Geschäftsmodell

Modelleisenbahner lieben schlechtes Wetter

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Rolf Zamponi
Rüdiger Fischer mit einer Dampflok der Baureihe 38 der Spur 1 in seinem Büro und Lager in Winsen.

Rüdiger Fischer mit einer Dampflok der Baureihe 38 der Spur 1 in seinem Büro und Lager in Winsen.

Foto: Rolf Zamponi / HA

Der Winsener Kaufmann Rüdiger Fischer verkauft Waggons und Loks per Internet. Seine 10.000 Kunden kommen von allen Kontinenten.

Winsen.  Neujahr, Karfreitag und die Weihnachtsfeiertage: Das sind die Tage, die Rüdiger Fischer liebt. Nicht, weil es Feiertage sind, sondern weil sein Geschäft dann brummt. Am stärksten, wenn es wenig Aufregendes im Fernsehen gibt oder der Wind den Regen waagerecht niedergehen lässt. Dann ist die beste Auktionszeit. Dann loggen sich seine Kunden unter „Tunfisch 2“ bei Ebay ein und wollen rasch Lokomotiven, Waggons oder Schienen kaufen. „Wenn das Wetter schlecht ist, wird ohnehin schnell um bis zu 20 Prozent höher geboten. Manchmal steigt der Zuschlagspreis in den letzten 20 Sekunden um 50 Prozent “, erzählt Fischer. Die Bieter wollen die Ware unbedingt. Offensichtlich um den langweiligen Stunden einen Sinn zu geben.

Für den Ur-Winsener Fischer und seine Schwester Andrea Gehrke ist aus der Lust auf die kleinen Eisenbahnen längst ein einträgliches Geschäft geworden. Seit er selbstständig ist, schreibt seine Firma E-Commerce steigende, schwarze Zahlen. Innerhalb von sieben Jahre bis heute erzielte er mit rund 25.000 Auktionen einen Umsatz von 2,5 Millionen Euro. Zurückhaltender ist Fischer bei seiner Rendite. Nur so viel: Sie ist zweistellig.

Der 45-Jährige ist dabei gar kein Modelleisenbahner, der seinen Traum lebt. Vielmehr arbeitete sich der heutige E-Commerce-Chef als Sozial-Versicherungs-Fachangestellter zunächst bei zwei Betriebskrankenkassen bis zum Geschäftsstellenleiter hoch und erlebte in Schwerin den großen Kunden-Ansturm auf diese Kassen mit. Zuletzt führte er in der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns 80 Mitarbeiter.

Auf einem Flohmarkt in Schwerin kaufte er damals auch die erste Eisenbahn-Kiste für 50 Mark und konnte die Einzelteile für 300 Mark weitergeben. Das Startsignal für seine Geschäftsidee, in eine Nische des Modellbahngeschäfts vorzustoßen. 2005 meldete er eine Nebengewerbe an, 2007 kündigte er seinen Job und wurde zum 1. Juli gewerblicher Händler. Einer, der auch ganze Anlagen für 30.000 Euro ankauft oder bei Geschäftsauflösungen Ware für mehrere 100.000 Euro auf Provisionsbasis versteigert. Er ist wohl der einzige im Kreis, der dies anbietet.

Vor den Auktionen stehen stets Inserate von Fischer, der im Internet zudem unter zehn Fachbegriffen zum Thema zu finden ist. Für die vordere Position bei der Suchmaschine Google zahlt er mehrere 100 Euro im Monat an das Unternehmen. Das lohnt sich. „Die Zahl der Anfragen von Kunden für Ankäufe ist seitdem um den Faktor sieben gestiegen.“

Die Kunden melden sich also und bieten ihre Sammlungen an, ganze Anlagen oder auch einzelne Modelle, die schon mal aus den 50er-Jahren stammen können. „Ich lasse mir die Einzelteile und ihren Zustand genau beschreiben und mache ein verbindliches Angebot für den Ankauf. „Feilschen gibt es nicht, nur Ja oder Nein.“

Wird er sich mit dem Modellbahner einig, fährt er mit den entsprechenden Kartons zu ihm. Er zahlt „immer in bar.“ Anlagen werden abgebaut, die Modelle zu Hause in Winsen sortiert, gereinigt, technisch geprüft, für Ebay fotografiert und mit einem erklärenden Text versehen. Die Auktionen dauern dann meist von Sonntag bis Sonntag jeweils um 10.30 Uhr, weil zum Beginn und Ablauf die meisten Menschen zu Hause sind. „Die Auktionen beginnen bei einem Euro, aber der Preis steigt schnell“, ist Fischers Erfahrung. Ältere Modelle sind unter den Enthusiasten begehrt und damit wertbeständig.

Fischer verpackt die Lokomotiven und Waggons gemeinsam mit seiner Schwester zumeist noch am Sonntag, spätestens am Montag. Denn mehr als die Hälfte der Kunden zahlt in den ersten zwölf Stunden nach dem Zuschlag. Sobald das Geld eingeht, gehen die Pakete auf die Post und ab zu den Kunden.

Die sitzen inzwischen auf allen Kontinenten, einer der treusten unter den rund 10.000 arbeitet in Singapur. Der Manager, der sich mit Ölplattformen befasst, interessiert sich ausschließlich für Modelle der Deutschen Reichsbahn von 1923 bis 1945. Als Aufmerksamkeit schickt er mitunter Geschenke nach Winsen. „Kontakt gibt es auch mit anderen Sammlern“, sagt Fischer. Das geht sogar so weit, dass manche ihm auch ihre Puppensammlung oder den Jollenkreuzer für Auktionen überlassen haben. Fischer kennt sich ja bestens aus.

Das Interesse an Modelleisenbahnen steigt derzeit wieder, ist Fischer überzeugt. So zieht das Miniaturwunderland in Hamburg Menschen zu den kleinen Eisenbahnen hin. Dass Sammler und Enthusiasten mit wenigen Klicks auf dem Handy bei Internet-Auktionen dabei sein können, belebt das Geschäft. Künftig auch Neuware anzubieten, kommt für Fischer aber nicht infrage: „Die Margen sind zu niedrig.“ Darüber klagen auch Fachhändler, von denen einige Kunden bei dem Winsener sind. Ob sie die erworbenen Modelle als gebraucht verkaufen, will Fischer nicht beurteilen.

So wird er weiter einmal pro Woche unterwegs sein und Sammlern ihre Modelle und Modellbahnern ihre Anlagen abkaufen. „Manchmal“, erzählt er, „ist ein Haus vom Keller bis zum Dach vollgestellt, einschließlich Schlafzimmer und Bad. Und manchmal ist der Umzug vom Haus in eine seniorengerechte Wohnung der Grund, warum sich ein Eigner von seinen Stücken trennen muss.“ Dann kann es vorkommen, dass Tränen fließen oder dass der Besitzer gleich das Haus verlässt, weil er nicht zusehen will, wenn Fischer alles mitnimmt. „Das kann ich nachvollziehen“, sagt er. Immerhin handelt er schnell und zahlt bar.

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