Buxtehude. Der Patient hat sich ein falsches Gangbild angeeignet. Beim Menschen kennen Experten insgesamt 48 verschiedene Gangmuster, die krankhaft sind. Bei Vierbeinern dürfte die Anzahl möglicher Gehfehler noch höher liegen. Sarah Hartmann hat ein Auge für ungesundes Gehen, Gangbildanalysen gehören zu ihrem kleinen Einmaleins.
Die 25-Jährige hat eine Ausbildung zur Hundephysiotherapeutin absolviert und in Buxtehude eine Praxis mit dem Namen „Hundemunter“ eröffnet. Für viele Hundebesitzer dürfte die Erkenntnis überraschend sein: Jeder Hund lernt laufen, aber viele tun es falsch.
Herrchen oder Frauchen fällt es häufig nicht auf. Wenn ihr Vierbeiner scheinbar putzmunter freudig über die Wiese zu hoppeln scheint, reagiert das Tier möglicherweise instinktiv auf eine Erkrankung des Bewegungs- und Stützapparates und läuft in einer Schonhaltung Sarah Hartmann erkennt, ob ein Gangbild pathologisch oder gesund ist. Irgendwann macht der Hund auf seine Weise darauf aufmerksam, dass er Schmerzen hat: Er hechelt auffällig oft, schläft öfter, verweigert Sprünge.
Sarah Hartmann ist vom Pferd auf den Hund gekommen. Die Industriekauffrau reitet gern, dachte über eine Praxis für Pferdephysiotherapie nach. Dann aber ging es Familienhund „Rusty“ schlecht. Bei dem heute zehn Jahre alte Schäferhundmischling rieben die Wirbel so aneinander, dass es schmerzte. Sarah Hartmann sattelte um, ließ sich innerhalb eines Jahres in insgesamt vier Praxiswochen in Kirchlengern (Westfalen) zur Hundephysiotherapeutin ausbilden. In Deutschland ist diese Ausbildung privat organisiert.
Einem Menschen kann man erläutern, warum sein Gangmuster krankhaft ist – einem Hund nicht. Stattdessen führt die Hundephysiotherapeutin das Tier durch einen Stangenparcous. Cavaletti nennt sich das aus dem Pferdesport bekannte Hindernis. „Der Hund lernt so, die Beine in der richtigen Reihenfolge zu setzen“, erklärt sie.
Eine sechs Meter lange Sandbahn ist nicht etwa die Hundetoilette, sondern eine Trainingsstrecke. Auf dem weichen, nachgebenden Untergrund ist die Bewegung anstrengender und fördert den Muskelaufbau. Schäferhundmischling Rusty liebt den „Strandgang“, die Streckübungen an dem großen blauen Gymnastikball dagegen weniger. Auch ein Trampolin dient der Therapie. „Der Hund springt nicht, er wippt“, erläutert Sarah Hartmann. dabei übe er das Ausbalancieren.
Hüftdysplasie ist ein häufiges Leiden bei größeren Hunden wie Labrador oder Schäferhund. Dabei handelt es sich um eine Wachstumserkrankung mit der Folge, dass das Hüftgelenk nicht richtig ausgebildet ist. Eine weitere Form der Fehlbildung beim Hund sind Kreuzbandrisse. Kleingebaute Hunde leiden oft an einer Patellaluxation. Dann bekommt es Sarah Hartmann mit herausgesprungenen Kniescheiben zu tun.
Auch Hunde begeben sich zur Krankengymnastik auf die Massagebank. Die Vierbeiner liegen dazu auf der Seite. „In einer halben Stunde macht man beide Seiten“, erklärt Sarah Hartmann. Die Therapeutin detonisiert, das bedeutet, sie senkt mit der Massage die Muskelspannung.
Klingt alles wie beim Menschen. Nur das bei der Hundephysiotherapie ein Patient auf der Bank liegt, der zurückbeißen könnte. Hunde würden nie sofort zubeißen, wenn ihnen etwas unangenehm sei, sagt Sarah Hartmann. Selbst eine Bulldogge flößt ihr keine Furcht ein. Die seien ohnehin so gezüchtet, schmerzunempfindlich zu sein, sagt sie.
Die Tiere drücken sich mit Signalen aus – und die Hundephysiotherapeutin weiß sie zu deuten. Zieht der Hund ein Bein weg, sei das ein Zeichen, dass ihm die Massage Schmerzen bereitet. Viele Patienten genössen es, geknetet zu werden. Das erkennt die Therapeutin zum Beispiel am Strecken des Kopfes oder daran, dass das Tier während der Behandlung einschläft.
Der Hund gehört zur menschlichen Zivilisationsgeschichte wie der Ackerbau. Dabei ist es der Mensch, der den Hund krank macht. „Die Zucht ist der Grund, die bei den Rassen nur noch auf die Optik achtet“, sagt Sarah Hartmann. Statt Gesundheit und Wesen zu beurteilen, gewännen bei Ausstellungen die Hunde mit der korrektesten Fellzeichnung.
Zu viele Hunde sein übergewichtig. Unvernünftig große Mahlzeiten seien ein Grund dafür. Kastrierte Tiere hätten eine andere Verdauung und bräuchten weniger Nahrung. Das würden ihre Besitzer vergessen, sagt Sarah Hartmann. Bewegungsmangel ist eine weitere Ursache. Dreimal am Tag, jeweils mindestens 15 bis 30 Minuten, müsse ein Hund ausgeführt werden.
Auch Hundephysiotherapeuten leiden. Sarah Hartmann an einer Berufskrankheit. Etwa 1500 Hunde laufen in der Hansestadt Buxtehude – jedes Tier, dem sie begegnet, betrachtet sie analytisch. Den Jack-Russel-Terrier zum Beispiel, der seine Beine zu weit nach hinten wegstreckt, weil ihm gerade wieder die Kneischeibe herausgesprungen ist. Dem alten „Rusty“ aber geht es sichtbar besser. Die Cavaletti durchläuft er nur noch zum Spielen.
Sonntag, 26. Februar, 14 bis 17 Uhr, Tag der offenen Tür, „Hundemunter – Praxis für Hundephysiotherapie“, Bertha-von-Suttner-Allee 2, in Buxtehude
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