Leichtathletik

Volksläufe: Die Vereine ziehen sich zurück

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Norbert Scheid

Foto: Norbert Scheid / HA

Kommerzielle Agenturen treten bei der Organisation der Großereignisse an ihre Stelle. Nur die HNT bleibt weiter mit dabei

Harburg/Wilhelmsburg.  Natürlich haben sie ihren Siegläufer vermisst oben im Forst von Langenrehm. Als dort um 10 Uhr in dere Frühe mit dem Pistolenknall der Halbmarathon, also der letzte Lauf des Straßenlauf-Cups, gestartet wurde, fehlte Marcel Schlag. Aber der war trotzdem schon längst in Bewegung.

Eine halbe Stunde vorher war der stärkste Läufer und Triathlet der Hausbruch-Neugrabener-Turnerschaft auf dem Kurt-Emmerich-Platz in Wilhelmsburg losgelaufen. Mit mehr als 300 anderen Menschen, dessen größtes Sonntagsvergnügen wohl darin besteht, 20 und 30 Kilometer im Kreis zu laufen.

Auch in Wilhelmsburg wurde in diesem Jahr erstmals eine Winterlaufserie gestartet. Und zwar im Inselpark. Mit Start und Ziel vor der großen Sport- und Schwimmhalle mussten Runden von genau 2930 Metern Länge gelaufen werden. Jeder Teilnehmer entscheidet selbst, wie viele Runden er unterwegs sein will.

Auch zu dieser neuen Winterlaufserie gehören drei Starts wie beim traditionellen Straßenlauf-Cup der HNT. Der wurde mit Läufen über 10- und 15 Kilometer und dem abschließenden Halbmarathon bereits zum 34. Mal ausgetragen. Und wird auch nach mehr als drei Jahrzehnten noch immer von ehrenamtlichen Helfern und einem traditionellen Sportverein organisiert.

Die Konkurrenzveranstaltung im neuen Wilhelmsburg wird hingegen von der „Laufgesellschaft“ organisiert. Das ist ein kommerzielles Unternehmen. Deshalb wiederum lässt sich die Entwicklung der Volkslaufszene in Hamburg im Vergleich dieser beiden Veranstaltungen am besten darlegen. Und der gibt auch Antwort auf die Frage: Können traditionelle Sportvereine die Ansprüche und Wünsche unserer modernen Fitness-Gesellschaft überhaupt noch erfüllen?

Dazu ein Rückblick mit großem Lob und großer Anerkennung für die Leichtathleten der HNT, die bis vor gut einem Jahr noch als LG HNF firmierten. Als sich Mitte der 1970er-Jahre Deutschland in Bewegung und die Volksläufe in Szene setzte, hat die LG HNF Pionierarbeit geleistet. Der erste Süderelbe-Marathon wurde 1977 gestartet und zehn Jahre lang ausgetragen.

Der erste Hamburg-Marathon 1986 wurde von Werner Bostelmann verantwortlich organisiert. Der war auch Vorsitzender der LG HNF. Und den immer noch aktuelle Straßenlauf-Cup hatte er als ideale Vorbereitung auf den Hamburg-Marathon ins Leben gerufen. Wenn die Laufverrückten ihre Zeiten über 10-, 15- und 21 Kilometer addieren, wissen sie angeblich, welche Zeit sie beim Marathon erreichen können.

Und doch, die großen Lauffeste auf der abgelegenen Waldstrecke sind vorbei. Wo sich früher selbst bei Eis und Schnee mehr als 400 Fitnessaktivisten aus ganz Norddeutschland versammelten, waren beim Halbmarathon diesmal nur noch etwa 100 Läufer am Start.

Der Kern ist eine verschworene Gemeinschaft von ehrgeizigen Minuten und Sekunden-Fetischisten. Unter denen wächst die Zahl derer, die sich auf die noch härtere Triathlon-Herausforderung konzentrieren. Bei den Läufen im Wald gibt es keinerlei Komfort, nur Umkleidemöglichkeiten im eigenen Auto und der Tee ist auch nicht mehr heiß.

„Bei unserer Winterlaufserie in Wilhelmsburg stehen heiße Getränke und Verpflegung bereit und duschen kann man hinterher auch“, sagt Karsten Schölermann, der 1990 gemeinsam mit Michael Barkowski und Detlev Matzen die „BMS Sportveranstaltung“ gründete. „Im Rahmen des Alstervergnügens haben wir damals einen 10-Kilometer-Lauf organisiert“, erzählt Karsten Schölermann, selbst noch aktiver Läufer.

„Der ist mit rund 4500 Finishern noch heute einer der größten in ganz Deutschland.“ Und ihre Agentur „Die Laufgesellschaft“ hat als kommerzieller Veranstalter längst die meisten Sportvereine als Ausrichter abgelöst. „So ein Volkslauf mit moderner Zeitmessung durch Chips kostet heute zwischen 5000 und 10.000 Euro“, erläutert Schöllermann die Gründe für die Kommerzialisierung des Freizeitspots.

„Hast du dann weniger als 1000 Teilnehmer, zahlst du drauf. Weil die meisten Vereine das finanzielle Risiko nicht mehr eingehen können und auch immer weniger ehrenamtliche Helfer finden, geben sie ihre Veranstaltungen an uns ab.“

So war das beispielsweise 2008 auch mit dem traditionellen Wilhelmsburger Insellauf. Damals zählte der noch knapp 900 Teilnehmer, inzwischen wieder fast 3000. Die Laufgesellschaft organisiert im Jahr 25 Veranstaltungen in Hamburg. „Sportvereine sind auf diesem Laufmarkt ja kaum noch aktiv“, sagt Karsten Schölermann. „Nur die HNT ist da noch stabil“.

Für Marcel Schlag war der „Seitensprung“ nach Wilhelmsburg übrigens reine Familiensache. Er und sein Bruder Dustin zählten als Wilhelmsburger Jungen zu den besten Schwimmtalenten in Hamburg. Und Leon, der fünfjährige Sohn des Bruders, ist von Onkel Marcel als Triathlet so begeistert, dass er im heimischen Garten schon den Wechsel samt Umkleiden vom Fahrrädchen zum Laufen trainiert. Und beim Lauf im Inselpark war er auch schon am Start, mit Papa für eine Runde.

Erster Gesamtsieger wurde dann auch Marcel Schlag. Der ist bei den drei Läufen insgesamt 35 Runden in 7:11:52 Stunden (jeder Kilometer in 4:12 Minuten) gelaufen. Christine Brockmann, in Buchholz vor allem im Reitsport aktiv, siegte mit 29 Runden in 7:15:10 Stunden bei den Frauen.

Beim abschließenden Halbmarathon im Wald in Langenrehm hatten sie Marcel Schlag zwar vermisst, gewonnen allerdings hätte der Schnellste der ausrichtenden HNT diesmal nicht. Christian Hiller vom TH Eilbeck siegte in 1:13:54 Stunden in einer Superzeit.

Der Zweite, Luigi Babusci (1:15:36), war erstmals am Start und blieb in Langenrehm ein Unbekannter. Florian Bahlmann (VfL Oldenburg) wurde in 1:18:46 Dritter und erhielt damit den Pokal als Gesamtsieger 2017. Bei den Damen gab es nichts Neues in der Siegerliste. Cecile van der Bent gewann den Halbmarathon in 1:24:14 Stunden und damit überlegen auch den Pokal als Gesamtsiegerin – genauso wie im vergangenen Jahr.

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