Leonie Pieper, Wiebke Hein, Katrin Thoma und Lokalmatadorin Judith Anlauf rudern in Amsterdam um den Titel im Leichtgewichts-Vierer

Harburg. Es hat etwas friedlich Entspanntes, wenn man mit den Blicken die vier Frauen in ihrem Ruderboot verfolgt. Wie sie leise und ruhig durch das Wasser gleiten, harmonisch und gelassenim Zusammenspiel. Irgendwie steigt Feierabendstimmung auf am Elbstrand auf der Pionierinsel in Harburg. Die Vier in ihrem gelben Boot werden kleiner, entschwinden aus dem Blick. Anderthalb Stunden und unzählige harte Ruderschläge später nähert sich der Doppel-Vierer der Rethe-Hub-Brücke im Hafengebiet. Vom Motorboot aus, das die Ruderinnen begleitet, ruft Trainer Manfred Last: „Fahrt 20 Schläge auf Streckenfrequenz. Und drei Schläge zum Anschub.“

Das Kommando zündet eine Rakete. Die Körper der jungen Frauen spannen sich. Härte und Entschlossenheit spiegeln sich in den Gesichtern wider. Mit schnellen, kraftvollen Ruderschlägen teilen sie das Wasser. Das Boot schießt davon. Der extreme Kraftaufwand dauert nur Sekunden. Der Leichtgewichts-Doppelvierer hat im Hamburger Hafen den Start geprobt. So wollen die vier Auserwählten am 27. August auf der Regattastrecke im Herzen von Amsterdam die Ruderwelt herausfordern. Das Finale der Weltmeisterschaft ist das große angestrebte Ziel, ein Platz auf dem Treppchen der reale Traum.

Die Ruderinnen in diesem Boot hatten für eine Woche ihr Trainingslager beim Ruderclub Süderelbe auf der Pionierinsel aufgeschlagen. Inzwischen sind sie mit ihrem Harburger Clubtrainer Manfred Last nach Ratzeburg umgezogen. Vor gut einem Monat erst wurden die vier Spitzenkräfte in der leichten Wettkampfklasse aus ganz Deutschland für den Doppelvierer zusammen gezogen. Von der Potsdamer Rudergesellschaft Germania ist Wiebke Hein, 21, angereist, die Wirtschafts-Ingenieurswesen studiert. Von der Frankfurter Ruder-Gemeinschaft wurde die Physik-Studentin Katrin Thoma, 24, in das Boot geholt. Leonie Pieper, 21, ist die Schlagfrau im Boot, kommt aus Düsseldorf, studiert Sport in Saarbrücken und startet für den Ulmer Ruder-Club.

Und dann ist da noch Judith Anlauf. Vor fünf Jahren zog sie wegen ihres Studiums von Tübingen nach Harburg. Seit 2010 ist sie unter Trainer Manfred Last zu einer Weltklasse-Sportlerin im Leichtgewichtsrudern gereift. Vor zwei Jahren kehrte Judith Anlauf als erste Weltmeisterin im Ruderclub Süderelbe aus Litauen zurück. Diesen Titel bei der U23-WM hatte sie auch im Doppelvierer erkämpft, allerdings mit anderen Partnerinnen. In dem von den Bundestrainern zusammengestellten neuen Vierer führt die 24-Jährige, inzwischen Ingenieurin bei Airbus in Finkenwerder, das Kommando. Trainer Manfred Last ist für die vier Mädchen verantwortlich.

Es war am 11. Juli gegen 18 Uhr, da sind die jungen Frauen das erste Mal gemeinsam ins Boot gestiegen und zum Kennenlernen auf dem Küchensee in Ratzeburg gerudert. Judith Anlauf und Katrin Thoma haben bereits vor sechs Jahren gemeinsam im Zweier gekämpft. Im Rudersport ist es längst üblich, das die Besten im Frühjahr Ranglisten ausfahren und dann mit neuen Partnern zusammen geführt werden.

Bis zu 30 Stunden und mehr in der Woche wird trainiert

„Die meiste Zeit trainieren wir aber allein“, sagt Leonie Pieper, die angehende Sportwissenschaftlerin. „Das macht 80 Prozent unseres Sports aus“, ergänzt Judith Anlauf. Der Zeitaufwand dafür, bis zu 30 Stunden und mehr in der Woche. „Als Berufstätige bin ich eine Exotin in der internationalen Sportszene“, sagt die Verfahrensmechanikerin, die auf ihrer Visitenkarte „Assembly Processes R&D Engineer“ ausgedruckt hat. „In den vergangenen vier Jahren war ich nur zwischen Weihnachten und Neujahr ein paar Tage bei der Familie zu Hause. Die Ferien während des Studiums und meinen Urlaub, das ist die Zeit, die ich für meinen Sport wie jetzt die WM in Amsterdam brauche.“

Frauen im Leichtgewichts-Rudern, das muss man wohl noch einmal deutlich machen, dürfen nur bis 57 Kilo wiegen. Eine Ruderin darf maximal auch 59 Kilo auf die Waage bringen, dafür muss eine Bootspartnerin weniger wiegen. Wenn die körperlichen Voraussetzungen ähnlich sind, ist die Konkurrenz auch härter. Dafür aber die finanzielle Förderung geringer. „Die WM in Amsterdam kostet im Grunde jedes der Mädchen rund 4000 Euro“, sagt Manfred Last, „davon wird das Hotel bezahlt und auch die medizinische Betreuung. Natürlich können wir die Sportlerinnen für ihren jahrelangen Fleiß und Einsatz nicht auch noch finanziell bestrafen. Die Stammvereine kratzen das Geld zusammen.“

Beim Spurttraining auf der Elbe hatten Wiebke, Katrin, Judith und Leonie ihre Schlagfrequ0enz auf 35 und 36 Schläge in der Minute gebracht. „Inzwischen haben wir die Zusammenarbeit weiter perfektionier“, sagt der Trainer, „dass die Mädchen es auf 44 Schläge pro Minute bringen.“

„Rudern“, da sind sich alle vier Mädchen des Leichtgewichts-Vierer einig, „ist eine Art Sucht. Über Jahre arbeitet man daran, immer perfekter, immer besser zu werden. Und dann gemeinsam in einem Boot, in dem man zu einer Einheit zusammenfindet. Und natürlich wollen wir den Erfolg, träumt jede vom großen Sieg.“