Neugraben-Fischbek. Da ist es, Am Röhricht 19 in Fischbek: ein Dorf mit 28 Häusern und aktuell knapp 120 Bewohnern. Doch wer auf Google Maps oder das Navi im Auto setzt, landet im Nirwana oder wahlweise am Röhrichtweg 19 in Hannover beziehungsweise Berlin.
Kein Wunder, denn bis vor gut zwei Wochen hieß das Gebiet, um das es hier geht, noch Am Aschenland II. Die Namensänderung hat sich noch kaum rumgesprochen, schon gar nicht bis zur Post oder Telekom. Die ersten Bewohner zogen indes am 20. Dezember ein. Bis zum 28. Februar sollen alle 25 Pavillonhäuser bezogen sein.
Und wenn es nach Michael Wedler (58) geht, dem Leiter dieser ersten vom DRK-Kreisverband Hamburg-Harburg betriebenen Folgeunterkunft für Flüchtlinge, wächst dann zusammen, was sonst nicht funktioniert: „Das wird hier ein richtig kleines Dorf.“
Ein Dorf aus 25 Wohnhäusern, einem Verwaltungs- und zwei Gemeinschaftsgebäuden, das nach Angaben des Zentralen Koordinierungsstabs Flüchtlinge für 23 Millionen Euro aus dem Boden gestampft wurde und in dem vom Frühjahr an 700 geflüchtete Menschen leben sollen.
Die meisten der knapp 120 Bewohner, die schon da sind, kommen aus Syrien, Afghanistan und Eritrea. Wedlers Statistik weist 65 Männer, 49 Frauen, 24 Familien und eine alleinstehende Frau aus sowie 47 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre. Ergibt ein Durchschnittsalter von 23 Jahren, sagt Wedler und freut sich: „Ideal für eine Fußballmannschaft.“
Jedes Haus hat vier Wohnungen (à 73 Quadratmeter) mit jeweils drei Zimmern, Küche, Bad. Die Standardeinrichtung sieht eine haushaltstypische Küche (ohne Geschirrspüler) vor, ansonsten Betten, Tisch, Stühle, Spinde, Vorhänge. Wer will (und hat), kann natürlich auch eigene Sachen aufstellen.
Wedler, der bislang mehrere Erstaufnahmen des DRK geleitet hat, sieht einen wesentlichen Unterschied zu seiner bisherigen Arbeit: „In den Erstaufnahmen bekommen die Flüchtlinge das Rundumpaket. Hier müssen sie zunehmend selbst Verantwortung übernehmen.“
Wedler kann auf ein Team von acht Sozialarbeitern und vier Haustechnikern bauen. Und dann ist da noch ein Sicherheitsdienst, den Wedler aber partout nicht so nennen will. Er spricht lieber von einem „Concierge-System“ – je zwei Leute besetzen nachts und an Feiertagen eine Pforte: „Das ist unser verlängerter Arm.“
Diese „Pförtner“ seien eine Besonderheit der neuen Fischbeker Folgeunterkunft und hätten sich bereits bewährt. „Als kurz nach Weihnachten bei einer Frau die Wehen einsetzen, waren sie es, die den Rettungswagen riefen.“
Wenn auch noch nicht alle Arbeiten abgeschlossen sind („die Häuser sind zu 95 Prozent fertig“), das Leben hier zeigt sich offenbar schon in allen seinen Facetten. Denn auch eine Hochzeit ist bereits in einem der Gemeinschaftshäuser gefeiert worden.
Nichtsdestotrotz sind Wedler und sein Team noch meilenweit von jeder Routine entfernt. Demnächst soll es einen Tag der offenen Tür geben, damit auch die Menschen aus der Nachbarschaft Gelegenheit haben, sich in der Unterkunft „Am Röhricht“ umzutun und „Atmosphäre zu schnuppern“, wie Wedler sagt.
Außerdem will er Kontakt aufnehmen zu den Initiativen, die sich ehrenamtlich engagieren, um zum Beispiel Deutschunterricht, Hausaufgabenhilfe und Kinderbetreuung anbieten zu können. Wedler sieht das als einen Prozess, der sich in Abstimmung mit Ehrenamtlichen und Bewohnern entwickeln muss und am Ende ein Ziel hat: „Wir wollen den Menschen hier all das an die Hand geben, was sie brauchen, um in Hamburg oder anderswo auf eigenen Füßen stehen zu können.“
Was sie dafür brauchen, ist dreierlei: Sprache, Arbeit und eine eigene Wohnung. Tatsächlich ist auch das Leben in dieser Folgeunterkunft nur eine Zwischenlösung – das Dorf selbst hat ein Verfallsdatum: „Der Vertrag läuft über 46 Monate.“
Wedler selbst hat genaue Vorstellungen davon, was er den Menschen, die hier in den kommenden Monaten leben werden, mit auf den Weg geben möchte: „Wertschätzung für das, was sie hier erfahren und Selbstverantwortung.“ Sie sollen sich nicht einigeln in ihren Häusern, sondern rausgehen, „damit es idealerweise zu einer Verzahnung hier mit und in dem Quartier kommt.“
Wedler hat aber auch gesehen, wie groß die Freude der Menschen ist, nach all den Monaten in einer der Erstaufnahmen endlich wieder so etwas wie Privatsphäre zu haben: „Sie haben den Schlüssel bekommen und waren glücklich. Dann haben sie erstmal gekocht.“
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