Serie

Das Jahr auf dem Hof

| Lesedauer: 8 Minuten
Bianca Wilkens
Memo Öküzgbogan (v.l.), Leon Beckmann von den Elbe-Werkstätten und Gruppenleiter Jens Pfister entfernen den Strunk von den Tomaten, damit die Suppe nicht bitter schmeckt

Memo Öküzgbogan (v.l.), Leon Beckmann von den Elbe-Werkstätten und Gruppenleiter Jens Pfister entfernen den Strunk von den Tomaten, damit die Suppe nicht bitter schmeckt

Foto: Bianca Wilkens / HA

Die Jahreszeiten den Takt auf dem Betrieb von Uli Overmeyer. Die Produkte werden in der Manufaktur veredelt. Neunter Teil der Serie

Spargel zu Weihnachten, Erdbeeren im Februar und Tomaten das ganze Jahr. Wer möchte, kann nahezu jede Frucht zu jeder Zeit haben. Der Hof Overmeyer wendet sich ab von dieser Praxis, dass alles immer zu bekommen ist. Stattdessen bestimmen die Jahreszeiten den Takt auf dem Betrieb von Uli Overmeyer. Das verknüpft Overmeyer mit der Veredelung der Produkte in seiner Manufaktur.

Beispiel: die Tomatensuppe. Jetzt, wenn die Tomaten reif sind, verarbeitet Overmeyer das Fruchtgemüse zu Suppe, die über den Winter verzehrt werden kann. Ganz nach einer alten Regel, die heute meistens nur noch die Großeltern kennen: Die Früchte des Sommers sind die Schätze des Winters.

Das klingt, als sei der Landwirt etwas aus der Zeit gefallen. Tatsächlich aber bedient Overmeyer damit einen wachsenden Trend. Das ist unter anderem an der aktuellen Ernährungsstudie „Iss was Deutschland“ der Techniker Krankenkasse ablesbar. Von den Befragten gaben 79 Prozent an, regional und saisonal einzukaufen. Zugleich fand die Studie heraus, dass viele Menschen nicht zum Kochen kommen. Von den Befragten, die nur ein- oder zweimal pro Woche aus frischen Zutaten etwas am Herd zaubern, begründete es knapp die Hälfte damit, dass die Zeit fehle.

In diese Lücke stößt Overmeyer. Er veredelt das Gemüse, ohne Zusatzstoffe und Geschmacksverstärker beizumischen. „Die Suppen schmecken dadurch wie frisch und nicht wie aus der Konserve, so als hätte man sie selbst gekocht“, sagt Uli Overmeyer. Mit der hofeigenen Verarbeitung macht er sich unabhängig von der Lebensmittelindustrie und dem Handel. Dazu gingen immer mehr Landwirte über, sagt Ottmar Ilchmann, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft in Niedersachsen. „Das ist auch ein Ausdruck einer schwierigen Lage, in der sich die Landwirte befinden und nach weiteren Verkaufsmöglichkeiten suchen“, sagt Ilchmann.

Beim Plan von Uli Overmeyer, eine Manufaktur zu eröffnen, spielte Andre van Ravenzwaay eine große Rolle. Der Koch hat nach seiner Ausbildung in Bremen auf unterschiedlichen Höfen in Kanada und Europa gearbeitet und eine Leidenschaft für die biodynamische Landwirtschaft entwickelt. Viele Jahre trug er die Idee mit sich herum, überschüssiges Gemüse zu verwerten. „Es gibt immer Dinge, die übrig bleiben“, sagt er. Das kann Gemüse zweiter Wahl wie etwa geplatzter Kohlrabi oder ein Überschuss einer reichen Ernte sein.

Auf dem Hof Overmeyer konnte Andre van Ravenzwaay seine Idee der Manufaktur umsetzen. Im Jahr 2012 stieg er in das Geschäft ein und entwickelte gemeinsam mit Uli und Kerstin Overmeyer die Produktlinie: Brotaufstriche, Dressings und Suppen. Zuerst ging es darum, das ganzjährige Gemüse vom Hof Overmeyer zu verarbeiten. „Gerade probieren wir immer mehr mit saisonalem Gemüse herum“, sagt er. Etwa mit Tomaten. Die Gemüsefrucht ließe sich aufgrund ihres niedrigen PH-Werts gut und lange für den Winter haltbar machen, sagt van Ravenzwaay.

Zwar stammen die Tomaten nicht aus dem eigenen Anbau von Overmeyer, da er lediglich Freilandgemüse anbaut. Doch auch hier verfolgt der Biolandwirt die Maxime, einen Produktüberschuss zu nutzen: Da die Tomaten auf einen Schlag reif werden, stehen die Landwirte unter einem enormen Druck, das Gemüse zu verkaufen. In dem Moment nimmt Overmeyer Ware ab und veredelt sie. Die Tomaten für die 100 Liter Suppe hat Overmeyer dem Hartmannshof in Rotenburg abgekauft.

In der Verarbeitung arbeitet Uli Overmeyer mit den Elbe-Werkstätten zusammen. Auch diesen Kooperationsgedanken brachte Andre van Ravenzwaay in den Betrieb ein, nachdem er schon auf der Glenora Farm der weltweiten Organisation Camphill auf Vancouver Island gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderung gemacht hatte. Zwei Jahre lang arbeiten die Mitarbeiter der Elbe-Werkstätten auf dem Hof der Overmeyers mit, um sich so beruflich zu orientieren. Einen Großteil ihrer Arbeit verrichten sie in der Manufaktur.

Dort beginnt auch heute ihr Arbeitstag. Und das mit einer Zahl, die erschlägt: 90 Kilo Tomaten und zehn Kilo Zwiebeln muss das Team der Elbe-Werkstätten zur Produktion von 100 Liter Tomatensuppe vorbereiten. „Bei einer solchen Masse kommt keine Begeisterung auf“, sagt Jens Pfister, Gruppenleiter bei den Elbe-Werkstätten in Marmstorf. „Das kann man auch nicht erwarten.“ Dennoch: Leon Beckmann, Memo Öküzbogan, Cuma Emre Sezer und Jens Pfister haben sich mit Messer und Schneidebrett gerüstet und sind bereit für den Schneidemarathon. Vor ihnen Tomaten, hinter ihnen auch. Nichts als Tomaten. Nach und nach schneiden sie den Strunk aus jeder Tomate heraus. „Sonst schmeckt die Suppe bitter“, erklärt Jens Pfister. Während Radio Hamburg seine Hits herunterdudelt, fliegen die bearbeiteten Tomaten von links und rechts in die Kiste.

Drei Stunden später der Gang zur Waage. Mindestens 85 Kilo Tomaten für 100 Liter Suppe sollten die Mitarbeiter der Elbe-Werkstätten bearbeiten. Endlich geschafft. Die Waage zeigt 87 Kilo an. Die Männer stapeln die Kisten auf einen Wagen und bringen die Tomaten in die Küche. Dort steht Küchenchef und Produktentwickler Andre van Ravenzwaay schon bereit.

Die Tomatensuppe besteht aus nur fünf Zutaten: Tomaten, Knoblauch, Zwiebeln und Feldbasilikum (beides vom Hof Overmeyer) und Olivenöl. Nur wenige einfache Grundzutaten sollen den Geschmack erzeugen. Der Eigengeschmack des Gemüses soll das Produkt prägen. „Das ist uns ganz wichtig, weil wir uns damit von der Konkurrenz abheben können“, sagt van Ravenzwaay.

Zunächst brät der Koch zehn Kilo Zwiebeln und 500 Gramm Knoblauch in einem Kipper, was so etwas wie eine überdimensionale Bratpfanne ist, an. Später fügt er die 87 Kilo Tomaten dazu. Sobald die Masse aufgekocht ist, wirft Andre van Ravenzwaay den Pürierstab an und fügt das Feldbasilikum hinzu. Nach 45 Minuten taucht er zum ersten Mal einen Löffel in die Suppe, um abzuschmecken. „Schon ganz gut“, sagt er.

Die Rezepte für die Suppen und Aufstriche hat er extra für die Overmeyer-Manufaktur entwickelt und zuerst mit kleineren Einheiten herumprobiert. „Da sind keine Rezepte drunter, die ich schon kannte“, sagt er. Insbesondere für den Brotaufstrich war es schwierig, die Balance zwischen einem hohen Gemüseanteil und der richtigen Konsistenz zu finden. „Ein Brotaufstrich aus reinem Gemüse hat überhaupt keine Struktur und erinnert an Babybrei“, sagt Andre van Ravenzwaay. Schließlich kam er auf die Idee, Getreide und Früchte hinein zu mischen.

Heraus kamen diese Aufstriche, die immer noch im Sortiment sind: Rote Bete mit Grünkern und getrockneten Feigen, Karotte mit Roten Linsen und getrockneten Tomaten sowie Steckrübe mit Kichererbsen und getrockneten Aprikosen.

Nach einstündigem Köcheln ist die Tomatensuppe fast fertig. Nur noch das Olivenöl fehlt, um der Suppe eine sämige Note zu geben. „Das Öl bricht die Säure der Tomaten und macht den Geschmack homogener“, sagt Andre van Ravenzwaay. Während der Küchenchef den rasselnden Pürierer durch die rote Masse bewegt, gießt die Köchin Maria Schubert fünf Liter Olivenöl in den Kipper.

Nochmal Abschmecken. Andre van Ravenzwaay nickt zufrieden. Dann in die Abfüllmaschine. Deckel drauf. Fertig ist die Suppe.

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