Handwerk bietet Abiturienten Chancen. Marie Lüpscher kam aus Essen, um eine Lehre in Neu Wulmstorf zu beginnen

Neu Wulmstorf. Marie Lüpschers Handwerkerkarriere begann schon mit sechs Jahren. Damals wollten ihre Eltern auf ihrem Grundstück eine erhöhte Terrasse anlegen und suchten nach dem richtigen Fundament. Marie schlug vor, dafür einfach Eimer mit Beton auszugießen, sie aufzuschneiden und dann die Betonklötze zu verwenden. So wurde es gemacht. „Ich habe schon als Kind mit Bauklötzen sowie gern draußen gespielt und es war für mich kein Problem, mit dabei auch mal die Hände schmutzig zu machen“, sagt sie. Offensichtlich die besten Voraussetzungen für eine Karriere im Handwerk. Seit dem 1. August 2014 lernt sie nicht nur bei der Neu Wulmstorfer Elektrofirma Bellut Elektrotechniker für Energie- und Gebäudetechnik, sondern will parallel dazu auch einen Bachelor ablegen.

Lehrlinge wie die 23-Jährige mit Abitur oder Fachabitur sind gesucht. Von 862 bis zum Februar abgeschlossenen Lehrverträgen im Landkreis Harburg wurden nur 45 von Kandidaten mit Abitur oder Fachabitur unterschrieben, hat die Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade ermittelt. Das ist den Handwerkern deutlich zu wenig. „Es müssten mehr sein“, sagt Günter Neumann, der Leiter Berufsbildungsrecht der Kammer. Denn die Ansprüche an die Ausbildungen sind gestiegen und dazu zeichnet sich ein Generationswechsel ab, weil zahlreiche Menschen aus den geburtenstarken Jahrgängen die 50 schon überschritten haben. „Viele Eltern wollen ihre Kinder aber studieren lassen und tun alles, damit sie das Abitur erreichen“, sagt Neumann. Oft sind sie dann für das Handwerk verloren. „Dabei“, versichert Neumann, „waren die Chancen im Handwerk für Abiturienten nie so gut wie heute. Oftmals können sie sogar einen Betrieb übernehmen.“

So weit ist es bei Marie Lüpscher natürlich noch lange nicht. Sie hatte ihr Abitur in Essen abgelegt und dann nach einem Praktikum über zwölf Monate vier Semester studiert, um Bau-Ingenieurin zu werden. Weil aber die Finanzen knapp waren, musste sie häufig arbeiten. Es blieb zu wenig Zeit für das Studium, so dass sie es abbrach. Auf eine akademische Ausbildung wollte sie aber dennoch nicht verzichten. So fand sie die Berufsakademie Hamburg, die im Harburger Elbcampus zum Kompetenzzentrum der Handwerkskammer gehört. Dazu suchte sie sich im Süden Hamburgs eine Firma, bei der sie sowohl lernen als auch studieren konnte. Lüpscher geht wie alle zur Berufsschule, hat aber freitags und sonnabends Unterricht und besucht drei Mal im Jahr für 14 Tage drei Unterrichtsblöcke. Die Ausbildung dauert höchstens 3,5 Jahre und ein halbes Jahr später soll auch der Bachelor geschafft sein.

„Wir unterstützen dieses Ausbildungsmodell“, sagt Astrid Bellut, die Personalchefin des Mittelständlers, der 65 Mitarbeiter beschäftigt. Das Unternehmen mit rund acht Millionen Euro Umsatz hat derzeit sieben Lehrlinge. Lüpscher ist jedoch unter ihnen das einzige Mädchen und die einzige Abiturientin. „Sie arbeitet selbstständig, ohne dass wir noch nachhelfen müssen wie das oft bei anderen Lehrlingen ist“, sagt Bellut. Die Firma sucht auch für dieses Jahr wieder drei qualifizierte Lehrlinge und würde gern noch Fachkräfte einstellen. Aber die sind schwierig zu bekommen. Das Problem bei den Lehrlingen: Kandidaten mit Hauptschul- und schwachen Realschulabschlüssen schaffen oft die Zwischenprüfungen nicht. Abiturienten sehen hier zwar besser aus, haben aber bisher das Unternehmen nach der Ausbildung wieder verlassen.

Ohne Frage zahlen Handwerksfirmen weniger als die Industrie. So muss die Auszubildende im ersten Lehrjahr mit 550 Euro brutto auskommen und das Salär steigert sich auch in den weiteren Jahr nur in Schritten von 50 Euro. „Aber bei uns sind die Lehrlinge eben nicht nur Nummern. Wir sind ein Familienunternehmen und haben einen persönlichen Bezug zu ihnen“, sagt die Personalchefin. Zudem werden auch Fahrzeiten zu den Baustellen bezahlt und es gibt Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Vor allem arbeitet die Firma aber bei interessanten Kunden wie auf den Hafenterminals der HHLA, für Airbus oder auch für die Hamburg Port Authority, für die sie die Landstromversorgung für die Kreuzfahrtterminals in Altona und in der Hafencity installiert. Besonders wichtig für Nachwuchskräfte: Die Firma Bellut bietet feste Anstellungen.