Marmstorf. Die Straßen Feuerberg, Kleefeld und Suerfeld kennt kaum jemand. Auf der Marmstorfer Poststraße ist man trotz Tempo 30 schnell an ihnen vorbeigefahren, gerade jetzt, wo alles sprießt und wuchert. Ein Verkehrsschild, Katalognummer 325.1, am Straßeneingang weist die Straßen als verkehrsberuhigten Bereich aus – umgangssprachlich wird Spielstraße gesagt, das ist als Begriff aber nicht mehr korrekt. Doch der Inhalt bleibt: Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer sind hier gleichberechtigt. Auch, wer schneller kann, soll hier Schrittgeschwindigkeit fahren, Vorsicht walten lassen und Rücksicht nehmen. Weil das kaum passiert, stehen Paul und Marvin in elterlicher Begleitung am Straßenrand und verteilen handgeschriebene Flugblätter an vorbeifahrende Autofahrer. „Bitte fahren Sie langsamer, damit wir hier auch spielen können!“ steht darauf in erstklassiger Erstklässlerschrift. Und damit meinen sie nicht nur die Anwohner in den gut 40 Häusern des Quartiers.
Denn auch wenn die Namen der drei Straßen vielen Menschen nichts sagen: Benutzen tun sie diese doch. „Vor allem, seit sich der Verkehr wegen der Autobahnbaustellen in ganz Harburg staut“, sagt Marvins Vater Manuel Schneider. „Wir werden gerne als Ausweichstrecke zum Marmstorfer Weg genommen.“
Und weil der Durchgangsfahrer es eilig hat, wird das blaue Schild mit den spielenden Kindern gerne ignoriert. „Die Fahrer denken aus irgendeinem Grund, dass sie hier 30 fahren dürfen, aber das stimmt ja gar nicht“, sagt Schneider, „30 ist hier schon ohne Kinder und Fußgänger viel zu schnell!“
In der Tat weist das Viertel viele unübersichtliche Ecken und zwei unerwartete Kurven auf. Die üppige Vegetation dieser Tage tut ein Übriges. An einigen Stellen passt ein Auto gerade mal so durch die Büsche hindurch. Verbreitert sich die Straße hinter der Engstelle wieder, entstehen tote Winkel, in denen Fußgänger übersehen werden können. Vor allem Kinder und sehr alte Menschen sind gefährdet, beide Gruppen sind hier stark vertreten.
Nicht nur Paul und Marlon sind heute aktiv: In einer Sackgasse am Suerfeld haben sich die Nachbarn getroffen um gemeinsam in Aktion zu treten. Hauptsächlich sind es Eltern mit kleinen Kindern, die hier Transparente malen, Luftballons aufpusten und neue Flugblätter schreiben. Viele junge Familien sind in den letzten Jahren hierher gezogen. In den drei Straßen findet gerade ein Generationenwechsel statt. Auch einige der älteren Anwohner machen mit oder kommen zumindest vorbei, um den jüngeren zu sagen, wie gut sie die Aktion finden. Die Transparente und Luftballons sollen später an vielen Stellen des kleinen Quartiers die Autofahrer dazu auffordern, die Rücksicht zu nehmen, die sie laut offiziellem Schild ohnehin nehmen müssen.
„Die Polizei hat hier auch schon einmal Handzettel verteilt, aber man muss die Autofahrer wohl immer wieder darauf aufmerksam machen“, sagt Manuel Schneider, „denn es sind auch immer wieder andere Autofahrer. Wenn es nicht der Ausweichverkehr der Staus ist, sind es ganz oft Marmstorfer und Sinstorfer aus den benachbarten Siedlungen, die durch unsere Straßen abkürzen. Einige Sinstorfer fahren sogar ein Stück in die nächste Siedlung hinein und dann durch die Märchenwaldschlucht zum Appelbütteler Weg, um das Durchfahrtsverbot am Feuerteich zu umgehen.“
Auf Wunsch der Anwohner hat die Polizei vor einigen Jahren Messungen und Zählungen durchgeführt. Dabei wurde allerdings keine hohe Verkehrsbelastung festgestellt. Die Höchstgeschwindigkeiten, die gemessen wurden betrugen jedoch bis zu 35 Stundenkilometer, die Durchschnittsgeschwindigkeit 15,9. Das ist deutlich schneller, als die meisten Definitionen von Schrittgeschwindigkeit. Bislang wurden in den drei Straßen lediglich zwei Katzen überfahren. „Wir sollten verhindern, dass Menschen hinzukommen!“, sagt Manuel Schneider.
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