Unfall an der Bremer Straße hat ein juristisches Nachspiel. Hat die Stadt ihre Verkehrssicherungspflicht im konkreten Fall fahrlässig verletzt?

Harburg. Der 17. Dezember 2014 ist ein grauer, nasskalter Tag. Es nieselt aus einem bleischweren Himmel, als sich Rainer Harms gegen 18 Uhr vom Fitnesstraining bei Sportspaß am Harburger Ring mit seinem Fahrrad auf dem Heimweg nach Marmstorf befindet. Sein Weg führt ihn wie immer die Bremer Straße entlang. An der Bushaltestelle kurz hinter dem Abzweig der Hastedtstraße passiert es: Weil Bus-Fahrgäste achtlos den Radweg blockieren, muss er ausweichen, stürzt und bricht sich den linken Oberschenkel.

Noch heute, neun Wochen später, sind die Folgen des schweren Unfalls allgegenwärtig. Kein Wunder: In der Asklepios-Klinik Harburg haben ihm die Ärzte in einer aufwendigen Operation einen 24 Zentimeter langen Nagel in den geborstenen Knochen getrieben. Im Hüftbereich sind zur Stabilisierung zudem zwei weitere Edelstahlstifte verschraubt. „Nicht nur beim Treppensteigen schmerzt das ganze Bein, auch bei anderen undosierten Körperbewegungen“, berichtet der 59-Jährige. Daran hätte auch die vierwöchige, stationäre Reha in Bad Doberan wenig geändert. „Ich fühle mich so gehandicapt, wie nie zuvor in meinem Leben“, sagt Harms. Der nicht einmal mehr weiß, wann er vor dem schrecklichen Unfall das letzte Mal ein Krankenhaus von innen gesehen hat.

Immer wieder schweifen seine Gedanken zurück zu jenem fatalen Moment, der ihn so plötzlich aus dem Tritt brachte. Und zu jenem gusseisernen Poller, der ihm zum Verhängnis wurde. Bei seinem Ausweichmanöver hatte er ihn viel zu spät gesehen: „Wie gesagt, es war ja schon dunkel. Und durch den Regen verschwamm alles noch mehr.“ Ob er nun mit der Pedale oder mit der Sporttasche auf dem Gepäckträger hängen geblieben ist, vermag er nicht mehr zu sagen: „Das waren ja nur Zehntelsekunden, es ging alles so rasend schnell.“ Dass ihm eine junge Frau aufgeholfen hat, daran kann sich Rainer Harms noch erinnern. Doch als er sich seiner Verletzung richtig bewusst wird, ist sie verschwunden.

Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus ist Harms mehrfach zum Unfallort zurückgekehrt. Doch auch nach der x-ten Besichtigung bleibt ihm ein Rätsel, warum der Poller da steht, wo er steht. Mit dieser Frage und selbst gemachten Fotos konfrontiert er schließlich auch einen Beamten des Polizeikommissariats 46. Der soll auch nur ratlos mit dem Kopf geschüttelt und dann gesagt haben: „Der Pfahl steht da doch völlig unmotiviert.“

Genau um diese Frage geht es jetzt, die Harms mithilfe seines Harburger Rechtsanwalts Michael Wied juristisch geklärt wissen will. Hat die Hansestadt Hamburg ihre Verkehrssicherungspflicht im konkreten Fall fahrlässig verletzt oder nicht? Und hat Harms deshalb Anspruch auf Schmerzensgeld und Entschädigung wegen Verdienstausfalls?

Unstrittig ist, dass der 59-Jährige, der seit 40 Jahren zur See fährt und als Kapitän große Gastanker in aller Herren Länder Häfen geleitet, für mindestens vier bis sechs weitere Wochen arbeitsunfähig ist. „Dabei hatte ich ja noch Glück im Unglück“, sagt er dem Abendblatt, „bei einem offenen Splitterbruch wäre ich mit Sicherheit deutlich länger außer Gefecht gewesen.“ Dennoch wird er sich einer weiteren Operation unterziehen müssen, wenn alle Nägel und Schrauben wieder entfernt werden. Und ob er jemals wieder schmerzfrei wird laufen können, bleibt ungewiss.

Doch sein juristischer Vorstoß resultiere keineswegs nur aus Eigennutz, sagt Harms: „Für mich ist die Platzierung des Pollers an dieser Stelle eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Damit anderen nicht ein ähnliches Schicksal widerfährt wie mir, stelle ich auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit.“

Das Abendblatt hat nachgehakt, sowohl beim Bezirksamt, als auch der Polizei. Während das Bezirksamt substanzielle Auskünfte verweigerte, bezog das zuständige Kommissariat 46 Stellung. „Wer, wann, warum die Aufstellung angeordnet hat, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen, weil kein entsprechendes Kataster geführt wird“, sagt Dietmar Thoden, Leiter der örtlichen Straßenverkehrsbehörde. Recherchen hätten aber ergeben, dass es 2008 noch einen zweiten Poller auf gleicher Höhe gegeben habe: „Vermutlich um zu verhindern, dass Anwohner mit ihren Fahrzeugen über den Bürgersteig fahren.“ Aus heutiger Sicht aber sei der einzelne Poller an dieser Stelle überflüssig. „Deshalb wird er zeitnah entfernt“, sagte Thoden dem Abendblatt.

Unklar bleibt, warum die Stadtverwaltung den grauen Poller dann im Januar noch gegen einen rot-weißen austauschte. Laut Thoden sei der Wegewart des Bezirksamtes von einem Anwohner auf den Gefahrenherd angesprochen worden. Ein merkwürdiger Zufall eingedenk der Tatsache, dass dieses Gespräch wenige Tage nach dem Besuch von Harms auf dem PK 46 stattgefunden haben soll. Wo man sich als nicht zuständig erklärt hatte.