Buxtehude/Cuxhaven. Bahnhöfe galten einmal als wichtige Eingangstore auch kleiner Städte, gerade Ende des 19. Jahrhundert entstanden in Norddeutschland daher viele repräsentative Backstein-Gebäude an den damals noch neuen Schienenwegen. Wenn man sich aber heute anschauen möchte, was aus diesen Regionalbahnöfen oft geworden ist, sollte man in Harburg in die Regionalbahn steigen, ein Ticket nach Cuxhaven lösen und einfach einmal losfahren.
Erste Station ist dann Buxtehude: Dunkler Schmutz hat sich dort in die Bahnhofsfassade gegraben, leere Fensterhöhlen prägen das Obergeschoss, ein Kiosk ist verrammelt, die frühere Gaststätte schon lange geschlossen und Holzstützen halten notdürftig die Außenwand davon ab, einfach in sich zusammenzufallen.
„Das Gebäude verfällt, dabei ist es unsere Visitenkarte“, empört sich Alexander Paatsch. Der SPD-Ratsherr ist Mitglied einen parteiübergreifenden Initiative, die diesen Zustand beenden will. Seit einigen Wochen sind sie nun dabei, Mitstreiter zu werben. Wie genau die Rettung aussehen könnte, ist noch unklar. „Es gibt viele Ideen, vielleicht kann die Stadt das Gebäude übernehmen. Und Bürger betreiben es“, sagt Paatsch. Klar aber ist, dass es ein Vorbild gibt: In Cuxhaven.
Um sich dort ein Bild zu machen, wie ein Bahnhof aussehen könnte, wenn Bürger die Sache selbst in die Hand nehmen, braucht man mit der Regionalbahn also nur weiter Richtung Nordsee fahren. Eine Stunde etwa rauscht der blaugelbe Zug an weiteren, verfallenen Bahnhofsgebäuden vorbei. Dann ist die Stadt an der Nordsee erreicht. Wer vorher hier schon einmal mit der Bahn angereist war, wird beim Anblick des mächtigen Gebäudes überrascht.
Die Fassade, ein typisches Beispiel der neogotischen Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts, strahlt jetzt hellrot, neue riesige Sprossenfenster bringen Licht. Die gerade wiedereröffnete Bahnhofshalle ist in einem pastellfarbenen Ton gestrichen, die Wände schmücken Reliefs mit maritim-künstlerischen Motiven und die Wartebank ist liebevoll wie ein kleines Schiff gestaltet.
Ein neuer Buchladen hat hier gerade geöffnet, eine Autovermietung mit Fahrradverleih lässt zur Zeit ihre Räume ausbauen, Reisende holen sich ihren Kaffee aus einem hellen Bistro. Und dort, wo jahrelang eine geschlossene Spielhalle den Charme von Verfall und Niedergang ausstrahlte, sind Arbeiter dabei, die letzten Bodenbeläge für ein Restaurant zu verlegen, das mit seinen mächtigen Fenstern und hohen Decken an Bahnhofsgaststätten erinnert, als sie noch zu den ersten Adressen einer Stadt gehörten.
Für fünf Millionen Euro ist dieses etwa 2000 Quadratmeter große Gebäude im letzten Jahr grundsaniert worden. Nicht von einem Investor, sondern von einer Genossenschaft mit derzeit 604 Mitgliedern. Ein Großteil der Investition wurde aus ihren Anteilen bestritten, hinzu kamen Fördermittel und Kredite.
Das Besondere: Die Genossenschaft übernahm nicht nur die Sanierung, sondern betreibt den Bahnhof selbst. Gerade konnte sie das Gebäude zu 100 Prozent vermieten. Städtische Einrichtungen wie die Touristeninformation werden dort demnächst noch einziehen oder auch Büros für Taxenbetriebe und Bahngesellschaften.
Der „Bürgerbahnhof Cuxhaven“ sei damit einer der vier, fünf Beispiele in Deutschland, die zeigten, wie aus verrotteten Bahnhöfen wieder attraktive Zentren gemacht werden können, sagt Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn. Eine Art Gegenbewegung zum allgemeinen Verfalls entstehe da gerade, sagt er. Vielerorts aber würden Bahnhöfe noch vergammeln, weil die Bahn die Gebäude nicht mehr für ihren eigentlichen Betrieb benötigt.. „.Man braucht aber die Kommunen und gute Ideen, um das zu ändern“, sagt Naumann.
Gute Ideen hatte man am Anfang auch in Cuxhaven, die Unterstützung der Stadt nicht gleich. „Wir waren am Anfang die Spinner“, sagt Michael Glenz vom Genossenschaftsvorstand. Dabei ging es zunächst nur um die Rettung des Gebäudes, das wie in Buxtehude ziemlich heruntergekommen war. Und das in einer Stadt, die maßgeblich vom Tourismus lebt. „Viele haben sich geschämt dafür, und haben ihre Gäste lieber mit dem Auto vom Bahnhof Otterndorf abgeholt“, sagt Axel Schneider, der heute hauptberuflicher Gebäudemanager der Genossenschaft ist.
Der Zorn der Cuxhavener kam zunächst mit den Plänen zu Stuttgart 21. Dort investierte die Bahn Milliarden, ließ aber Regionalbahnhöfe verfallen. Das wollten viele in Cuxhaven nicht akzeptieren. Es entstand eine Bürgerinitiative, man organisierte witzige Demos – etwa passend für eine Hafenstadt mit symbolischen Rettungsringen.
Anfangs aber wollte der Stadtrat nicht so recht, verhandelte lieber mit einem Investor, der dort Fachmärkte und Parkplätze bauen wollte. Der Druck aus der Bürgerschaft wurde aber größer. 2013 gründeten zunächst 54 Cuxhavener die Genossenschaft und gingen finanziell auch ins eigene Risiko, um eine erste Machbarkeitsstudie zu finanzieren.
Der Mut zahlte sich aus und die Stadt kaufte mit ihrem Vorkaufsrecht schließlich der Bahn das gesamt Areal rund um den Bahnhof ab und verkaufte das Gebäude für 225.000 Euro gleich weiter an die Genossenschaft, die dann mit Sanierung starten konnte.
Und wenn alles gut läuft, wird die ihren Mitgliedern in einigen Jahren aus dem Vermietungsgeschäft sogar eine kleine Rendite zahlen können. Ein Modell, so sagt Pro-Bahn-Sprecher Naumann, das man auch weiterdenken könnte. Für kleine Schienenstrecken etwa, die ebenfalls vielerorts verfallen.
Geschichte
Im Jahre 1881 wurde auf der Strecke zwischen Stade und Harburg die Niederelbebahn in Betrieb genommen, die wenig später bis Cuxhaven ausgebaut wurde. Buxtehude wurde damit an das neue Eisbahnnetz angeschlossen und bekam einen eigenen Bahnhof, 1928 kam eine Schienenverbindung nach Harsefeld hinzu. Seit 2008 wird der Buxtehuder Bahnhof auch von der Hamburger S-Bahn angefahren, die S 3 fährt von dort über Harburg bis zum Hauptbahnhof.
Der Cuxhavener Stadtbahnhof wurde indes 1898 eröffnet, nachdem die Niederelbebahn in den Jahren zuvor noch den Hafenbahnhof angefahren hatte.Weitere Infos: www.buergerbahnhof-cuxhaven.de
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