Ayirebi/Harburg. Vor den Fenstern des Cafés peitscht der Wind eiskalten Regen in dicken Tropfen durch die Harburger Fußgängerzone. Da kann man sich umso glücklicher schätzen, drinnen zu sitzen. Alfred Osei-Poku will gerade etwas sagen, da klingelt sein Telefon.
Auf der anderen Seite der Verbindung genießt sein Gesprächspartner 34 Grad und Sonnenschein. Der Anruf kommt aus Ghana. „Entschuldigung, da musste ich ran“, sagt er. „Mein Team bereitet den Wahlkampf vor.“
Alfred Osei-Poku, seit mehr als zwei Jahrzehnten Harburger, will ins Parlament. Nicht in die Hamburger Bürgerschaft, nicht in den Bundestag. Der pensionierte Pastor will einer der 275 Abgeordneten im Parlament der vierten Republik Ghana werden.
Ofoase/Ayirebi heißt der Wahlkreis des Hamburgers
Ofoase/Ayirebi heißt sein Wahlkreis. nach den beiden größten Kleinstädten darin. Er liegt etwa 150 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Accra. Ein Katzensprung, sollte man meinen, doch auf den Straßen von Ghana bedeuten diese 150 Kilometer dreieinhalb Stunden Autofahrt.
Es ist eine ländliche Region. Die Kakaohändlervereinigung hat eine Niederlassung in Ayirebi. 56 Prozent der Erwerbstätigen Ghanas sind in der Landwirtschaft tätig. Dabei macht dieser Wirtschaftszweig nur ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts aus. Industrie – ein Viertel – und Dienstleistungen – ein Drittel – liegen deutlich davor.
Im Umkehrschluss heißt das, dass die Landwirtschaft für ihre Beschäftigten vergleichsweise wenig Geld abwirft und ländliche Regionen ärmer sind, als die mit Industrie, Tourismus oder gar die Hauptstadt Accra.
Gesundheitssystem und Bildungsystem im Fokus
Die Straßenverbindung ist deshalb Alfred Osei-Pokus geringste Sorge: „Das Gesundheitssystem und das Bildungssystem sind in diesen Regionen schlecht finanziert“, sagt er. „Das muss man ändern und zwar einerseits grundsätzlich; dazu braucht man Zeit, andererseits zügig; dafür muss Geld aus dem Ausland kommen.“
An letzterem arbeitet Alfred Osei-Poku schon länger. Gemeinsam mit anderen Geistlichen und Laien aus der großen Hamburger Baptisten-Gemeinschaft hat er 1997 das christliche Hilfswerk für Afrika gegründet, mit dem er in Deutschland Spenden sammelt und Projekte, vor allem in Ayirebi finanziert.
Eine Schule des Hilfswerks besteht bereits, eine kleine Regionalklinik steht kurz vor der Eröffnung. Auch wenn Alfred Osei-Poku 20 Jahre lang als Pastor in Hamburg tätig war, ist er deshalb vor Ort in Ofoase und Ayirebi kein Unbekannter.
NDC ist sozialdemokratisch ausgerichtet.
So konnte er auch seine Partei den National Democratic Congress (NDC) überzeugen, ihn als Wahlkreiskandidaten aufzustellen. Der NDC ist sozialdemokratisch ausgerichtet. Er orientiert sich an der britischen Labour Party. Von der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien hat Ghana nämlich 1957 große Teile des politischen Systems geerbt. So auch das Mehrheitswahlrecht: Ins Parlament kommt nur, wer einen Wahlkreis gewinnen kann.
Damit nicht regionale oder ethnische Interessengruppen die Politik bestimmen, sind nur Parteien zugelassen, deren Programm ganz Ghana im Blick hat. Regionale Interessen werden in der zweiten Parlamentskammer, dem House of Chiefs – der ghanaischen Parallele zum House of Lords in London – vom „Landadel“, den regionalen Häuptlingen vertreten.
Für seinen regionalen Chief war Alfred Osei-Poku, bevor er nach Hamburg berufen wurde, als ehrenamtlicher Entwicklungsbeauftragter tätig. Seit dieser Zeit darf er auch den Ehrentitel „King“ führen. Sein Ehrenname, auch wenn er sich nicht viel daraus macht, ist „King Jajah“
Das Wahlsystem bevorzugt große Parteien und im Wesentlichen hat Ghana ein Zwei-Parteiensystem, mit dem sozialdemokratischen NDC in der Opposition und der konservativen New Patriotic Party (NPP) derzeit an der Regierung. Auch der Wahlkreis Ofoase/Ayirebi wird derzeit von der NPP gehalten, aber Osei-Poku gibt sich kämpferisch: „Ich habe meine Laufbahn als Militärpastor begonnen und deshalb auch eine militärische Ausbildung. Ich kann mich durchsetzen“, sagt er. „Immerhin habe ich fünf Töchter großgezogen.“
Die Wahl ist im Dezember
Die Wahl ist im Dezember. Im August will Alfred Osei-Poku seinen Wohnsitz aus dem Phoenix-Viertel nach Ghana verlegen – zumindest für den Wahlkampf. Und auch, wenn er gewählt wird, will er noch oft nach Deutschland zurückkommen, um hier Sponsoren für seine Projekte zu gewinnen. Was nimmt er aus 20 Jahren Hamburg mit?
„Mich hat beeindruckt, wie zielorientiert und effizient hier gearbeitet wird. Das habe ich mir auch angewöhnt, und es gefällt mir“, sagt er. „Und das müssen wir auch in Ghana umsetzen. Denn sonst haben wir weiterhin sehr viele ehrgeizige und relativ gut ausgebildete junge Leute ohne Perspektive. Die wandern dann aus. Das muss sich ändern.
Und auch hier gilt: Langfristig brauchen wir eine strukturelle Änderung, kurzfristig Hilfe von außen. Mein nächstes Projekt wird sein, Mikrokredite für Start-ups zu organisieren.“
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