Am Rande des Schanzenviertels ließen Beatles ihre Haare schneiden; Verona Pooth war hier zu Hause, die KPD-Zentrale und ein bizarres Studio.

Hamburg. Sie ist die Straße der durchziehenden Kita-Kinderkarawanen. Die Straße, deren Namen man im Taxi nicht nuscheln darf - sonst wird man an einem viel bekannteren, namensverwandten Weg am anderen Ende der Stadt abgesetzt. Sie ist absolut unscheinbar, doch hinter ihren Fassaden verstecken sich unglaubliche Geschichten: von den Beatles bis zu Verona Pooth. Aber vor allem ist die Nagels Allee eines: die kleinste Allee Hamburgs.

128 Meter und nur sechs Bäume, die sich nicht einmal gegenüberstehen. So verbindet sie die Eimsbütteler Chaussee und die Eimsbütteler Straße im gleichnamigen Stadtteil miteinander. Fernab von dem mehr als fünfmal so langen Nagelsweg, für den sie - akustisch - gerne einmal gehalten wird.

Die als Straßenbäume seltenen Schwarzkiefern kamen auf private Initiative in die Straße: "Ich mag einfach Kiefern, aber die Stadt hatte für Bäume schon damals kein Geld", sagt Gerhard Kleinmagd (71). So brachte der Bäckermeister, der 16 Jahre lang Bezirkspolitiker - für die CDU und die SPD - war und 13 Jahre in der Bürgerschaft saß, die ursprünglich einmal drei Bäumchen mit und pflanzte sie auf die westliche Straßenseite. Dort konnte er sie aus Hausnummer 4 gegenüber bestens sehen, wohin sein Vater 1923 mit der Brezelbäckerei des Großvaters gezogen war. Zwei der Kiefern sind heute Heimat von Eichhörnchen. Eine ging frühzeitig ein.

Für Gäste ist die Straße nicht immer leicht zu finden: Das angerostete Straßenschild am südlichen Ende wird gerne einmal von betrunkenen Schanzen-Gängern in eine andere Richtung gedreht. Am Nordende der Einbahnstraße gibt es gar nicht erst ein Schild.

Vor fast 50 Jahren fanden dennoch ein paar junge Engländer problemlos ihren Weg in das Arbeiterviertel und in die Nagels Allee. In Kleinmagds Bäckerei kaufte einer von ihnen, "der John", Brezelbruch, und im kleinen Friseursalon gegenüber, in der Hausnummer 1, ließen sie sich ihre Pilzköpfe nachschneiden. "Die Beatles wohnten damals, Anfang der 60er-Jahre, bei ihren Besuchen nebenan in der Eimsbütteler Straße", erzählt Kleinmagd. "Was für eine tolle Geschichte, die passt zu dieser Straße!", freut sich Silke Barckmann (39). Im März hat die Friseurmeisterin in Judith Jansens "Salon" in dem schlicht-eleganten Fritz-Schumacher-Bau angefangen. "Hier treffen Schanzen-Bewohner auf Kunden aus Wedel", sagt sie. Viele würden den Salon als Geheimtipp sehen, weil es hier so ruhig sei, es Parkplätze vor der Tür gebe - und man trotzdem nur um die Ecke gehen müsse, um auf dem Schulterblatt Kaffee trinken zu können. "Auch das Miteinander ist hier einfach besonders", sagt Judith Jansen (35). "Es kommen schon einmal Nachbarn in Hausschuhen rein. Und eine Kundin bringt mir freitags immer Blumen aus der Susannenstraße mit."

Die kauft dort auch Ilse Schafft vom "Kleiderhaus 14" nebenan. Zur Eimsbütteler Straße zählend, ist ihr Geschäft das erste, was man von der Nagels Allee sieht. "Ohne mich wäre das langweilig hier", sagt die charismatische Frau und lacht - ein Lachen, das wohl jeder in der Nachbarschaft kennt. Ilse Schafft ist private Paket-Annahmestelle und Kontaktbörse in einem. Wenn sie vor ihrem Laden steht, wo sie mit Secondhand-Kinderkleidung anfing und jetzt Neuware für Erwachsene anbietet, kommt kaum jemand an einem Klönschnack mit ihr vorbei. Das Kleiderhaus und der Friseursalon sind die einzigen Geschäfte an der Nagels Allee. Die Kneipe und der Penny-Markt am Nordende der Straße gehören bereits zur Eimsbütteler Chaussee. Und ein gut florierendes, wenn auch äußerst diskretes Geschäft ist erst kürzlich weggezogen: "In Haus Nummer 8 war jahrzehntelang eines der bekanntesten SM-Studios Hamburgs", sagt Kleinmagd. Jetzt sitzen dort Mitarbeiter des Geschäftsbereichs Anlagenbau von Greenpeace Energy.

Die Nagels Allee, eine "ruhige Straße mitten im Leben", sagen die Anwohner einhellig. Mit ihrem zurückgesetzten Haus Nummer 3-5, das einst eine Hutfabrik, eine Lichtbadeanstalt und schließlich die norddeutsche KPD-Zentrale bis zum Verbot der Partei 1956 war. Und mit ihren Rotklinker-Häusern, in denen es 1992 in der Nummer 2 zum Aufstand gegen Scientology kam. "Der Scientologe Götz Brase hatte damals das Haus mit seinen Sozialwohnungen gekauft", erzählt Jürgen Fox (52), der seit 1977 dort wohnt. "Da haben wir alle zusammengetrommelt, und es ist gelungen, dass alle Mieter ihre Wohnungen kauften." Viele von damals leben heute noch dort. Außer Verona. "Als Letztes wurde eine Dachgeschosswohnung an ein Model verkauft", sagt Fox und lacht. So kam Verona Feldbusch, heute Pooth, ins Haus, wo sie zehn Jahre lang wohnte. Gigantische Blumensträuße wären in der Zeit in der Nagels Allee 1 angekommen, und wenn Dieter Bohlen im roten Ferrari vorgefahren und die Nachbarn an die Fenster geeilt seien, habe er der gesamten Straße zugewinkt. Bohlen hatte nicht nur Fans dort: "Unser Dackel Kuddel hat ihm mal gegen den Reifen gepinkelt", erzählen Angelika (65) und Manfred Buhr (64) aus Nummer 3-5, und ein wenig Stolz klingt mit. Vielleicht hat Bohlen deshalb später in seinen Lebenserinnerungen von einem üblen Viertel gesprochen.

Die nächsten Folgen:

17. August: Papenhuder Straße (Uhlenhorst)

19. August: Curslacker Deich (Curslack)

21. August: Heubergredder (Alsterdorf)