Sie liegt direkt an der Elbe. Zwischen der alten St.-Pauli-Fischmarkthalle und dem neuen Kreuzfahrtterminal Cruise Center Altona. Die Deutsche Seemannsmission Hamburg-Altona e. V. ist ein Club und ein Hotel, untergebracht in einem roten Backsteingebäude. 36 Gästezimmer hat sie, fast alle mit Blick auf alte und neue Hafenkräne am Wasser. In dem Haus können gelegentlich auch Touristen unterkommen. Doch vorrangig sind es die Crewmitglieder von Schiffen aus aller Welt, die hier sozusagen vor Anker gehen, manche nur für ein paar Stunden, andere für eine Nacht, selten auch mal länger.
Die Seeleute kommen von überall her. „Zu rund 60 Prozent von den Philippinen, aber auch aus Polen oder der Ukraine. Und es wächst die Zahl der Arbeitskräfte aus den arabischen Emiraten, Indien und Bangladesch. Sie sind meist auf den Handelsschiffen unter Vertrag. Auf den Kreuzfahrtschiffen arbeiten besonders im Service viele Indonesier“, sagt Diakon Fiete Sturm, der Leiter des Hauses in Altona. Nur die Offizierspositionen seien meist von Europäern besetzt. Die Seeleute werden häufig eingeflogen, „wer in Hamburg landet und hier erst am nächsten Tag an Bord geht oder wer vom Schiff kommt und am nächsten Tag nach Hause fliegt, kann bei uns günstig übernachten“, erzählt der 36 Jahre alte Diakon. Viel Zeit zum Aufenthalt bleibt jedoch nicht. „Die moderne Seefahrt ist heutzutage ein Just-in-Time-Geschäft. Das bedeutet rasche Ladung und kurze Liegezeiten im Hafen. Die Betten bucht meist die Reederei.“
Die Seemannsmission ist eine soziale Einrichtung der evangelischen Kirche und mehr als nur eine Übernachtungsstätte. Im Empfangsbereich des Hauses mit bunten Flaggen und englischsprachigen Zeitungen weist gleich neben der Rezeption ein Schild auf den Internationalen Seemanns-Club hin. Der liegt ein Stockwerk tiefer.
Im Clubraum hat Andrej (43) aus der Ukraine gerade zu Mittag gegessen. Er wirkt etwas gestresst. Am Morgen ist er mit dem Flugzeug in Hamburg angekommen, hat sich bei seiner Reederei gemeldet, um seine Papiere zu holen. Er ruht sich später in seinem Zimmer noch etwas aus, denn am Abend fliegt er weiter nach Brasilien, wo er aufs Schiff geht. Er sei leitender Ingenieur auf einem Handelsschiff und fahre schon seit 22 Jahren zur See, jetzt wird er zwischen Brasilien, Panama und den USA unterwegs sein, erzählt er auf Englisch. „Have a save journey“, wünscht ihm Fiete Sturm nach einer kurzen Unterhaltung.
Zuhören und Reden sind mit die wichtigsten Arbeitsmittel von Fiete Sturm. Sowohl in der Seemannsmission als auch bei seinen Besuchen auf Schiffen, die gerade im Hafen liegen und die die Seeleute aus Zeitknappheit nicht verlassen können. „Es müssen nicht immer die tiefsinnigen Gespräche sein, wir bringen Telefonkarten mit, meist geht es erst mal um solche einfachen Dinge“, sagt Sturm.
Seeleute stehen heute permanent unter Druck. „Ihre Verträge gehen meist neun Monate am Stück mit einer 80-Stunden-Woche, das heißt neun Monate lang weg von der Familie und mit wenigen Ausnahmen ununterbrochen an Bord“, weiß der Diakon. Die Arbeit ist körperlich anstrengend, das Gefühl der Einsamkeit auf den Schiffen verbreitet. „Selbst auf Frachtschiffen von 400 Meter Länge und mit 20.000 Containern sind nur 18 bis 24 Mann an Bord, vom Decksarbeiter bis zum Offizier“, so Sturm.
Der Diakon und seine Kollegen in der Mission – 18 feste Mitarbeiter sowie sechs Bundesfreiwillige und drei Ehrenamtliche – kümmern sich um die Belange der Seeleute. „Support of seafarers’ dignity“, also die Würde der Seeleute zu unterstützen, lautet das Motto der Deutschen Seemannsmission.
„Ob Smartphone, Flatscreen oder Kleidung, wir profitieren alle davon, dass die Waren über das Meer kommen. Doch die Seeleute sind dabei wie ein Rädchen im Getriebe der globalisierten Welt. Das hat keine Berufsromantik mehr, es ist eine durchindustrialisierte Arbeit“, sagt Sturm. Daher seien hier der Raum und die Zeit für etwas Menschlichkeit. „Viele sprechen über ihre Familien und zeigen die Fotos ihrer Kinder, manchmal reden sie auch über ihre Sorgen“, sagt der Diakon und gelernte Erzieher, der lange in der Jugendhilfe tätig war, bevor er vor zwei Jahren die Leitung übernahm. Seine Stelle wird von der Kirche finanziert, ansonsten ist die Mission auf ihre Einnahmen und auf Spendengelder angewiesen.
„Wenn die Seeleute Probleme mit der Arbeit haben, versuchen wir ebenfalls zu helfen oder geben nach Absprache auch Konflikte an die Seefahrergewerkschaft International Transport Workers’ Federation weiter, die in jedem Hafen, auch in Hamburg, Vertreter hat.“ Das Miteinander soll ebenfalls nicht zu kurz kommen. Im Clubraum stehen zwei Gitarren, über den Fernsehmonitor laufen öfters die beliebten Karaokevideos. Weitere Nebenräume sind mit Billardtisch, Tischtennis und Kicker ausgestattet. „Wenn die Seeleute ihre Verträge erfüllt haben und kurz vor der Heimreise stehen, sind sie meist viel gelöster, dann wird schon mal gesungen“, sagt Lothar Heinken-Schmitz (61). Er macht in der Mission seinen Bundesfreiwilligendienst. „Ich bin selber zehn Jahre lang zur See gefahren, kannte aus der Zeit das Haus hier und wollte mal etwas zurückgeben“, sagt er. Er weiß, wie hart der Job ist und wie schwer es ist, „sich wieder an Land zurechtzufinden, wenn man lange auf See war und viel gesehen hat“.
Der gebürtige Rheinländer lebt jetzt in Hamburg und hat Kontakte gefunden, weil er in einem Chor singt. Er plaudert gern mit den Gästen, während er an der Theke im Clubraum steht und Getränke ausschenkt oder Waren für den täglichen Bedarf verkauft. Auf den Regalen hinter dem Tresen werden von Souvenirs über Duschgel und Schuhcreme bis zu Snacks diverse Kleinigkeiten angeboten. Die Matrosen, die heute AB heißen, das steht für „able bodied seaman“ (befähigter Matrose), können Kokoswasser, Mie-Nudeln oder getrocknete Fischstreifen wie Chips in Tüten kaufen. „Das besorgen wir, damit sie ein bisschen die Heimat auf der Zunge haben“, erklärt Fiete Sturm.
Auch einen Ort für Ruhe und Besinnlichkeit besitzt die Seemannsmission. Neben der Rezeption, unter den Schiffsglocken hindurch, geht es in die Kirche
St. Clemens am Hafen. Sie wurde einst als Gedenkort für Menschen, die auf See geblieben sind, gebaut und benannt nach dem Schutzheiligen für Seeleute in Sturm und Gewitter. Die protestantische Kirche, die wie eine kleine Kapelle wirkt, wird von Gläubigen verschiedener Konfessionen und Religionen aufgesucht und zum stillen Gebet genutzt. „Die Frömmigkeit auf See gibt Halt, es ist ja auch eine Arbeit mit vielen Gefahren“, so Sturm.
Bekehren wolle man hier niemanden. „Der Begriff Mission bedeutet für uns Auftrag“, sagt Fiete Sturm. Der Auftrag, sich um die Menschen zu kümmern, die zur See fahren. Und ihnen einen Moment von Heimat in der Fremde zu geben.
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