Hamburg. Wie füllt man leere Tage, wenn man wegen Corona-Krise oder Ruhestand viel Freizeit hat? Kirchliche Angebote im neuen Himmel & Elbe.

„Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm!“, ein Satz aus einem meiner Kindergebete. Mittlerweile füge ich leise zu: „Aber noch nicht so schnell, lieber Gott!“ Manchmal denke ich dann auch wieder: Warum eigentlich nicht flink zu Gott? Hier habe ich doch alles erledigt: Ich habe drei Kinder ins Leben begleitet, hatte den wunderbaren Beruf einer Radiopastorin, brauchte nie einen Ernährer, habe meine Eltern aus dem Leben begleitet – die Enkel werden auch ohne mich groß, also warum nicht zurück zu Gott? Weil es hier so schön ist?

Seit neun Jahren bin ich im Ruhestand, und so toll ist es ehrlich gesagt nicht. Die wesentlichen Termine, die ich habe, sind mittlerweile Arzttermine, auch nicht so erfüllend. Der Spruch „Toll, wenn man nicht mehr arbeiten muss, da kann man machen, was man will!“ – dieser Spruch stimmt für mich nicht.

Ich habe sehr gerne gearbeitet. Das tue ich nun nicht mehr, also kann ich nicht machen, was ich will. Vor Corona habe ich ab und zu Vertretungen in Kirchengemeinden gemacht. Das hat mich sehr erfüllt: Bibeltexte und unsere Welt in der Predigt zusammenbringen, Gemeindemitglieder kennenlernen, ältere Menschen zu Geburtstagen besuchen und von ihrem Leben hören. Das habe ich gern gemacht.

Yogakurse und Chorsingen waren nur anfangs spannend

Anfangs habe ich Fotokurse und Yoga bei der Volkshochschule besucht, habe im Chor gesungen und bin viel Rad gefahren. Heute ist nicht so richtig viel los mit mir in meinem Ruhestand. Trotzdem möchte ich gerne noch bleiben. Die Mutter meines Vaters, die kleine Oma, die schwärmte geradezu von der himmlischen Heimat! „Ach wären wir doch schon da!“ Aber die kleine Oma hatte auch nicht so ein gutes Leben: von Karelien – das ist da oben zwischen Finnland und Russland –, also von da nach Ostpreußen, von da einen Auswanderungsversuch nach Brasilien mit dem Schiff. In Brasilien bekam sie so ein schlimmes Heimweh, dass sie sofort nach Ostpreußen zurückgefahren ist.

Als sehr junge Frau mit vier Kindern ist sie verwitwet und später mit einem Nachzügler aus zweiter Ehe nach Schleswig-Holstein geflüchtet. Dort haben sie ein Zimmer bei einem Bauern bekommen, die kleine Oma musste im Tabak arbeiten. Gegen Ende ihres Lebens ist sie zu meinen Eltern gezogen.

Restaurantleiter Sven Just-Rössing entdeckte während der Zwangs-Pause durch Corona das Stricken für sich als schöne Ablenkung
Restaurantleiter Sven Just-Rössing entdeckte während der Zwangs-Pause durch Corona das Stricken für sich als schöne Ablenkung © Roland Magunia/Funke Foto Services | Roland Magunia

Verglichen mit dem Leben meiner Oma ist mein Leben ein Luxusdasein: kein Krieg, keine Flucht, kein Hunger, keine echte Not. Leicht war auch nicht alles. Ab und zu klöne ich mit meiner älteren Schwester über das Leben im Alter und darüber, dass mir das nicht so gut gefällt. Da schrieb sie mir neulich: „Du hast so viel schon bewältigen müssen in Deinem Leben, musstest immer die Starke sein, schon von Berufs wegen.“ Das fand ich sehr liebevoll, mitfühlend.

Was mache ich eigentlich den ganzen Tag?

Im Mai wurde Senta Berger 80. Da gab es natürlich einige Interviews mit ihr. Eine Frage war: „Haben Sie ein Problem, über das Alter zu reden?“ Ihre Antwort: „Ich habe kein Problem, über mein Alter zu reden, aber ich habe ein Problem damit, es zu sein.“ Dem kann ich zustimmen!

„Und was machst du so den ganzen Tag?“, das werde ich häufig gefragt, und das frage ich mich auch! Ich schlafe lange, dann frühstücke ich und lese lange zwei Zeitungen. Manchmal gehe ich einkaufen. Manchmal ein kleines Mittagsschläfchen. Hin und wieder verschlinge ich ein Buch. Jetzt im Sommer im Garten, sonst auf dem Sofa oder am Küchentisch. Lesen – einfach nur so!! Darauf hatte ich mich eigentlich gefreut: im Ruhestand lesen, nicht als Vorbereitung auf ein Interview oder auf eine Sendung – einfach so. Aber inzwischen wünsche ich mir, mit anderen meine schlauen Gedanken oder spannende Fragen wieder zu teilen!

Der Blick zurück, macht das Altwerden schwer

Mir ist beim Zurückschauen Lots Frau eingefallen, eine Figur aus der Bibel. Lot und seine Familie werden aus Sodom und Gomorrha gerettet, die Städte versinken im Ascheregen. Gott will Lot und seine Familie retten. Die einzige Bedingung für die Rettung: „Dreht euch nicht um!“ Das schärft Gott ihnen ein. „Schaut nicht zurück!“ Lots Frau kann sich nicht bezähmen: Sie dreht sich um und erstarrt zur Salzsäule. Sie wird nicht gerettet, kann kein neues Leben in einer neuen Stadt beginnen.

Hubert Neubacher, Chef von Barkassen Meyer, wurde mit Joggen und Krafttraining in der Natur fitter und selbstbewusster als davor
Hubert Neubacher, Chef von Barkassen Meyer, wurde mit Joggen und Krafttraining in der Natur fitter und selbstbewusster als davor © Hubert Neubacher | Hubert Neubacher

Ist es das, was das Altwerden so schwer macht? Der stetige Blick zurück? Auf die Zeit, als die Kinder noch klein waren, die Liebe noch jung war, der Körper noch fit gewesen ist. Wenn man jung ist, sehnt man sich nach Neuem: eine eigene Wohnung, ein toller Beruf, die große Liebe – oder auch mehrere –, vielleicht eine Familie.

Aber ein wenig Verweilen ist doch schön

Veränderungen sind meist gewollt und gewünscht und freie Zeit zu wenig. Ich glaube nicht, dass ein zehnjähriger Mensch sich voller Wehmut an den ersten Schultag erinnert. Diese wehmütige Erinnerung setzt wohl erst ein, wenn nicht mehr so viel vor einem liegt. Dann ist die Gefahr groß, so wie Lots Frau sich umzudrehen – und zu erstarren.

Zurück zu meiner Oma. Ich weiß natürlich nicht, worüber sie mit Freundinnen so gesprochen hat, ich weiß aber, wonach sich meine Oma gesehnt hat: „… dass ich meinen Jesus sehe!“

Also nicht den Blick zurückwerfen, sondern nach vorne schauen. „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm! – Aber noch nicht so schnell!“