Wilhelmsburg. Das Stück kommt so locker und beschwingt aus den Lautsprechern, dass man kaum glauben mag, dass es eigentlich ein ganzes bisheriges Musikerleben gebraucht hat, um es hervorzubringen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Nach hingehetzter Dutzendware klingt das Lied keineswegs, eher so natürlich, als sei es seinem Schöpfer einfach mal so aus der Feder geflossen. Wer sich mit Musik auskennt, weiß, dass solche Leichtigkeit das Produkt harter Arbeit ist.
Der Wilhelmsburger Sänger und Songwriter Benjamin Branzko weiß das nur zu gut. Er hat schon manche Stücke für andere Künstler produziert. „Some-thing Left Unsung“ ist aber das erste eigene Stück, das er veröffentlicht. Produziert hat er es gemeinsam mit jemandem, der ihn schon früh musikalisch geprägt hat: sein Vater Hubertus, Musikverleger, Künstlermanager, alter Hase. Benjamin musste erst 38 Jahre alt werden und sich zwischendurch lange mit seinem Vater verkrachen, um jetzt mit ihm gemeinsam in die Vollen zu greifen.
Sein Arbeitsplatz ist das Hamburger Kulturzentrum Honigfabrik
Die Sonne scheint durch das große Fenster des Musikateliers im Kulturzentrum Honigfabrik, Benjamins Arbeitsplatz. Hier komponiert und produziert er und hier unterrichtet er Gitarre und Gesang. „Das ist der reinste Luxus, in diesem Atelier arbeiten zu können“, sagt er. „Tageslicht ist ein echtes Privileg für Musiker. Die meisten Probenräume befinden sich in Kellern oder Bunkern oder haben schall- und lichtdicht verrammelte Fenster.“
Vielleicht sind es auch diese sonnigen Arbeitsbedingungen, die einen so beschwingten Song ermöglicht haben. Vielleicht die gute Zusammenarbeit mit Vater und Freunden – dem Wilhelmsburger Schlagzeuger Daniel Zielonka und dem gerade nach Hamburg gezogenen Ex-Kommilitonen Lorenz Schönle, der das Klavier einspielte. Vielleicht war der Song auch einfach reif und musste nur gepflückt werden, bevor er zu musikalischem Fallobst wurde.
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Den richtigen Zeitpunkt zu finden, etwas zu sagen oder zu singen, ist Thema von „Something Left Unsung“, sagt Branzko. „Es geht darin um eine ungelebte Liebe. Ich denke das ist für uns Menschen ein Dilemma, dass wir in manchen Dingen weit hinter unserem Potenzial zurückbleiben, vielleicht einfach, weil wir uns nicht trauen, es herauszufinden, Angst haben vor Enttäuschung.“
Zwei Faktoren seiner Kindheit prägen Benjamin Branzko bis heute: die Konzerte, in die der Vater die Kinder schon früh mitnahm, und die Geschichten, die die Mutter ihm und seinem Bruder vorlas. Das versucht er heute in seinen Liedern zu kombinieren. Schon früh begann Benjamin Branzko, sich selbst auszuprobieren; lieh sich vom Vater die Gitarre aus, bis der sie nicht mehr wiederfand; klampfte am Baggersee, gründete als Teenager mit Freunden die erste Band und spielte mit dieser auf Schulfesten und Privatpartys.
Soziologie-Studium abgebrochen, um nur Musik zu machen
„So richtig wissen wollte ich es dann mit Mitte zwanzig“, sagt er. „Da habe ich mein Soziologie-Studium abgebrochen, um nur noch Musik zu machen. Ich verdiente mein Geld mit Kinderliedern im Kindergarten, spielte auf der Straße, machte alle möglichen Gigs. Und ich schrieb weiter Songs.“
Als er dann irgendwann das Gefühl hatte, gleichzeitig auf der Stelle zu treten und sich im Kreis zu drehen, fing Benjamin Branzko dann doch wieder an, zu studieren. Das war aber kein Aufgeben, sondern ein Durchstarten: Er ging nach Osnabrück und studierte Jazz, Schwerpunkt Gesang. „Das Studium war gut, um den Horizont zu erweitern, meine Möglichkeiten auszuloten, technisch besser zu werden und den Fokus herzustellen. Es hat mich professionalisiert“, sagt der Sänger. „Nach meinem Abschluss habe ich dann begonnen, mich künstlerisch selbst wiederzufinden, auf meine innere Stimme zu hören. Das verlernt man ein wenig, wenn man damit beschäftigt ist, hauptsächlich äußere Anforderungen zu erfüllen.“
Ausgangspunkt des kreativen Prozesses sind bei Benjamin Branzko immer die Texte. Eines seiner Idole dabei ist Hannes Wader: „Sein virtuoses Fingerpicking gepaart mit diesen abgefahrenen Stories, diese Mischung aus Musik und Hörbuch hat mich fasziniert. Ich nehme mir viel Zeit für meine Texte.“ Häufig, so Branzko, liege ihm ein Thema am Herzen und er folgt diesem inneren Impuls. Manchmal ist auch schon eine Musik da, eine Skizze mit ein paar Akkorden. „Ich versuche dann, den Text exakt in dieses Gerüst einzupassen – eine Geduld erfordernde aber lohnenswerte Arbeit. Manchmal texte ich auf Englisch, manchmal auf Deutsch – das entscheide ich nicht immer bewusst. Ich schreibe den Song so, wie er sich zeigt.“
„Something Left Unsung“ wird am 16. April als Single auf allen gängigen Streamingkanälen veröffentlicht. Danach soll ungefähr alle sechs Wochen ein weiterer Song veröffentlicht werden; im Herbst ein kleines Album, eine so genannte EP. Ein bisschen Bammel davor hat Branzko schon: „So eine Veröffentlichung steht dann unveränderbar in der Welt und man setzt sich damit kritischen Ohren aus. Ich habe einige Zeit gebraucht, um meinen Weg zu finden. Die erste Veröffentlichung mit Ende dreißig ist nicht gerade ein Frühstart. Aber was soll’s. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Ich habe das Gefühl, wirklich zu wissen, was ich künstlerisch will. Und diese Musik soll die Welt nun endlich zu hören bekommen.“
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