Bibliotheken von heute sind nicht nur Verleihstation, sondern Bildungseinrichtung, Kommunikationstreff und sozialer Dienst in einem. Größe und Anzahl der Bücher sind zweitrangig

Meckelfeld/Hanstedt. Rund um die Uhr und überall liefert das Internet Unterhaltung und Information. Mit Blogs, Diskussionsforen und ungezählten Videoclips. Vielfach sogar kostenlos. Eine Herausforderung für die Bibliotheken, seit jeher Horte des Wissens – und für jedermann zugänglich. Wie eine moderne Bücherei mit neuen Medien und gesellschaftlichen Veränderungen umgeht, erläutert Gabriele Maidorn, Leiterin der Gemeindebücherei Seevetal – mit der Zentrale in Meckelfeld und vier Außenstellen die größte im Landkreis Harburg. 56.000 Medien – Bücher, Hörbücher, DVDs, E-Books, Zeitschriften – sind im Bestand.

„Bibliotheken wandeln sich ständig, und wir sind die ersten, die Veränderungen mitbekommen“, sagt Gabriele Maidorn. Die Nachfrage nach Büchern spiegelt die Trends in der Gesellschaft wider, und wenn es nur der Trend zum Handarbeiten und Basteln ist. Oder zur Heimatverbundenheit, denn „Krimis mit lokalem Bezug laufen richtig gut. Schwedenkrimis werden inzwischen weniger gelesen.“ Immer den angesagten Lesestoff bereitzustellen ist das eine, die wahre Herausforderung aber liegt darin, die Leser von morgen schon heute zu gewinnen: die Kinder. „Den Zugang zu den Kindern bekamen wir normalerweise über die Mütter. Doch seit immer mehr Kinder Ganztagsschulen besuchen und Mütter mehr arbeiten, wird das zunehmend schwieriger“, sagt die Bibliotheksleiterin. Ein Trend, der erst vor fünf bis sechs Jahren einsetzte. „Und längere Öffnungszeiten lösen das Problem auch nicht. Nach 18 Uhr kommen keine Familien mehr.“ Gerade deswegen möchte Gabriele Maidorn die Mütter motivieren, trotz knapperer Freizeit mit ihren Kindern die Bücherei aufzusuchen.

So ist die Bibliothekarin froh, dass es in Seevetal eine enge Zusammenarbeit mit den Schulen gibt. Manche Klassen kommen wöchentlich. „Einmal kam auch ein Mädchen noch am selben Tag nachmittags mit seinen Eltern im Schlepptau, weil es die Bücherei vormittags mit der Schule besucht hatte.“ Maidorn stimmt da auch mit der bekannten Kinderbuchautorin Kirsten Boie überein, dass Kinder so früh wie möglich ans Lesen herangeführt werden sollten. Heutzutage lässt sich manch ein Buch auch multimedial nutzen: So sind bei Kindern „Tiptoi“-Bücher beliebt: Mithilfe eines Lesestiftes können in Bilderbüchern Zusatzinformationen abgerufen werden. Kinder, die von klein auf die Bücherei besuchen, bleiben dem Lesen treu. „Solche Kinder treffen Sie dann beim Vorlesewettbewerb der 6. Klassen wieder. Oder als Studenten, die sich auch bei uns ihre Fachbücher über die Fernleihe besorgen können – wenn die in der Staatsbibliothek mal wieder vergriffen sind“, sagt Maidorn. In fünf bis sieben Tagen sind solche Bücher lieferbar, bei gerade mal einem Euro Gebühr je Bestellung.

Den Erwachsenen eröffnet das Internet vor allem mehr Komfort: Online können sie Bücher reservieren oder die Leihdauer verlängern. Und E-Books sind vor allem für Urlaubsreisen beliebt, ansonsten wird auf das haptische Erlebnis, in einem Buch zu blättern, ungern verzichtet. Nur zwei Prozent Anteil haben E-Books an den entliehenen Medien. „Medienkompetenz zu vermitteln ist eine weitere Aufgabe für uns“, sagt Gabriele Maidorn. Zum Beispiel, die Funktion eines E-Book-Readers zu erklären.

Menschen etwas näher bringen, aber auch die Menschen einander näher zu bringen sind Aufgaben der modernen Bücherei. Sei es mit Bilderbuchkino für die Jüngsten oder mit dem Projekt „Medienboten“ für Senioren. Dabei bringen ehrenamtlicher Helfer Bücher zu den Älteren ins Haus und leisten ihnen auf Wunsch Gesellschaft. „Wir würden uns freuen, wenn das Angebot noch mehr angenommen würde. Es ist verständlich, dass manche Bedenken haben, Fremde hereinzulassen. Die Medienboten sind aber mit Bedacht vom Seniorenbeirat ausgewählt“, sagt Gabriele Maidorn. Und so ein Angebot kommt sicher nicht zu früh, denn schon heute sind 14 Prozent der Bücherei-Leser älter als 60 Jahre. Ihr Anteil an der Seevetaler Gesamtbevölkerung beträgt gar 25 Prozent.

Büchereien gehören zu den freiwilligen Leistungen einer Gemeinde, und sie sind immer ein Zuschussgeschäft. Einnahmen hat die Bücherei Seevetal zwar durch Nutzungsgebühren oder Bücherflohmärkte. Doch das meiste wird durch öffentliches Geld finanziert. „Unsere Arbeit hat in der Politik einen hohen Stellenwert, was sich auch in der guten Ausstattung widerspiegelt.“ Gleichwohl muss die Büchereileiterin aufs Budget achten: Wenn die Leser nach den neuesten Bestsellern verlangen, könnte Gabriele Maidorn oft mehrere Exemplare eines Werkes bestellen – doch das wäre zu teuer. Welche Themen angesagt sind, erfährt die Bücherei oft als erstes: „Zurzeit sind es vor allem Alltagsratgeber, Hilfe bei Belastungen aller Art. Haus und Garten, kreatives Arbeiten“, sagt Maidorn. „Sie sind hier einfach am Puls der Zeit.“

Ortswechsel. Christiane Dyck hat die Hanstedter „Bökerstuuv“ gerade geöffnet und seufzt über vier Kartons voll alter Bücher, abgegeben von einer unbekannten Bürgerin. „Soll ich die noch einsortieren?“, fragt sie und zeigt die vergilbten Seiten der Romane aus den 70er-Jahren. Die „Bökerstuuv“ ist eine Einrichtung der Bürgerstiftung Hanstedt ist, und die Hanstedter sind spendierfreudig. So alte Bücher aber will niemand mehr ausleihen. Denn auch die winzige Bücherei, die auf 54 Quadratmetern im Küsterhaus eingerichtet ist, funktioniert genau wie eine große. Mit elektronisch unterstützter Ausleihe, mit Veranstaltungen, mit einem breiten Angebot an Büchern, Hörbüchern, E-Books, DVDs und selbstverständlich auch Tiptoi-Büchern. Immerhin 3800 Medien hält die Hanstedter Bücherei vorrätig. Bei den DVDs und E-Books wechselt das Angebot alle drei Monate, auch aus Platzgründen.

Jede Nische in den zwei Räumen ist genutzt, auf der einen Fensterbank Plattdeutsch, auf einer anderen „ungewöhnliche Bücher“, Empfehlungen des Bücherei-Teams, zu dem außer Christiane Dyck als hauptamtlicher Bibliothekarin auch 14 Ehrenamtliche gehören. Die Sonderplatzierung fällt ins Auge: „Den ‚Tschick‘ würde ich gern mitnehmen“, sagt eine Leserin, die gerade hereingekommen ist. „Aber bitte gerne“, erwidert Dyck. Ein bisschen erinnert die „Warenpräsentation“ an Supermärkte. „Genau“, sagt Dyck, „die Menschen sind immer mehr visuell orientiert.“ Die ehrenamtlichen Mitarbeiter sind außerdem angehalten, Bücher zu lesen und zu empfehlen. Diese Werke enthalten dann ein gelbes Empfehlungsschild.

Deswegen werden Lücken im Regal und an den Regalköpfen mit den Titelseiten der Bücher belegt. Als Hingucker. Zudem stehen die Regale auf Rollen, denn für Sonderveranstaltungen müssen sie umgeräumt werden. In einer Ecke steht noch die Dekoration fürs Schattentheater. Im hinteren Teil gibt es außerdem ein zweistufiges Podest in der Kinderbuchecke. Ein Schmökerparadies! „Wir wollen nicht reine Ausleihe sein. Für uns ist es auch wichtig, einen Raum zu haben, an dem sich die Menschen begegnen und aufhalten können. Kinder können sich hier auch ohne Eltern aufhalten. Und niemand ist gezwungen, ein Getränk zu kaufen“, betont Christiane Dyck. Kinder lernten hier Selbstständigkeit – sich von klein auf mit Büchern zu beschäftigen und als Schüler etwa wie man darin ein Fachthema recherchiert.

Das Erfolgsgeheimnis heißt: Büchereinutzer treffen hier vertraute Menschen an. Michaela Röhrs zum Beispiel, die für die Kinder „die Michi“ ist und ihnen Bilderbuchkino vorführt. Ohne die Ehrenamtlichen wäre die Bücherei nicht zu betreiben. Aber auch nicht ohne die Bürgerstiftung: „Es ist schön, dass jemand den Mut dazu hat“, sagt Christiane Dyck.