„Horst Drägerhof kennen hier alle in Neugraben“, sagt mir eine Frau aus der Seniorenresidenz Neugraben, „da oben wohnt er, im dritten Stock.“

Es war gar nicht so leicht, mit ihm einen Termin zu vereinbaren. Er ist sehr beschäftigt. Da kommt er mir schon entgegen. Dynamisch und jung wirkt er. Kaum zu glauben, dass er 80 Jahre alt ist. Er führt mich in seine Wohnung: „Hier bin ich schon mit 71 Jahren eingezogen. Meine Frau war 65. Sie konnte sich schwer von unserem großen Haus trennen. Nach drei Jahren ist sie gestorben. Ich bin hier immer noch der Zweitjüngste. Die meisten sind zwischen 95 und 100.“

Der Unruheständler, wie er sich selbst nennt, hat viel zu erzählen. „Ich war 38 Jahre in leitender Stellung bei Philips. Meine Erfahrungen wollte ich nicht begraben, sondern weiter nutzen. Seit 32 Jahren bin ich engagiert in der Kirchengemeinde Michaelis Neugraben.“ Er stellt gerade den Gemeindebrief „Michaelis-Brücke“ zusammen. Natürlich auf dem Computer. Brücken zu bauen zwischen Menschen, zwischen Kirche und Bezirk und Öffentlichkeit ist sein großes Interesse. „Ich bin durch Pastor de Wall zur Kirche gekommen. Damals habe ich die Aktion ‚Neu anfangen‘ mitgemacht.“ Das ist typisch für ihn: Nicht stehenbleiben. Nicht nur rückwärtsgewandt leben. Sich mit seinen Gaben immer neu einbringen. 14 Jahre war er Vorsitzender des Kirchenvorstands. Engagiert sich für Kinder- und Jugendarbeit. Aber Kirche ist für ihn mehr als nur die Ortsgemeinde. Er war 20 Jahre im Kirchenkreisvorstand auf Bezirksebene tätig. „Ich hatte schon für Philips-Deutschland ein Leitbild entwickelt. Das kam mir zugute. Für den Kirchenkreis wollte ich das geistliche Profil stärken. Es sollte zugleich ein Zukunftsbild sein. Wir müssen uns immer neu den Herausforderungen stellen. Und mit Mut und Zuversicht Veränderungen initiieren.“ Seine Ideen hat er tatkräftig umgesetzt. Als Vorstandsmitglied im Kindertagesstättenwerk, im Lenkungsausschuss der Familienbildungsstätte und im „Kuratorium kirchlicher Wohnanlagen“ in Harburg. Beim Thema „Leben im Alter“ ist er kaum zu bremsen. „Ich finde das Leben hier im Haus ideal. Ich bin völlig selbständig. Kochen kann ich nicht. Das Mittagessen habe ich abonniert. Wenn ich einmal nicht mehr kann, finde ich Platz in der Pflegeabteilung. Alles unter einem Dach. Für andere mögen die neuen Wohnformen für Senioren passender sein. Wohngemeinschaften, die von der Politik stark favorisiert werden, sind gut. Aber sie sind nicht das alleinige Zukunftsmodell. Es ist gut, dass es auch generationsübergreifende Wohnformen gibt. Vielfalt ist wichtig. Aber gute Häuser für Ältere wird es immer geben müssen. Ich bin hier mit Freude der Vorsitzende des Heimbeirats. Ich tue das alles ehrenamtlich. Und arbeite dafür, dass überall Haupt- und Ehrenamtliche eng zusammenarbeiten.“

Horst Drägerhof kommt dann auf sein Leib- und Magenthema zu sprechen. „Ich habe auf der Ebene der Nordelbischen Kirche maßgeblich die „Leitlinien für das Ehrenamt“ mitgestaltet. Die Synode hat diese wegweisende Erklärung 2002 beschlossen. Da bleibe ich dran! Kirche wächst immer von unten, nie von oben. Die Basis, das Kirchenvolk, muss lebendig sein. Wir sind keine Pastorenkirche. Luther hat uns das Wort vom Priestertum aller Glaubenden ins Stammbuch geschrieben.“ Die Nordelbische Kirche hat dem Ehrenamtlichen 2007 ihre höchste Auszeichnung, die Bugenhagenmedaille, für sein Lebenswerk verliehen.

Er hat noch eine zweite Auszeichnung erhalten: den „Süderelbe-Thaler“. Über die Kirche hinaus hat er sich im Bezirk Harburg vielfältig eingebracht. Er ist Bewohnervertreter im Stadtteilbeirat. „Integrierte Stadtentwicklung Zentrum Neugraben“. Da vertritt er die Interessen älterer Menschen. Er setzt sich energisch für die Barrierefreiheit ein. „Wir werden in unserer Gesellschaft immer älter. Immer mehr Menschen werden mit dem Rollator unterwegs sein. Stellen Sie sich vor“, sagt er mit erhobener Stimme, „bei der Umgestaltung des Platzes am Markt in Neugraben sind Stufen geplant. Da mische ich mich ein und melde Protest an. Den jungen Politikern sage ich: „Stellt euch vor, dass ihr hier in 40 Jahren immer noch gern und gut leben wollt. Wie könnt ihr dann jetzt an Hindernisse für alte Menschen denken? Also stellt jetzt die Weichen!“ Dass er auch im Bezirksseniorenbeirat mitwirkt und sich dort für ältere Migranten und für „Wohnen im Alter“ einsetzt, erwähnt er nebenbei.

Ich staune über die Fülle seiner Aktivitäten. Das Wort von Gorch Fock könnte das Motto seines Engagements sein: „Was du für andere tust, bestimmt den Wert deines Lebens.“ Als wir uns verabschieden, muss er noch etwas loswerden: „Ich bin Gott dankbar dafür, ein junger Alter zu sein. Und dass ich meinen Glauben fröhlich weitergeben kann. Mein Leitwort war schon immer: ‚Gott hat uns nicht den Geist der Verzagtheit gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.‘“ Ich nehme das Horst Drägerhof ohne Wenn und Aber ab.

Helge Adolphsen ist emeritierter Hauptpastor des Hamburger Michels