Harburg. Es herrscht dichtes Gedränge im Harburger Binnenhafen. Mehr als 40 Männer und Frauen scharen sich um einen begehbaren Container direkt am Wasser des Verkehrshafens. Ein Fahrrad-Graffiti prangt auf dem grünen Container, der direkt neben einer großen Lagerhalle auf dem Gelände von „Jugend in Arbeit“ steht. „Cycle Group“ heißt es dort, und etwas kleiner daneben: „Flüchtlingshilfe Binnenhafen“. Darum herum stehen und liegen Fahrräder auf dem steinigen Boden.
Im September 2014 wurde bekannt, dass im Harburger Binnenhafen bis zu 220 Flüchtlinge ihre neue Heimat auf dem Wohnschiff Transit finden würden. Eine Gruppe aus Anwohnern, Unternehmern und Beschäftigten aus der Nachbarschaft wollte die Flüchtlinge in Harburg willkommen heißen und rief deshalb die „Flüchtlingshilfe Binnenhafen“ ins Leben. Dort entstand die Idee einer Fahrradwerkstatt, in der Flüchtlinge ein Fahrrad erhalten können und auch selbst unter Anleitung die eigenen Fahrräder reparieren können. So sollte sich die Mobilität der Flüchtlinge verbessern. Im April 2016 öffnete dann der Container der Cycle Group im Harburger Binnenhafen die Tore, nur wenige hundert Meter vom Flüchtlingswohnschiff entfernt. Jeden zweiten Mittwoch sind die ehrenamtlichen Fahrradschrauber nun am Container anzutreffen.
Keine fünf Meter neben dem Container sitzt Klaus Woith auf einem Holzklappstuhl vor einem kleinen weißen Tisch aus Metall. „Mein Außenbüro“, sagt Woith lachend dazu. Der 67-jährige ist für die Organisation der gesamten Fahrradwerkstatt zuständig. Bei ihm können sich die Flüchtlinge in eine Liste eintragen, wenn sie ein Fahrrad erhalten möchten. Name. Adresse. Telefonnummer. Fahrradtyp. All das trägt Woith in seine Liste ein. Im Container können die Flüchtlinge sich das Fahrrad bei Heidi Woith-Zoschke, Klaus Woiths Ehefrau, abholen – wenn ein passendes Fahrrad gefunden und repariert worden ist.
Woiths Liste wird immer länger. „Das Personal, um die Werkstatt zu stemmen, haben wir inzwischen, aber uns fehlen schlichtweg die Ressourcen“, sagt er. Fast 300 Fahrradwünsche stehen auf der Liste. Bevor der Container öffnet, holen Klaus Woith und Heidi Woith-Zoschke Fahrradspenden bei den Spendern ab. Oft ist das Ehepaar mittwochs deshalb ab der frühen Mittagszeit unterwegs. Ab 17 Uhr öffnet dann der Container, ehe er meist gegen halb acht abends abgeschlossen wird.
Flüchtlinge müssen häufigMonate auf ihr Rad warten
Die ehrenamtliche Arbeit? Ein Fulltime-Job. „Zumindest mittwochs“, lacht Woith. Alle Mitglieder der Cycle Group haben trotzdem ein Lächeln im Gesicht, während sie an den Fahrrädern herumwerkeln. Und dennoch sind sie weiterhin auf Spenden angewiesen. Denn die Wartezeiten der Flüchtlinge auf ein Fahrrad betragen inzwischen Monate. Woith hat so bereits das ein oder andere enttäuschte Gesicht gesehen.
Aber die Flüchtlinge packen auch selber mit an. Zum Beispiel der 21-jährige Ghazi: Vor zwei Jahren ist er aus Syrien nach Deutschland geflohen. Zuerst lebte er in Frankfurt, seit einem Jahr wohnt er nun in Hamburg. Er nimmt Deutschkurse und hofft, bald eine Ausbildung als Mechaniker anfangen zu können. Die Fahrradwerkstatt besuche er auch, um sein Deutsch zu trainieren, sagt er. Zusammen mit Daniel Srozinski wechselt er den vorderen Reifen seines Fahrrads.
Daniel Srozinski ist einer von den ehrenamtlichen Schraubern, der sich um die Fahrräder der Flüchtlinge kümmert. Er ist auch einer von vieren, die die Cycle Group von Anfang an begleiten. Er erlebte so mit, wie sich das Projekt immer weiter entwickelte. Zwischenzeitlich lief die Arbeit am Container ziemlich chaotisch ab, sagt er. „Wir hatten kein Vorbild, an dem wir uns orientieren konnten“, so der 44-jährige. Die Idee einer ehrenamtlichen Fahrradwerkstatt umzusetzen, stellte sich schwieriger als gedacht dar. Zwischenzeitlich war der Andrang am Fahrradcontainer so groß, dass sich die Cycle Group gezwungen sah, ihn gar nicht erst zu öffnen. Und auch die Abläufe in der Werkstatt gerieten häufig ins Stocken. Doch mit der Zeit wuchs sowohl die Erfahrung als auch die Cycle Group selbst. Und inzwischen ist die Organisation straff und die Abläufe sind gut eingeübt.
Zehn Menschen kümmern sich um Werkstatt und Abläufe
Anfangs nur zu viert, sind inzwischen mehr als zehn Menschen ehrenamtlich in der Werkstatt tätig. Darunter auch die 25-jährige Anwar. Sie kam vor zwei Jahren aus dem Irak und engagiert sich seit vielen Wochen in der Cycle Group. Weil sie kurdisch, arabisch und deutsch spricht, kann sie auch bei möglichen Verständigungsproblemen helfen. Auch zwei Syrer helfen in der Fahrradwerkstatt mit. Sie alle arbeiten mit viel Freude daran, den Flüchtlingen in Harburg ihren Wunsch nach mehr Mobilität zu erfüllen. Solange der Vorrat an Fahrrädern reicht.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Harburg