschiedlich. In Farbe und Form. Mit dreieckiger Grundfläche oder mit viereckiger. Auch die Menschen in einer Gemeinde sind nicht uniform. Sondern sie pflegen Vielfalt. Die Gemeinde lässt jeder und jedem ihre oder seine Eigenart. Allerdings halten sie einander gut fest, stützen und tragen sich gegenseitig.

Das Licht Gottes strahlt aus der Mitte

Erleuchtet und durchleuchtet werden die Strahlen vom Licht aus der Mitte. Das Licht Gottes. Der Stern ist ein stabiles Gebilde. Aber auch robuste Außensterne können nicht jedem Sturm standhalten. Durchaus möglich, dass die Befestigung reißt, eine Zacke an einen Ast oder gegen eine Mauer schlägt.

Eine Gemeinde ist eine verletzliche Größe. Und damit ihrem Gott ganz ähnlich. Schäden und Verwundungen aber sind heilbar. Oder man lernt, mit ihnen zu leben. In der Mitte des Sterns das Licht Gottes. Liebevoll und unaufdringlich leuchtet es in das Dunkel der Nacht.

Der Autor ist Pastor i. R. der Herrnhuter Brüdergemeine in Hamburg.