Nachbarn eines neuen Getränkemarktes in Kirchdorf beschweren sich über öffentlichen Alkoholkonsum und Exzesse

Wilhelmsburg. Menschen mit der Bier- oder Schnapsflasche in der Hand. Menschen, die berauscht das Gefühl für die eigene Lautstärke beim Sprechen verlieren. Menschen, die hinter Büschen oder in Hauseingängen „wild pinkeln“. Der Alkoholkonsum auf öffentlichen Straßen und Plätzen ist in vielen Stadtteilen Hamburgs ein Problem. Im Wilhelmsburger Ortsteil Kirchdorf sorgt jetzt ein neuer Treffpunkt der Trinkerszene für Ärger bei Anwohnern: Bis zu 15 Trinker sollen sich regelmäßig und von der Jahreszeit unabhängig vor dem Getränkemarkt Ecke Hinter der Dorfkirche/Prassekstraße versammeln.

Seit der Getränkemarkt im Spätsommer vergangenen Jahres eröffnet hat, hätten Trinker die Nachbarschaft um die preisgünstige Versorgungsstätte als Treffpunkt entdeckt. Der Markt liegt mitten in einem Wohngebiet, umgeben von Hochhäusern, Wohnungsblocks und einigen Einfamilienhausern mit Gärten. Jungen und Mädchen auf dem Weg zu der Grundschule in der Prassekstraße ziehen an dem Laden vorbei, der gegenüber einer Bushaltestelle liegt.

Anwohner haben jetzt auf die Entwicklung eines Trinkertreffs auf der Straße öffentlich gemacht und im Beirat für Stadtteilentwicklung um Hilfe gebeten. „Ich bin die Diskutiererei mit den Leuten leid, das belastet uns bereits eine ganze Weile“, sagt eine Anwohnerin. Sie möchte die Menschen nicht verteufeln, fügt die Frau noch hinzu, aber sie wolle auch in Ruhe dort wohnen.

Niemand habe etwas dagegen, wenn jemand eine halbe Stunde auf der Straße stehen und seine Bierdose leeren würde. Entnervte Anwohner berichten in dem Bürgerbeteiligungsgremium aber von Ausschweifungen: Enthemmt vom Alkohol würden einige die Hosen runter lassen und das „kleine oder große Geschäft“ in den Büschen verrichten. „Wir empfinden das als unangenehm“, sagt die Anwohnerin, „es hat erhebliche Geruchsbelästigungen in der Nachbarschaft gegeben.“

Die Trinkergruppe würde sich vor dem Getränkemarkt oder auch am Bolzplatz gegenüber versammeln. Recyclingcontainer dort würden als unzureichender Sichtschutz benutzt, um die Notdurft zu verrichten. Eine junge Mutter aus dem benachbarten Hochhaus berichtet, ihr kleiner Sohn habe Angst vor den Trinkern.

Die stellvertretende Beiratsvorsitzende Sabine Unbehaun hat sich bei der Polizei erkundigt. Nach Gesprächen mit Anwohnern schätzen Wilhelmsburgs Ordnungshüter das Problem in der Nachbarschaft des Getränkemarktes als „nicht so drückend“ ein, berichtet sie. Die Polizei habe aber zusätzliche Streifengänge angekündigt. Aber: Das Biertrinken in der Öffentlichkeit ist ja auch nicht verboten.

Der Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit sei seit Jahrzehnten ein Problem in Wilhelmsburg, sagt Volker Schenk, der die SPD im Stadtteilbeirat vertritt. Viele Menschen könnten es sich heute nicht mehr leisten, in eine Kneipe zu gehen. „Die Leute sind darauf angewiesen, vor einem Getränkeladen zu stehen“, sagt er.

Der Sanierungsbeirat Südliches Reiherstiegviertel hat sich vor wenigen Monaten mit dem Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit auseinandergesetzt. Trinker in dem Quartier wandern von Kiosk zu Kiosk und verweilen dort lange. Die „Klappen“ genannten Verkaufsstellen haben eine lange Tradition in Wilhelmsburg und gelten in dem Stadtteil als Kulturgut.

Das Bürgerbeteiligungsgremium im Reiherstiegviertel sieht keine Lösung darin, die Trinker zu verdrängen. Es schlägt einen betreuten Trinkerraum nach dem Vorbild des Hans-Fitze-Hauses in Harburg vor.

Auf diese Lösung setzt auch der Stadtteilbeiratsvorsitzende Lutz Cassel. Mittes Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) habe die Absicht geäußert, ein ähnliches Angebot in Wilhelmsburg zu schaffen. So könne die langfristige Strategie gegen ausschweifenden Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit aussehen.

Welche Hilfe können die Anwohner in der Straße Hinter der Dorfkirche kurzfristig erwarten? Lutz Cassel sähe gerne Streetworker, die das Gespräch mit den Trinkern suchen. Der Stadtteilbeirat wird jetzt das Bezirksamt Mitte bitten, sich Gedanken über Aufenthaltsangebote für Trinker Gedanken zu machen. Rucksackversorger in Wilhelmsburg sollen nicht vertrieben werden, sondern Angebote erhalten.