Harburg/Winsen

Sie zeichnen den Alltag in der Stadt

| Lesedauer: 8 Minuten
Bianca Wilkens
Thorsten Kleier (v.l.), Doris Schliemann, Elke Schmidt und Tine Beutler fangen beim Urban Sketching städtische Motive ein

Thorsten Kleier (v.l.), Doris Schliemann, Elke Schmidt und Tine Beutler fangen beim Urban Sketching städtische Motive ein

Foto: Bianca Wilkens / HA

Urban Sketchers sind mit Block und Zeichenstift unterwegs. In unserer neuen Serie auch in Harburg oder Winsen.

Harburg/Winsen.  Wenn Thorsten Kleier, 52, sein Skizzenbuch aufschlägt, fällt als erstes auf, wie detailreich die Zeichnungen sind. Mit feinen kleinen Strichen hat er Rotklinkerfassaden nachempfunden. Oldtimer-Fahrzeuge wirken, als handele es sich um echtes Blech. In einer Laterne ist selbst die Glühbirne zu erkennen.

Thorsten Kleier gehört der Urban Sketching Szene an. Die Urban Sketchers fangen städtische Motive ein. Sie setzen sich einfach irgendwo hin und zeichnen das, was ihnen gerade ins Auge fällt. So entdecken sie die Welt neu für sich – Bild für Bild. Ihre Skizzen teilen sie mit anderen, indem sie diese auf Facebook posten. Für das Hamburger Abendblatt präsentieren jetzt vier Freizeitzeichner ihr Bild vom Hamburger Süden. Sie bewegen sich zeichnend durch die Region und zeigen ihre Skizzen in einer zehnteiligen Serie im Hamburger Abendblatt.

Das Skizzenbuch von Thorsten Kleier gab den Anstoß zu dieser neuen Serie. Dass eine solche Urban-Sketching-Szene existiert, erfuhren wir in der Recherche zur Kulturinitiative um den Filmproduzenten Jan-Philipp Lange aus Neu Wulmstorf. Wir nahmen Kontakt zu Thorsten Kleier auf, der damals, bevor er von Neu Wulmstorf nach Buchholz umgezogen ist, auch in der neuen Initiative für Kulturveranstaltungen in Neu Wulmstorf mitmischte.

Um einen Einblick zu bekommen, wie die Urban Sketchers zeichnen, luden wir Thorsten Kleier zu uns in die Redaktion ein. Sobald er sein Skizzenbuch öffnete, war klar: Das müssen wir unseren Lesern zeigen. Damit war die zehnteilige Serie war geboren.

Thorsten Kleier macht jetzt regelmäßig gemeinsam mit Elke Schmidt, 71, aus Hollenstedt, Doris Schliemann, 68, aus Meckelfeld und Tine Beutler, 53, aus Buxtehude, Jagd auf Motive. Unter anderem geht es nach Hittfeld, Buxtehude, Jesteburg und Buchholz. Für den ersten Teil der Serie begeben sich die Urban Sketchers in den Bezirk Harburg.

Die vier kennen sich aus der Hamburger Urban Sketching Szene. Blutige Anfänger sind sie alle nicht. Sie haben sich schon als Kind oder Jugendlicher für Stift und Block begeistert. Manche fanden im beruflichen Alltag kaum noch Zeit dazu und konnten sich erst wieder nach Jahren ihrer alten Leidenschaft widmen.

Dass sie das im Kreise Gleichgesinnter tun, ist unter anderem Thorsten Kleier zu verdanken, der die Treffen für die Urban Sketchers organisiert. Per Zufall entdeckte der Landschaftsgärtnermeister aus Buchholz vor ein paar Jahren ein Buch über Urban Sketching und schloss sich 2014 einigen Sketchern in Hamburg an. Die ersten Bilder entstanden am Oortkatener Hafen und in Pinneberg. Daraus entwickelte sich langsam die Idee, sich regelmäßig in Hamburg und Umgebung zu treffen und gemeinsam zu zeichnen.

Manchmal geht es dann zu historischen Gebäuden, manchmal zu bekannten Arealen wie beispielsweise zum Treppenviertel in Blankenese oder zum Museumshafen, zu belebten, aber auch unentdeckten Ecken. Auch im Landkreis Harburg war Kleier unterwegs und hat etwa das Museumsdorf Seppensen und den Harburger Hafen in seinem Skizzenbuch festgehalten. „Das Schöne ist, dass man durch das Sketching ganz neue Regionen kennen lernt“, sagt Kleier.

Die Bewegung fußt aufden sozialen Netzwerken

Ihre Wurzeln hat die Urban-Sketchers-Szene in den USA. Der spanische Journalist und Illustrator Gabriel Campanario aus Seattle rief 2007 die Urban-Sketchers (siehe Infokasten) ins Leben, erst auf Flickr und dann eröffnete er einen Blog. Als Tausende Menschen ihre Skizzen posteten, gründete Campanario eine gemeinnützige Organisation mit einem Acht-Punkte-Manifest (siehe Infokasten), an dem sich die Urban Sketcher auf der ganzen Welt orientieren.

Danach müssen die Urban Sketchers vor Ort zeichnen. Fotos als Vorlage zu nutzen oder der Fantasie freien Lauf zu lassen, sind tabu. Im Titel oder in der Beschreibung muss darüber hinaus stehen, in welchem Ort und in welchem Land der Urban Sketcher gezeichnet hat. Skizzen von Aktzeichen-Veranstaltungen oder posierenden Models sowie ein reines Stillleben ohne den Bezug zum Ort haben ebenso wenig etwas in der Sketching-Szene zu suchen.

Urban Sketchers vernetzen sich über die sozialen Netzwerke, vorrangig über Facebook. Weltweit hat die Facebook-Gruppe aktuell 56.723 Mitglieder. Aus der internationalen Bewegung sind inzwischen mehrere lokale Gruppen entstanden. So wie eben auch die Hamburger Urban Sketchers mit 556 Mitgliedern, die ihre Zeichnungen auf Facebook unter Urban Sketchers Hamburg veröffentlichen. Ganz gleich, ob es sich um Profis oder Amateure handelt, es darf jeder mitmachen. Es ist eine breit gefächerte Gruppe mit unterschiedlichen Altersstufen und Berufen.

Zwar ziehen die Urban Sketchers auch alleine los, um zu zeichnen. „Aber ich zeichne definitiv lieber in Gesellschaft“, sagt Tine Beutler. Eine Leidenschaft zu teilen, ist ja immer schöner. Zudem können sie sich am Ende über ihre Ergebnisse austauschen. „Es ist immer interessant zu sehen, wie andere mit dem gleichen Thema umgehen“, sagt Elke Schmidt.

Die Serienteile: 1. Harburg, 2. Hollenstedt, 3. Buxtehude, 4. Winsen, 5. Buchholz, 6. Hoopte, 7. Neu Wulmstorf, 8. Bendestorf, 9. Jesteburg, 10. Hittfeld Feste Regeln

Die Urban Sketcher zeichnen vor Ort in Städten, Orten und Dörfern, in denen sie zuhause sind oder zu denen sie reisen. Sie geben so Ereignisse des täglichen Lebens wieder. Die Motive sind Szenen aus Groß- und Kleinstädten und aus ländlichen Gebieten. Es können Gebäude, Parks, Märkte, Autos, Züge und Menschen sein. All das, was beobachtet wird, ist erlaubt. Das Motto lautet „We show the world, one drawing at a time!“ und heißt übersetzt „Wir zeigen die Welt, Zeichnung für Zeichnung!“


Ihre Arbeiten teilen die Urban Sketcher via Blogs und auf sozialen Netzwerken. Allerdings nur, wenn sie das Urban-Sketchers-Manifest befolgen. Das lautet so:

1. Wir zeichnen vor Ort, drinnen oder draußen, nach direkter Beobachtung.
2. Unsere Zeichnungen erzählen die Geschichte unserer Umgebung, der Orte, an denen wir leben oder zu denen wir reisen.
3. Unsere Zeichnungen sind eine Aufzeichnung der Zeit und des Ortes.
4. Wir bezeugen unsere Umwelt wahrhaftig.
5. Wir benutzen alle Arten von Medien.
6. Wir unterstützen einander und zeichnen zusammen.
7. Wir veröffentlichen unsere Zeichnungen online.
8. Wir zeigen die Welt, Zeichnung für Zeichnung.

Die Bewegung entstand in Seattle

Gabriel Campanario, spanischer Journalist aus Seattle gründete im Jahr 2007 die Urban-Sketchers-Bewegung. Sie startete zunächst als Gruppe in Flickr, einer Online-Fotoplattform. Um das journalistische Zeichnen – also das Abbilden des wirklichen Lebens im Umfeld der Künstler – zu fördern, gründete Campanario ein Jahr später den Urban Sketchers Blog für 100 Zeichner aus der ganzen Welt. Diese so genannten Urban-Sketchers-Korrespondenten verpflichten sich, regelmäßig ihre Zeichnungen im Blog zu zeigen und erläutern zudem, wie das Werk entstanden ist.

Der Blog wurde immer beliebter und zieht inzwischen täglich Tausende Besucher an. Die Zeichner treten zudem untereinander über unterschiedliche soziale Netzwerke, etwa Twitter, Facebook oder über Blogs in Kontakt. In den nachfolgenden Jahren haben sich lokale Gruppen gebildet, unter anderem auch eine in Hamburg.


Die entstandenen Skizzen sind ersichtlich auf Facebook unter Urban Sketchers Hamburg. Darüber hinaus tauschen sich die Zeichner auf dem Blog urbansketchershamburg.wordpress.com immer wieder untereinander aus.

( bwil )

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