Hamburg. Selma Akkoyun ist dicht an der Verzweiflung. „Diese Rolltreppe raubt mir den Schlaf“, sagt die 45 Jahre alte Harburgerin. „Und überall, wo ich um Hilfe bitte, beiße ich auf Granit.“ Selma Akkoyun wohnt im Centrumshaus am Harburger Ring. Von ihrem Hauseingang zur S-Bahn-Treppe der Station Harburg Rathaus sind es gerade mal zwölf Meter. Eigentlich eine feine Sache, wäre da nicht dieses Geräusch: Mal schleifend, mal klappernd, mal brummend macht sich die Fahrtreppe bemerkbar. Meistens ist in ihrem Umfeld auch eine leichte Vibration zu spüren. Auch Nachts gibt es keine Pause.
Die Treppe ist als Dauerläufer programmiert
Das ist nicht etwa ein Programmierfehler. „Wird die Treppe nicht benutzt, schaltet sie nicht ab, sondern läuft im langsamen Betrieb“, heißt es auf Nachfrage bei der S-Bahn, „betritt dann jemand die Fahrtreppe, erhöht sich die Geschwindigkeit wieder auf das normale Tempo. Das ist geräuschärmer und materialschonender, als die Treppe immer wieder aus dem Stillstand zu starten.“
Die „Höhentechnikverfügbarkeit“ ist eigentlich ein Qualitätsmerkmal für Bahnhöfe. Der Fachbegriff umschreibt, ob Rolltreppen und Aufzüge in einem Bahnhof funktionieren. Beschwerden gehen meistens dann ein, wenn das nicht der Fall ist. Insofern könnte die S-Bahn Hamburg stolz auf ihre Fahrtreppe an der Station Harburg Rathaus, Ausgang „Am Centrumshaus“ sein: Sie ist ein Muster der Höhentechnik und täglich rund um die Uhr verfügbar. Das kann man in Ordnung finden, wenn man diese Treppe gelegentlich und auch zu ungewöhnlichen Zeiten nutzt. Wohnt man allerdings an der Rolltreppe, wie Selma Akkoyun, sieht das anders aus.
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Schlafzimmer liegt direkt über den Treppenausgang
Ihr Schlafzimmer liegt direkt über dem S-Bahn-Ausgang und damit über der Geräuschquelle, denn es ist das obere Treppenende, das den Lärm verursacht. „Wir haben erst gedacht, die Geräusche kämen von der Baustelle an der Knoopstraße“, sagt Akkoyuns Lebensgefährte Yetis Anlayışlı, „später hatten wir den Imbiss im Verdacht. Auf die Treppe sind wir zunächst nicht gekommen; die sollte ja ein Qualitätsprodukt sein.“
Beschwerdestelle reagiert längst nicht mehr
Nachdem sie aber die Rolltreppe eindeutig als Quelle des Geräusches identifiziert hatten, begannen die beiden, bei der Bahn anzurufen. Allerdings so weit ohne Erfolg. „Mir wurde zugesichert, dass ich zurückgerufen werde, aber das ist nicht passiert“, sagt Akkoyun. „Dann waren irgendwann doch Mechaniker an der Treppe, aber als ich sie fragte, sagten sie, dass sie nur allgemeine Wartungsarbeiten machen. Ich rief wieder an und wurde wieder vertröstet. Irgendwann hatte ich den Eindruck, dass die Mitarbeiter schon nicht mehr rangingen, wenn sie meine Nummer sahen.“
„Ich bin zuckerkrank und brauche meinen Schlaf“
Selma Akkoyun rief mit unterdrückter Nummer an und kam sofort durch. Im Laufe des Gesprächs fiel wohl auch das Wort „Kasperverein“. Seitdem herrscht endgültig Stille zwischen Bahn und Beschwerdeführern. Nur die Treppe schabt und quietscht. „Ich bin herz- und zuckerkrank“, sagt Akkoyun. „Ich brauche meinen Schlaf dringend!“
Für Service, Sicherheit und Sauberkeit sind bei der DB-Bahnhofstochterfirma „Station and Service“ die sogenannten „3S“-Zentralen zuständig. Dort kennt man die Rolltreppe. „Wir haben versucht, den Fehler zu finden“, sagt ein Mitarbeiter, „aber wir hatten damit noch keinen Erfolg.“
Die Treppe per Notschalter still zu legen, ist zwecklos
Dass die Treppe auch dann rollt, wenn keine S-Bahn fährt, hängt damit zusammen, dass in den 1980er-Jahren mit dem S-Bahn-Tunnel der Harburger Ring und seine berüchtigtste Kreuzung, der „Finanzamtsknoten“ gebaut wurde. Um dort möglichst wenig Fußgänger auf der Fahrbahn zu haben, wollte man es ihnen möglichst schmackhaft machen, darunter entlangzugehen. Diese Strategie gilt noch heute. Die Fahrtreppe einfach mit dem Notschalter zu sabotieren, ist übrigens nicht nur verboten, sondern auch zwecklos. „Nach 15 Minuten schaltet sich das Gerät automatisch wieder ein“, sagt der Mann aus der 3S-Zentrale.
Offiziell gibt es das Problem gar nicht: „Außer von einer Person haben wir noch keine Beschwerden erhalten“, sagt Bahn-Pressesprecherin Franziska Hentschke, „und unsere Techniker sagen, dass es hier ein ganz normales und hinnehmbares Betriebsgeräusch gibt.“
Selma Akkoyun und Yetis Anlayışlı suchen schon länger und nicht nur wegen der Geräusche eine andere Wohnung, aber der Markt ist leergefegt. „Und wenn man dann mit seinen Beschwerden immer nur abgewimmelt wird, fühlt man sich regelrecht hilflos“, sagt Anlayışlı.
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