Finkenwerder

Kamishibai – Glücksmomente aus Holz und Papier

| Lesedauer: 5 Minuten
Martina Berliner
Vorhang auf! Silke Borchert hebt die erste Karte ihrer Papierbühne

Vorhang auf! Silke Borchert hebt die erste Karte ihrer Papierbühne

Foto: Martina Berliner / HA

Erzähltheater: Silke Borchert verzaubert nicht nur Kinder mit ihrer Bühne im Taschenformat.

Theater, Theater“, rufen die Kinder der Kita „Elbhalle Finkenwerder“. Sobald Silke Borchert auftaucht, holen die Kleinen Sitzkissen und machen es sich im Bewegungsraum auf dem Spielteppich bequem, der nun für eine halbe Stunde „Zauberteppich“ heißt. Im mit Tüchern dekorierten, in geheimnisvolles Licht getauchten Zimmer tauchen sie aus dem oft hektischen Kindergartenalltag ab ins Reich der Fantasie.

Was sie zum Träumen bringt, ist etwas ganz Besonders. Eine simple Holzkiste, nur etwas größer als ein Schuhkarton, aber viel flacher. Im Inneren stecken Bildkarten aus Pappe. Wenn zum Glockenspiel langsam die Türen aufgeklappt werden, erscheint zunächst einmal die Zeichnung eines roten Vorhangs. Augenblicklich verstummt jedes Geplapper. Was wird wohl heute dahinter sein?

Silke Borchert beginnt zu erzählen und zieht dabei eine Karte nach der anderen hervor. So werden ihre Worte in den Köpfen mit Bildern verknüpft, was die Intensität des Erlebnisses verstärkt. Das Tempo des Fortgangs bestimmen die Kinder mit Bemerkungen und Fragen zu den Szenen, die sie auf den Abbildungen sehen, wieder erkennen und zu eigenen Geschichten anregen.

Sie malen ihre Ideen und erläutern sie im Rahmen der Bühne. „Das Theater verleiht auch schüchternen Mädchen und Jungen den Mut, vor anderen frei zu sprechen“, berichtet Silke Borchert, die eine pädagogische Facharbeit zu diesem Thema geschrieben hat.

Kamishibai heißt dieses Erzähltheater. Das ist japanisch und bedeutet Papierbühne. Der Vorteil des Mediums gegenüber dem Bilderbuch liegt auf der Hand: Alle Kinder einer Gruppe können gut sehen und tatsächlich herrscht trotz der Winzigkeit der Bühne Theateratmosphäre. Gespielt werden kann überall, auch draußen.

Und der Fundus der Geschichten ist groß. Silke Borchert besitzt mehr als 30 Bildkartensets, darunter klassische Märchen und lebensnahe Geschichten, Spiellieder und Klanggeschichten. Ihre Vorführungen machen nicht nur Kindern Spaß, sondern auch Erwachsenen. Speziell für Senioren besitzt sie Bilder-Stapel mit Motiven aus längst vergangenen Jahrzehnten.

Die darauf gezeigten Gegenstände und Alltagszenen wecken Erinnerungen, fördern längst vergessen Geglaubtes wieder zutage und sorgen für Gesprächsanlässe weit über die Kamishibai-Vorführung hinaus.

Biografie-Arbeit in Altenheimen, Sprach- und Kreativförderung im Kindergarten, Aufführungen zu öffentlichen und privaten Anlässen – Silke Borcherts Spektrum ist breit gefächert. So breit wie ihre Ausbildung. Die 48-Jährige ist dreifache Welt- und zweifache Europameisterin im Einzelvoltigieren, gelernte Bankkauffrau und Bilanzbuchhalterin, staatlich anerkannte Erzieherin und zertifizierte Lachyoga-Leiterin.

Sie hat an Musical-Workshops und Seminaren zu kreativem Kindertanz teilgenommen, hat sich bei Experten Stimm-, Sprech- und Präsentationstraining unterzogen. Seit Anfang des Jahres ist sie selbstständig und fühlt sich beruflich angekommen. „Ich verdiene zwar jetzt weniger Geld als früher als Buchhalterin. Aber dafür habe ich viel mehr Spaß. Mit der Geburt meiner heute siebenjährigen Tochter ist mir klar geworden, dass ich das Bedürfnis habe, mit lebendigen Menschen zu arbeiten und nicht mit toten Zahlen.“

Kamishibai verzaubert. Auch Silke Borchert selbst. Während sie erzählt, leuchten ihre Augen, spiegeln sich Freud und Leid der Geschichte in ihrer Mimik. Sie lässt ihre Stimme rufen und flüstern, fisteln und brummen, quietschen und quaken. Ganz gleich, ob kleine oder große Leute vor ihr sitzen – das gute Gefühl, ihrem Publikum eine halbe Stunde Glück zu schenken, beflügelt sie.

Silke Borcherts Dienste lassen sich übrigens auch verschenken. So werden ihre wöchentlichen Besuche in der Finkenwerder Kita vom Verein „Kinderlicht“ gesponsert. Zurzeit ist Silke Borchert darüber hinaus mit Kitas und Seniorenheimen rund um ihren Wohnort Hittfeld im Gespräch.

Wer sie und ihr Kamishibai erleben möchte, hat dazu Gelegenheit am kommenden Freitag, 17. November. Im Rahmen des bundesweiten Vorlesetags tritt Silke Borchert in der historischen Wassermühle Karoxbostel (Karoxbosteler Chaussee 51, Seevetal) auf und trägt sowohl Kindern als auch Senioren aus Büchern und mit dem Erzähltheater vor. Ab 11Uhr liest sie Kurzgeschichten aus dem Buch „Eigentlich bin ich nur außen alt…“.

Von 14 bis 16 Uhr präsentiert sie für Kinder ab 6 Jahren Märchen und Geschichten.

https://www.du-und-ich-begegnungspunkt.de/ Papierbühnen Kamishibai wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Japan populär. Und zwar nicht als Kunstform, sondern als Werbemittel. Die Papierbühnen gehörten zur Ausstattung mobiler Süßigkeitenverkäufer.


Bei ihren Fahrrad-Fahrten über Land transportierten sie die handlichen Holzkästen auf dem Gepäckträger und lockten an jeder Station mit Kurzvorstellungen Zuschauer an, um den Verkauf anzukurbeln.


Mit der Verbreitung von Fernsehgeräten verlor das Straßentheater an Bedeutung und war schon fast vergessen, als es Mitte der 1970er-Jahre in Europa wieder belebt wurde – von Kinderbuch-Vermittlern bei der Buchmesse in Bologna.

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