Die beiden Harburger Abgeordneten Sabine Boeddinghaus (Linke) und Peter-Paul Lorkowski (AfD) kehren ins Hamburger Rathaus zurück

Harburg. Am Morgen nach dem großen Wahlabend fühlte Sabine Boeddinghaus eine bleierne Müdigkeit. Der wochenlange Kampf um die Stimmen der Bürger hatte seine Spuren hinterlassen. „Natürlich überwiegt die Freude, dass wir mit 8,5 Prozent unser Ergebnis von 2011 noch einmal um 2,1 Prozent steigern konnten und sogar drei Sitze hinzugewonnen haben. Andererseits ist die Wahlbeteiligung mit nur 56,6 Prozent erschreckend. Hier müssen sich alle Parteien kritisch hinterfragen“, sagte die Spitzenkandidatin der Harburger Linken dem Abendblatt.

Bis tief in die Nacht hatte Hamburgs Linke ihren Wahlerfolg in der Bar Vivo an der Bahrenfelder Straße in Altona gefeiert. Bis zu 300 Personen drängten sich teilweise in der Lokalität, in der Sportfans regelmäßig attraktive Fußballspiele auf einer Großbildleinwand verfolgen können. Am Sonntagabend aber flimmerten dort die Wahlsendungen mit den aktuellen Hochrechnungen über den Screen. Und veranlassten die Anhänger immer wieder zu spontanen Jubelausbrüchen und tosendem Applaus.

„Wir haben bewiesen, dass sich die Partei nun auch im Westen etabliert und eine Stammwählerschaft erarbeitet hat“, so Boeddinghaus. Dass der jüngste Erfolg gerade im konservativen, traditionsbewussten Hamburg gelungen sei, werte ihn zusätzlich auf: „Dass wir uns vorab klar zur Oppositionsrolle bekannt haben, hat den Leuten offenbar gefallen. Diese Rolle wollen wir in den nächsten fünf Jahren nun auch engagiert ausfüllen.“

Linke und AfD haben ihre Nachrücker bereits benannt

Für die Harburger Bezirksversammlung (BV) ist der Wechsel von Sabine Boeddinghaus ins Hamburger Rathaus ein herber Verlust. Die 58-Jährige gilt als eine der profiliertesten Politikerinnen im hiesigen Kommunalparlament. Das bescheinigte ihr in der jüngsten BV-Sitzung sogar CDU-Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer. Er habe sie zumeist als sehr konstruktiv und kompetent erlebt, sagte er. Weshalb Boeddinghaus eine beträchtliche Lücke hinterlassen werde.

Dabei hatte die Fraktionschefin der Linken Glückwünsche zum Einzug in die Bürgerschaft noch am Montag lange abgewehrt. Das Hamburger Wahlrecht sei so kompliziert, da könne man selbst mit Platz drei auf der Landesliste nicht wirklich sicher sein, so die studierte Erziehungswissenschaftlerin und Mutter von fünf Söhnen im Alter zwischen 17 und 35 Jahren.

Letztlich hat es dann aber doch für den Wechsel auf die andere Elbseite gelangt. „Ich sehe das mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, sagte die scheidende Fraktionschefin der Linken. Die zuletzt auch maßgeblich für den Mandatszuwachs in der BV verantwortlich zeichnete. Als erste linke Abgeordnete aus Harburg nun aber auch wieder auf Landesebene eine sozial gerechte Bildungspolitik gestalten zu können, sei für sie schon eine lohnende Herausforderung.

Dabei ist Boeddinghaus gewissermaßen eine Rückkehrerin ins Hamburger Rathaus. Denn für die SPD saß sie bereits von 2004 bis 2008 in der Bürgerschaft. Bis sie sich als Gründungsmitglied der Volksinitiative „Eine Schule für alle“ Ende 2008 mit den Sozialdemokraten überwarf und im Januar 2010 der Linkspartei beitrat. „Ich musste die Erfahrung machen, dass die SPD zwar oft großen Mut im Formulieren von Fernzielen beweist, gegen eine mögliche Umsetzung dann aber gern mit allen Mitteln zu Felde zieht“, hatte Boeddinghaus ihre Abkehr seinerzeit erklärt.

In Harburg wolle sie nun zeitnah ein Abgeordnetenbüro einrichten, um so auch eine feste Anlaufstelle für ihre Wähler südlich der Elbe zu schaffen. Als Nachrücker für die BV will die Fraktion der Linken den Fotografen André Lenthe vorschlagen.

Einen Nachrücker wird auch die Alternative für Deutschland brauchen. Im Wahlkreis 16 (Harburg) holte Peter-Paul Lorkowski mit 9,1 Prozent der Stimmen das dritte Direktmandat hinter Sören Schumacher (SPD/18,7) und Birgit Stöver (CDU/13,0). „Zuversichtlich war ich schon“, sagte der 72 Jahre alte Firmeninhaber einer Sinstorfer Bauschlosserei. Immerhin habe die AfD in Harburg schon einiges bewegt: „Dass wir die innere Sicherheit zu einem Hauptthema gemacht haben, hat uns sehr viel Anerkennung der Wähler eingebracht. Wir sprechen eben aus, was dem Bürger auf der Zunge liegt.“

Laut Lorkowski hätte das Ergebnis seiner Partei aber durchaus zweistellig sein können. „Doch keine andere Partei ist so sehr angefeindet worden, wie die AfD. Hunderte Plakate sind zerstört und gestohlen worden, unsere Infostände wurden attackiert und unsere Wahlveranstaltungen massiv gestört. Da sind viele schwarze Garden unterwegs gewesen, um Angst zu verbreiten. Das hat offenbar Wirkung hinterlassen“, sagt der gebürtige Marmstorfer, der jetzt in Eißendorf lebt.

Dass die Partei dennoch auf Anhieb mit acht Mandaten den Einzug in die Bürgerschaft geschafft hat, wertet Lorkowski als verdienten Erfolg. Ab 2001 war er dort bereits drei Jahre als Abgeordneter der Schill-Partei. „Die AfD ist weder radikal noch rechts, das sind alles unhaltbare Behauptungen. In Harburg, wo die Uhren anders gehen, weiß man das. Insofern ist der Bezirk ein Stimmungsbarometer für die ganze Stadt. Wir werden eine sozial-liberale Politik nah am Bürger machen und noch mehr Menschen von uns überzeugen“, so Lorkowski. Für ihn soll Gerd Abrolat in die AfD-Fraktion Harburg nachrücken.

Riesenenttäuschung hingegen bei den Neuen Liberalen. Der FDP-Ableger verfehlte mit 0,5 Prozent aller Stimmen die Fünf-Prozent-Hürde deutlich. Damit verbleiben die Harburger Kandidaten Isabel Wiest (Platz 1), Barbara Lewy (5), Kay Wolkau (6) und Anna-Lena Bahl (15) in der Bezirksversammlung.

Wahlbeteiligung in Harburg ist unter 50 Prozent geblieben

Ebenso wie Dr. Gudrun Schittek von den Grünen. Sie hatte auf ein Direktmandat im Wahlkreis 17 (Süderelbe) gehofft, blieb mit 5,4 Prozent der Stimmen aber deutlich hinter Brigitta Schulz (SPD/18,2), Matthias Czech (SPD/13,1), André Trepoll (CDU/12,6) und den eigenen Erwartungen zurück.

Bezeichnend ist, dass die Wahlbeteiligung in beiden Harburger Wahlkreisen sogar unter 50 Prozent geblieben ist. Und die AfD hier mit Abstand die meisten Stimmen geholt hat. „Weil wir konsequent immer wieder darauf hingewiesen haben, dass der SPD-Senat den Schutz der Bürger sträflich vernachlässigt", so noch einmal Peter-Paul Lorkowski.