Improvisationstheater treten erstmals im Kulturcafé „Komm du“ in Harburg gegeneinander an und zeigen die hohe Kunst des spontanen Spiels

Was für eine irre Theaterszene: Wenn Helgoland beim Eurovision Song Contest mit dem Titel „Verrückt nach dem Himalaya“ antritt, dann kann das Skript doch nur gerade eben aus der Hüfte geschossen sein. So geht es beim Improvisationstheater zu: Das Publikum gibt rücksichtslos mit Rufen die Regieanweisungen, und die Schauspieler reagieren spontan mit wahnwitzigen Szenen. Wie grandios unterhaltsam die hohe Kunst des spontanen Spiels sein kann, zeigte am Sonnabend im Kulturcafé „Komm du“ vor 80 Gästen das erste in Harburg ausgetragene Match der neu gegründeten Liga der Hamburger Improvisationstheatergruppen zwischen „Leistenbruch“ und „Lütt un Lütt“.

Neben den Wettkampfdichtern im Poetry-Slam messen sich jetzt auch die Improvisationstheater im Wettkampf. Die Improliga Hamburg mit insgesamt neun Ensembles ist in diesem Jahr gestartet. Leistenbruch spielt regelmäßig im Kulturcafé „Komm du“ und ist damit die Harburger Mannschaft in der Improliga. In insgesamt 36 Begegnungen spielen die Improvisationstheater den Hamburger Meister aus. Wie in der Fußball-Bundesliga gibt es eine Tabelle. In einem Match spielt jedes Team insgesamt vier Szenen. Das Publikum vergibt – per Applaus – nach jedem Szenendurchgang mindestens einen und höchstens drei Punkte und entscheidet so über den Sieger.

Das Publikum ruft das traditionelle Kommando: „Fünf, vier, drei, zwei, eins, los!“ Erst seit ein paar Sekunden weiß das Ensemble Leistenbruch, dass es in einem Spielcasino die Gefühle Hysterie, Verzückung und Ekel inszenieren soll. Nicht anders geht es dem Kontrahenten „Lütt un Lütt“. Das Publikum hat spontan entschieden, dass es ein Paar geben soll, das zwischen den Gefühlen Nächstenliebe und Angst hin und hergerissen sei.

Der Wahnwitz geht in die zweite Runde. Der Eurovision Song Contest ist das Thema. Das Publikum will Songs aus Legoland, der Mongolei, Griechenland und Helgoland hören. Die Titel denkt sich der gnadenlose Regiemob auch noch aus. So kommt es, dass Leistenbruch den Griechen geben und einen Song namens „Heidebock“ inszenieren soll. Spontanschauspieler Winfried Gerhards röhrt wie ein Vieh und tanzt zu irgendwie Sirtaki anmutenden Schritten.

Das Publikum in Harburg geht dem Wahnsinn nahe in seiner Regierolle voll auf. „Genres“ lautet das Oberthema in der dritten Runde. Lütt un Lütt muss in einer Szene etwas zu Teleshopping, Erotik und Testbild (!) spielen. Die Regie schickt Leistenbruch in die Augsburger Puppenkiste, nach Bollywood und in den Wilden Westen – natürlich alles gleichzeitig.

Das Liga-Match endet mit einer vergleichenden Szene. Das Publikum entscheidet, dass beide Ensembles eine Szene zu dem Thema Igel auf die Bühne bringen. Leistenbruch simuliert eine Diskussion unter Wissenschaftlern über das Phänomen des einstacheligen Igels. Am Ende fragen sich die Experten, wie viele Igel man sich an die Wand schlagen könne.

Das Match geht unentschieden aus – auch das gibt es, wie im Fußball. Das Publikum hat nach jeder Szene die Höchstpunktzahl vergeben. Das sei häufig so, erklärt Schiedsrichter Klaus Friese, ein Improschauspieler des Ensembles Impromptü. Deshalb habe er auch das Publikum ermuntert, Mut zu nur einem Punkt zu zeigen. Der Schiedsrichter in der Improliga besitzt Macht. Zweimal am Abend zieht Klaus Friese einem Team jeweils einen halben Punkt ab. Etwa, weil die Darstellung von Pipi Langstrumpf seiner Meinung nach falsch gewesen sei und damit die Kinder verwirre.

Aber sollte sich die hohe Kunst des Theaterspielens in die profane Form des sportlichen Wettstreits pressen und in einer Tabelle messen lassen? „Es wäre nur verwerflich, wenn wir die Tabelle Ernst nehmen würden“, sagt Winfried Gerhards. Beim Improvisationstheater sei die Freude am Scheitern ein Grundsatz. Die Liga trage dazu bei, dass die Hamburger Improvisationstheatergruppen voneinander lernen.

Am Ende des Wettstreits improvisieren die Kontrahenten als Zugabe gemeinsam ein Lied über den Igel. Das Publikum an diesem Abend hat einen Narren an dem Stacheltier gefressen. Selbst der Eintritt ist improvisiert: Jeder Besucher zahlt in ein Sparschwein auf dem Tresen so viel er möchte - oder auch gar nicht. Das Publikum in Harburg gibt an diesem Abend reichlich, so wie es Schiedsrichter Friese verlangt hatte: „Bitte alles in das Scheinfach stecken! Auch EC-Karten – und einen Zettel mit der Pin-Nummer dazu werfen!“

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