Neugraben. Der Süderelbe-Halbmarathon durch das Alte Land – in diesem Jahr wurde er bereits zum 44. Mal ausgetragen. Der Dino in der Hamburger Laufszene also. Wer am Zieleinlauf vor der CU-Arena in Neugraben dabei war, konnte miterleben, wie frisch, wie bunt und wie gut gelaunt der wohl älteste Volkslauf Hamburgs noch immer ist.
„Mit 563 Anmeldungen hatten wir erneut eine kräftige Steigerung gegenüber dem vergangenen Jahr“, verkündete denn auch Daniel Neidhold, Sportwart und Hauptorganisator der gastgebenden Leichtathletikabteilung der Hausbruch-Neugrabener Turnerschaft (HNT), selbstbewusst. „An die Rekordzahlen mit über 800 Startern vor zehn oder 15 Jahren kommen wir allerdings nicht mehr heran.“
Wird vielleicht ja wieder. Denn, es sind besonders die Frauen, die frischen Schwung in Deutschlands stärkste Sportbewegung bringen. Beeindruckend jedenfalls sind allein die Zahlen. Über die Kurzstrecke, die fünf Kilometer, sprinteten glücklich lächelnd fast alle 55 Mädchen und jungen Frauen ins Ziel. Die Schnellste in 18:59 Minuten war Lisa Hausdorf von der AG Hamburg West. Männer waren nur 34 unterwegs.
Der Schnellste – natürlich muss man schon sagen – war einmal mehr Brhane Gebrebrhan, der 23 Jahre alte Flüchtling aus Eritrea, der längst zur HNT gehört, einen festen Job hat, aber noch in der Unterkunft wenige hundert Meter von der großen Sporthalle entfernt wohnt. Er siegte mit mehr als einer Minute Vorsprung in 16:35 Minuten.
Auch auf der doppelt so langen Strecke, den zehn Kilometern, holen die Frauen mächtig auf. Nach der Siegerin Sabine Anders (Borener SV/42:20 min.) wurden 73 weitere häufig von ihren Kindern im Ziel empfangen. Die Zahl der keuchenden Männer war mit 84 nur wenig höher. Das allerdings der Schnellste fast zehn Minuten früher als die erste Frau jubeln durfte, verzerrt die Leistungsunterschiede zwischen den Geschlechtern. Hailezgi Meresie, ebenfalls ein Flüchtling aus Eritrea, auch er der neue Stolz der HNT, ist Hamburger Meister auf dieser Distanz und war im Ziel mit 32:36 Minuten fast fünf Minuten vor dem Zweitplatzierten.
Was die Paradestrecke, den Halbmarathon über 21 Kilometer, anbetrifft, ist vielen gesundheitsbewussten Laufaktivistinnen wohl doch zu viel der Qualen. Alessa Sumfleth aus Hamburg, die schnellste von 57 Damen, war nach 1:36:35 Stunden im Ziel. Da war Lars Roger Röpke, der stärkste Volksläufer von Eintracht Hittfeld (1:19:31) bereits seit 17 Minuten im Ziel. Der 44 Jahre alte, selbstständige Steuerberater läuft sechs Mal in der Woche, 130 Kilometer mindestens. Der Supermann aus Hittfeld, wie fast immer mit großer Sonnenbrille und Superman-Trikot unterwegs, ließ 129 Männer hinter sich.
Halbmarathon-Sieger kommt auf 130 Trainingskilometer pro Woche
Was die Beliebtheit der Laufveranstaltung durch das Alte Land über vier Jahrzehnte hinweg betrifft, verteidigt die LG HNF, die nach der Trennung vom TV Fischbek vor zwei Jahren nur noch als HNT in Erscheinung tritt, mit großem Einsatz und Stolz eine weitere wichtige Tradition. In Hamburg zumindest ist die HNT einer der letzten Vereine, der Volksläufe mit ehrenamtlichem Einsatz selbst organisiert; und das alles zu freundlichen Meldegebühren zwischen acht und zwölf Euro.
Fast alle anderen Sportvereine haben längst das Handtuch geworfen. Auch im Freizeitsport sind es kommerziell orientierte Agenturen, die das Geschäft übernommen haben. Die bedeutendste in Hamburg, „Die Laufgesellschaft“, organisiert inzwischen 18 Veranstaltungen. Dazu gehören die Winterlaufserie im Inselpark, der internationale Wilhelmsburger Insellauf und der Lichterlauf durch den Harburger Binnenhafen.
Moderne Weiterführung des Engagements für den Sport
Drängen Sie damit nicht die gemeinnützigen Sportvereine aus ihrer ursprünglichen Aufgabe und aus einer Einnahmequelle heraus?, wollen wir von Karsten Schölermann, dem Mitbegründer und Geschäftsführer der „BMS Sportveranstaltungs GbR“ wissen. „Zuerst einmal zum Begriff kommerziell, bei dem ja Kritik mitklingt“, rückt Karsten Schölermann zu Recht. „Kommerziell ist für mich der Ironman in Hamburg. Der wird von einem chinesischen Konzern organisiert und vermarktet. Die Stadt Hamburg muss denen jedes Mal 300.000 Euro überweisen, damit sie überhaupt an die Alster kommen. Auch für den Hamburg-Marathon übernimmt die Stadt einen Fehlbetrag von 100.000 Euro. Das sind kommerzielle Sport-Events. Bei uns ist es doch so, dass Vereine wie beispielsweise die HT 16 oder der Bramfelder SV bei uns Hilfe suchen. Sie finden nicht mehr genügend Helfer und bitten „Macht ihr das doch weiter“.
Und wenn wir dann einen Helfer mit 30 Euro für seinen stundenlangen Einsatz bezahlen, müssen wir noch 12,50 Euro an die Bundesknappschaft abführen. Ich sehe unsere Arbeit als zeitgemäße, moderne Weiterführung des Engagements für den Sport, wie es Turnvater Jahn schon gefordert und populär gemacht hat.“
Überschüsse der Laufveranstaltungen kommen dem HNT-Nachwuchs zugute
Professionell geführte und bezahlte Organisatoren unserer sportlichen Freizeit – bleibt da kein anderer Weg? Zumindest in den Städten? „Auch bei uns wird es von Jahr zu Jahr schwieriger, für die sechs Laufveranstaltungen genügend Helfer zu begeistern“, bekennt Daniel Neidhold. „Jeder von uns weiß aber auch, dass das ganze Geld, das dabei übrig bleibt, in die Leichtathletik-Kasse geht. Damit werden Trainer und Trainingslager und Fahrten zu Meisterschaften vor allem für die Jugend mitfinanziert. Ohne diese paar Tausender, die bei den Laufveranstaltungen übrig bleiben, würde die Leichtathletik bei der HNT kümmerlich dahin dümpeln.“ Und die wieder wachsende Schar der Teilnehmer würde wehmütig eine stolze Lauf-Tradition vermissen.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Sport