Weltmeisterin Susi Kentikian bei der Signierstunde ihres Buches “Mir wird nichts geschenkt“

Harburg. "Seit mehr als 30 Jahren gehe ich zum Boxen, bei den Profis wie bei den Amateuren. Frauenboxen aber mag ich nicht". "Warum nicht?" kontert Susi Kentikian, dreifache Weltmeisterin in diesem ureigenen Männersport, die verbale Attacke. "Es ist mir zu brutal!" "Da ist etwas Wahres dran", sagt die junge Frau und in ihren intensiven, dunklen Augen blitzt Angriffslust auf. "Männer warten auch im Ring gern ab, taktieren und kalkulieren und wirken auf mich manchmal so träge". "Kämpfen Frauen fanatischer?" "Wir sind im Ring aggressiver. Ich kämpfe von der ersten Sekunde an auf Sieg. Da ist nichts anderes in meinem Kopf, in meinen Fäusten, in meinem Herzen. Ich will gewinnen." "Und nie Mitleid mit der geprügelten Gegnerin?" "Im Ring darf man kein Mitleid haben, aber ich bin auch schon zurückgegangen, wenn es mir zum Sieg verholfen hat."

Kentikian, 23 Jahre alt, Deutsche mit Migrations-Hintergrund, 1,52 Meter groß, 50 Kilo leicht, Profiboxerin, Weltmeisterin in drei Verbänden. 27 Kämpfe hat sie bestritten, 27-mal den Ring als Siegerin verlassen. Und weil sie 16-mal durch K.o. gewann, hat ihr die Branche den Titel "Killer-Queen" verliehen. In die Karstadt-Sportabteilung im Phoenix-Center ist Kentikian nicht gekommen, um die Trommel für ihren nächsten Kampf zu schlagen. Da müssen noch Gegnerin und Austragungsort gefunden werden. Sie ist gekommen, um für ihr Buch zu werben. "Mir wird nichts geschenkt!", heißt der Titel. Und nicht ganz so dick, die Schlagzeile darunter: "Mein Leben. Meine Träume."

Zierlich wirkt die kleine Person nicht. Es sind die kraftvollen Arme, der durchtrainierte Oberkörper, die schnelle, direkte Art, die signalisieren: Hier sitzt eine junge Frau, die sich behauptet, die sich durchgesetzt hat. "Mir wird nichts geschenkt!", das ist kein Buch über das Boxen im Allgemeinen und das Frauenboxen im Besonderen - das ist vor allem die Geschichte über das Durchboxen im Leben. Das wechselvolle, schwierige und unglaublich erfolgreiche Leben der Sjusanna Levonova Kantikjan begann am 11. September 1987 in Eriwan, der Hauptstadt Armeniens. Im Januar 1992 bat die Familie in Deutschland um Asyl und die Eltern, der größere Bruder und die kleine Susi landeten in einem zwölf Meter großen Container auf dem Asylschiff Bibbi Altona ein paar hundert Meter vom Fischmarkt. Dieses Buch, die noch kurze Lebensgeschichte der unbesiegten Weltmeisterin, nimmt den Leser gefangen, weil es das Thema Migration von der Seite der Menschen her schildert, die in unserem Land so hart um Anerkennung und Würde kämpfen. Sieben Jahre lang haben die vier Kentikians in einem Asylbewerberheim in Langenhorn auf 16 Quadratmetern gelebt, mit größten Mühen ihren Lebensunterhalt verdient und immer bangen müssen. Im September 2001 klopft morgens um halb fünf die Polizei und Vater und Kinder werden zur Abschiebung auf den Flughafen gebracht. Die Mutter sollen sie allein im Krankenhaus zurück lassen, die werde nach ihrer Entlassung ausgewiesen.

In der aktuellen politischen Diskussion wird häufig der Islam als schwierigstes Problem fürs Zusammenwachsen hingestellt, doch die Kentikians sind gläubige Christen. Als die Familie mit ihren Habseligkeiten auf ihre Abschiebung wartete, war die kleine Tochter mit ihrem großen Kämpferherzen schon als besonderes Box-Talent beim BSV 19 aufgefallen. Und es war ihr Jugendtrainer Frank Rieth, der seine Verbindungen einsetzte und entscheidenden Anteil daran hatte, dass die Abschiebung aufgeschoben wurde.

"Was wäre geworden, wenn sie sich im Ring nicht so durchgesetzt hätten?" "Ich weiß nicht. Vielleicht wären wir längst abgeschoben, vielleicht müssten wir als Geduldete in Unsicherheit leben. Aber wir haben diesem Land sehr viel zu verdanken. Du musst nur den Willen haben, dich durchzuboxen. Das ist es, wozu ich mit meinem Sport, meinen Siegen, mit diesem Buch auch junge Menschen aufmuntern will: Schau nach vorn und steck dir Ziele. Und dann kämpfe für diese Ziele, mit allem, was in dir steckt." Zu denen, die gekommen sind, um sich von Susi Kentikian eine persönliche Widmung in das Buch schreiben zu lassen, gehört auch Tanja, eine junge Mutter mit ihren beiden Töchtern Emely, sechs Jahre und Lea, sechs Monate. "Wir sind beide fast gleich alt", sagt die Mutter mit dem Baby im Arm, "und die Susi ist auch nicht größer als ich. Es ist ihr Mut und ihre Stärke, die ich so bewundere und die ich mir ein bisschen zum Vorbild nehme".