Ex-Model Sophie Rosentreter pflegte ihre an Demenz erkrankte Großmutter neun Jahre lang. Jetzt klärt sie mit ihrer Lüneburger Firma über die Krankheit auf

Lüneburg. Denk doch mal nach, Omi! Wo hast du den Schlüssel hingelegt. Du weißt doch, wie man Kaffee kocht. Und wie soll ein Fremder heute Nacht in dein Schlafzimmer gekommen sein? Denk doch mal nach. Und die alte Dame denkt. Nur anders als wir, und deswegen verstehen wir uns nicht mehr. „Deswegen ist das auch der dämlichste Satz, den man zu einer demenziell Veränderten sagen kann.“ Das sagt Sophie Rosentreter, Ex-Model und Ex-Moderatorin. Die Eppendorferin hat eine Firma gegründet und hält in ganz Deutschland Vorträge über Demenz.

Sie sagt dann demenziell Veränderte, nicht Demenzkranke. Um die Menschen nicht auf die Krankheit zu reduzieren.

Wenn Sophie Rosentreter zum Thema Demenz spricht, zeigt sie zu Beginn ein Foto. Da sitzt ein Mädchen am Küchentisch zwischen Mami und Omi, auf dem Regal über ihrem Kopf die Sammlung Schneekugeln ihrer Mutter. Die Kleine trägt Pony und die Haare lang, sie lächelt und sieht fröhlich aus.

30 Jahre später trägt Sophie Rosentreter dieselbe Haarfrisur, ihre Augen strahlen, ihr Lächeln ist voller Energie. Sie wirkt so fröhlich wie auf dem Foto, aber viel reifer. Die zwei geliebten Frauen von dem Bild sind mittlerweile tot. Ihre beiden Lieblingsdamen, so nennt sie sie, hat die erwachsene Sophie Rosentreter verloren. Ihre Bestimmung hat sie gefunden.

Aufgewachsen an der Eppendorfer Landstraße, verließ Sophie Rosentreter als 16-Jährige ihr Gymnasium an der Hegestraße, nachdem sie durch Zufall bei einem Modelwettbewerb mitgemacht hatte. Gewonnen hat sie zwar nicht – das tat Heidi Klum. Jede Menge Engagements im Ausland winkten dem jungen Mädchen dennoch, und Sophie griff zu. Reiste vier Jahre für Shootings und Laufstege mit Koffern durch fremde Länder. Kam zurück nach Deutschland, heuerte beim Musiksender MTV als Moderatorin an. Wechselte hinter die Kamera und produzierte für stern TV 45-minütige Reportagen. Doch angekommen, sagt Sophie Rosentreter Jahre später, fühlte sie sich nie.

Es ist das Jahr 2000, als ihre „Omi komisch wird“. Fünf Mal am Tag ihren Hausschlüssel verlegt. Nicht mehr weiß, wie die Kaffeemaschine funktioniert. Morgens erzählt, dass nachts ein Fremder in ihrem Schlafzimmer gewesen sei. Die Reaktion von Tochter und Enkelin: „Omi, jetzt denk doch mal nach.“ Weil sie nicht wussten, was sich im Gehirn der alten Dame verändert hatte. Dass sie sehr wohl nachdenkt, aber andere Dinge dabei herauskommen als früher. „Wir möchten uns in solchen Situationen den bekannten Menschen wiederholen“, sagt Sophie Rosentreter. „Wir werden wütend, dass der Mensch auf einmal so anders ist. Und wütend darüber, dass wir wütend sind.“

Sieben Jahre lang haben Tochter und Enkelin die alte Dame alleine zu Hause gepflegt, bis sie einmal gerade dann stürzte, als für eine halbe Stunde niemand zu Hause war. Sie gaben sie ins Heim. Dachten, sie wären schlechte Menschen, weil sie es nicht geschafft haben, der geliebten Mutter und Großmutter ihren Lebensabend zu Hause zu ermöglichen.

Als Omi sie nicht mehr erkannte, „tat uns das unglaublich weh“, erzählt Sophie Rosentreter. „Niemand hat uns erklärt, dass sie es nicht persönlich meint. Dass das Teil des Krankheitsbildes ist.“ Es hat ihnen auch niemand erklärt, dass es nichts nutzt, an Demenzkranke mit Realität und Logik heranzugehen. Sie wussten es nicht besser, sagt die 39-Jährige. Wussten nicht, dass es besser ist, die Realität des durch die Krankheit veränderten Menschen anzunehmen. Seine Ängste wahrzunehmen, einfach mal Trost zu spenden anstatt zu argumentieren. „Mitgefühl, Empathie, Zuwendung, all diese schwammigen, romantischen Begriffe. Sie sind so wichtig, und wir trauen uns so häufig nicht, sie einzusetzen. Dabei sind die Menschen übers Gefühl immer noch und bis zum Schluss zu erreichen. Nur über den Verstand eben nicht mehr.“

Sophie Rosentreter hat sich mit Kommunikationsprofis, Hirnforschern und Ärzten besprochen, gelesen und gelernt. Heute hält sie in zum Beispiel Altenheimen und Firmen Vorträge über das Leben mit Demenz. Und sie dreht Filme für Betroffene. Filme über Hundewelpen oder in denen kleine Mädchen die schwarzen Hängebauchschweine im Wildpark füttern. Dazu gibt es Fotokarten und Begleitbücher – alles als Einstieg in Gespräche gedacht. Denn das normale Fernsehprogramm, sagt Rosentreter, ist für die Erkrankten viel zu schnell. Angst und Überforderung sind die Folge.

Wenn Sophie Rosentreter heute Demente besucht, dann lässt sie so viel Nähe zu wie möglich. Und taucht ein in eine zweite Realität. „Ich nehme ihre Wahrheit an. Ob es stimmt, was eine Dame sagt oder nicht, weiß ich nicht. Es spielt keine Rolle. Hauptsache, sie teilt sich mit.“ Sie betritt die Welt der alten Menschen, ob „Ilses weite Welt“, so wie sie ihre Firma nach ihrer Großmutter genannt hat, oder die weite Welt von Marianne oder Helga. „Wichtig ist, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und sich mit ihnen zu beschäftigen. Nicht bloß abzufragen: Hast du deine Medikamente genommen, hast du genug getrunken.“ Das erste Jahr ihrer Firma 2011 hat Sophie Rosentreter mit Eigenkapital finanziert, dann fand sie Investoren und Sponsoren. Die Filme verkauft die Geschäftsfrau, für ihre Vorträge erhält sie Honorare. Ihren Sitz hat die GmbH wegen einer Kooperation zu Beginn der Gründung mit der Leuphana Universität in Lüneburg, die Chefin selbst lebt mit Lebensgefährte und Töchterchen Mina (1) in Hamburg.

Zwei Jahre und einen Tag nach dem Tod ihrer Großmutter ist Sophies Mutter gestorben. An Krebs. Die Tochter ist überzeugt: „Sie war mit der Pflege überfordert. Pflegende Angehörige werden oft selbst zu Pflegefällen, weil wir uns nicht trauen, Hilfe anzunehmen. Und weil unsere Gesellschaft nicht über Tod, Alter und Krankheit reden will.“