Volker von Witzleben bringt die Kaffeeklappe nach Wilhelmsburg zurück - für Arbeiter und Akademiker

Die Kaffeeklappe kehrt nach Wilhelmsburg zurück. Dabei ist das gleichnamige Bistro, das am Sonnabend, 21. März, in der Fährstraße 69 eröffnet, keine Wiedergeburt der Hafenarbeiterkantine aus dem 19. Jahrhundert. Vielmehr greift der 28 Jahre alte Gastronom Volker von Witzleben die Tradition des Verpflegungsbetriebs auf und transportiert sie in die Volksküche des 21. Jahrhunderts. Die Speisekarte spiegelt die heterogene Einwohnerschaft der Elbinsel wieder. Die vegane Stulle mit Pastinakenaufstrich steht hier neben dem klassischen Frühstück mit Wurst, Käse und Eiern.

„Wir machen hier nicht das Hotel Vier Jahreszeiten nach. Auf die Karte kommt nur, was nach Wilhelmsburg passt“, sagt Volker von Witzleben. Die Vollkornstulle zum Beispiel. Einem Migranten aus Teig traut der Küchenchef eine steile Karriere auf der Elbinsel zu. Jedenfalls kredenzt die Kaffeeklappe das Rettungsbrot genannte Erzeugnis eines Biobäckers aus Borgfelde. Der Import sei ein echter Geheimtipp. „Das gibt es nicht in Eppendorf“, sagt Volker von Witzleben.

Die Preisen soll sich jeder leisten können Das ist guter Brauch in Wilhelmsburg. Und so wird der Mittagstisch 4,50 Euro kosten. Die wöchentlich wechselnde Suppe gibt es in der Tradition des Arbeiteressens für nur 2,50 Euro. Mit dem Unterschied, dass der Hafenarbeiter vor 100 Jahren kaum seinen Appetit mit einer Kartoffelcremesuppe mit Pastinaken und Bärlauch gezügelt haben dürfte.

Die Kaffeeklappe verführt offenbar zu Gesundem. Ähnliches war auch Mitte der 1870er-Jahre das Ziel, als die Gesellschaft für geistige Getränke die Kaffeeklappen ins Leben rief. Jedenfalls sollten die Hafenkantinen den Lohnarbeiter weg vom Schnaps bringen. Stattdessen gab es Kaffee und starke Suppe, aus der Klappe heraus serviert.

An diese Tradition erinnert eine Sitzecke der neuen Kaffeeklappe. Die Gäste sitzen an einer Tafel. Auf unaufdringliche Weise möchte Volker von Witzleben seine Gäste so zum Teilen erziehen und sich gegenseitig die Käsereibe reichen.

Überhaupt ist das nur 45 Quadratmeter große Bistro ein Abbild verschiedener Mikrokosmen des Stadtteils Wilhelmsburg. An die Kantinenecke mit langer Tafel schließt sich die Kulisse mit einem Drahtzaun an, die den Eindruck von Kunst am Bau erweckt. Tatsächlich handelt es um das letzte Stück Zollzaun, der mehr als 100 Jahre den Wilhelmsburgern den Zugang zum Wasser versperrt hat. Bürgermeister Olaf Scholz höchstpersönlich hatte es im Januar 2013 in einem symbolischen Akt abgebaut.

Für die Natur auf der Elbinsel steht ein neun Quadratmeter großes, tiefgrünes Wandbild. Das Kunstwerk aus echtem Moos spendet dem Bistro ein Waldklima. Es stammt von Johannes Wienand, dem Innenarchitekten des Schmidt Theaters, dem der FC St. Pauli auch die Fassade seines Stadions verdankt. Wienand ist Teilhaber der Kaffeeklappe wie auch die Wilhelmsburger Filmproduktionsfirma Hirnst und Wanst („Die wilde 13“).

Dass die Kaffeeklappe an ein winziges Stadtexperiment erinnert, ist kein Zufall. Volker von Witzleben ist ein Stadtforscher, hat an der HafenCity Universität Kultur der Metropole studiert. Nebenbei ist der gebürtige Essener auch ein ausgezeichneter Koch, der den Wilhelmsburgern jede Woche Neues auftischen wird. Nach seiner Ausbildung in einem spanischen Restaurant hat Volker von Witzleben in dem Restaurant der deutschen Spitzenköchin Erika Bergheim gearbeitet. Ein Jahr hat er in Chile und Argentinien verbracht, so dass sich gelegentlich südamerikanische Einflüsse in die handfeste Wilhelmsburger Küche einschleichen dürften. Das Gemüse aber kommt strikt aus der Region, von Biobauern aus Moorwerder und Sittensen. Gäste erhalten das auf die Stulle, in die Suppe und auf den Teller, was jeweils in der Saison auf den norddeutschen Äckern wächst. Und wie es sich für einen umweltbewussten Gastronomiebetrieb gehört, liefert ein Fahrer Speisen mit dem Lastenfahrrad.

Einheimische kennen Volker von Witzleben auch als Hauswirt des Kulturflohmarktes „FlohZinn“ in den Wilhelmsburger Zinnwerken. Und deshalb wird es niemanden wundern, dass die Kaffeeklappe ab und an als neuer Kulturanbieter im Reiherstiegviertel in Erscheinung treten wird. Nach Kantinenschluss um 20 Uhr werden an den Wochenenden Autoren lesen und Musiker auftreten.

Am Sonnabend, 28. März, haben sich die Werther Boys zu einem Kantinenkonzert angekündigt: Die vier Essener verwandeln den Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ von Johann Wolfgang von Goethe in Lieder im Indierockgewand.

Kaffeeklappe, Fährstraße 69 in Wilhelmsburg, Di. bis Fr. 8 bis 20 Uhr, Sa. und So. 10 bis 20 Uhr, Montag ist Ruhetag