holtorfsloh. Bis vor einem halben Jahr hingen im kleinen Wäldchen zwischen Holtorfsloh und Ashausen noch fünf Rotmilannester. Jede der etwa 50 Zentimeter im Durchmesser messenden Brutstätten hing in einigen Metern Höhe in den Bäumen. Heute sind die Nester wie vom Erdboden verschwunden. Dafür steht dort etwa 150 Meter entfernt eine nagelneue Windkraftanlage.
„Wir möchten wissen, wie das passiert ist. Wir können uns nicht vorstellen, dass das Verschwinden der Nester eine natürliche Ursache hat“, sagt Udo Rubner, Mitglied des Ohlendorfer Vereins für einen gesunden Lebensraum.
In der Umgebung gibt es 15 Windräder
Die Bürgerinitiative setzt sich schon seit zehn Jahren für Naturschutzprobleme in der Gegend ein. Rubner ist empört darüber, dass es nun schon 15 Windräder in der Umgebung gibt. „Unverschämt ist, dass die neue Windkraftanlage so nahe an einem Wäldchen gebaut wurde, in dem heimische Vögel brüten“, sagt er.
Zusammen mit Eckart Grote sucht er nach den Ursachen des plötzlichen Nesterverschwindens. „Im Sommer vergangenen Jahres haben wir die Horste zum letzten Mal gesichtet. In einem wurde gebrütet. Wir haben Eier gesehen“, beschreibt Grote die Situation vor einem halben Jahr.
Zeitgleich sollte damals der Bau eines Windrades in nur 150 Metern Entfernung beginnen. Die Anlage an dieser Stelle zu errichten, wurde bereits im Dezember 2016 durch den Landkreis Harburg genehmigt.
„Als wir über den Winsener Nabu mitgeteilt bekamen, dass die Vögel dort brüten, haben wir uns mit dem Betreiber zusammen gesetzt und vorerst einen Baustopp verhängt“, erklärt Bernhard Frosdorfer, Pressesprecher der Kreisverwaltung.
„Wir haben die Genehmigung damals nach langer Abwägung nicht rückgängig gemacht“, so Frosdorfer. Ausschlaggebend sei gewesen, dass anderen Windradbetreibern der Bau im Umkreis genehmigt wurde und es keine Anzeichen dafür gegeben habe, dass die Rotmilane durch die Anlagen gestört werden. Einfluss dürfte auch der Windradbetreiber gehabt haben.
Kurze Zeit später beobachteten die Vogelfreunde, dass der Rotmilan seine Brut abbrach: „Das kann natürlich Ursachen gehabt haben. Wir können aber nichts nachweisen“, sagt Jürgen Hüls-kämper, Mitglied der Winsener Nabu-Gruppe. Damals fand er nur die Schalen der zerstörten Eier. Auch Eckart Grote meint, es könnte sein, dass natürliche Feinde wie Mäusebussarde oder Krähen damals zugeschlagen haben.
Große Fragezeichen wirft allerdings auf, warum die großen Horste spurlos verschwunden sind. Denn normalerweise zerstört der Rotmilan seine Brutstätten nicht, wenn er das Brüten beendet. Er kehrt im Frühjahr gern – nachdem er aus dem Süden kommt – wieder an gewohnte Orte zurück. Die Frage nach den verschwundenen Nestern warf Udo Rubner auch in die Runde der Ortsratsmitglieder am Donnerstagabend. Dort blickten ihn antwortlose Gesichter an.
Auch die Kreisverwaltung ist ahnungslos: „Wir wissen nicht, wo die Nester sind. Wir haben sie nicht entfernt“, so Frosdorfer. Seiner Meinung nach könnte auch einer der vielen Stürme Schuld sein, die in letzter Zeit im Landkreis wüteten. Allerdings seien die Nester schon vor dem ersten größeren Sturm im September verschwunden gewesen, sagt Eckart Grote, der das kleine Wäldchen regelmäßig beobachtet.
Nach dem Verschwinden der Brutstätten, setzte der Betreiber den Bau des Windrades im Herbst 2017 fort. Mittlerweile ist es fertig und wurde vor Kurzem in Betrieb genommen.
Kreisverwaltung bietet einen Kompromiss an
Udo Rubner ist davon überzeugt, dass die Nester nicht auf natürlichem Weg verschwunden sind. „Es gibt diverse Fälle, in denen Rotmilannester mutwillig zerstört oder entfernt wurden“, berichtet Anna Binczik, Mitarbeiterin im Team Natur- und Artenschutz der Deutschen Wildtierstiftung. Sie beschäftigt sich speziell mit dem Bau von Windkraftanlagen und dem Verschwinden von Rotmilanen, die mittlerweile in Deutschland sogar bedroht sind und rät der Bürgerinitiative, jeden toten Vogel auf der Meldeplattform unter www.greifvogelverfolgung.de zu registrieren.
Die Kreisverwaltung bietet indes als Trostpflaster einen Kompromiss an: „Wir werden ein Monitoring durchführen und sollten die Rotmilane zurück kommen, ordnen wir dem Windradbetreiber an, die Anlage tagsüber abzuschalten“, so der Kreissprecher. Unklar ist allerdings, wann und durch wen dieses Monitoring durchgeführt wird. „Eine nachträgliche Auflage zur Durchführung von Vermeidungsmaßnahmen, wie dem Abschalten der Anlage, scheint es häufiger zu geben“, meint Binczik. Sicher ist, dass Eckart Grote und Udo Rubner im Frühjahr besonders wachsam auf den Milan warten werden.
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