Grünen-Spitzenkandidat begeistert sich für Kulturkanal in Wilhelmsburg und hinterfragt die Rolle der Sprinkenhof GmbH

Wilhelmsburg. Jens Kerstan unterstützt die Idee eines Kulturkanals im Wilhelmsburger Reiherstiegviertel. Der Spitzenkandidat der Grünen bei der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft am 15. Februar sieht in einer konzentrierten Ansiedlung von Kreativschaffenden entlang des Veringkanals eine faszinierende Perspektive, den Stadtteil Wilhelmsburg nach Ende der Internationalen Bauausstellung (IBA) weiter zu entwickeln. Bei einem Besuch in der Filmproduktionsfirma „Hirn und Wanst“ in den früheren Wilhelmsburger Zinnwerken sprach Kerstan sich dafür aus, die mehr als 100 Jahre alten Industriehallen langfristig zu sichern und Kreative das Areal entwickeln zu lassen.

Das Bekenntnis zu einem Kulturkanal mit den Zinnwerken als Keimzelle beinhaltet Zündstoff: Denn die 1903 errichteten Industriehallen gehören heute der Sprinkenhof GmbH. Das Verhältnis des städtischen Immobilienverwaltungsunternehmen zu seinen Mietern in den Zinnwerken gilt als angespannt, seitdem die Kreativen zusammen mit der Nachbarschaft im Jahr 2013 den Abriss und damit den geplanten Neubau des Opernfundus am Veringkanal verhindert haben.

Jens Kerstan legt sich also mit der einflussreichen Sprinkenhof GmbH an. Aber der Grünen-Politiker ist nicht irgendeiner in Hamburg, sondern ein veritabler Anwärter auf den Posten des Stadtentwicklungssenators, sollte die Bürgerschaftswahl den erwarteten Ausgang nehmen und die SPD mit den Grünen den Senat bilden. Und weil im Wahlkampf nun einmal die Stunde der politischen Konfrontation schlägt, haut der Grüne nonchalant den Vorschlag raus, die Sprinkenhof als Verwalter am Veringkanal aus dem Spiel zu nehmen, um den „drohenden Filmriss“ in Wilhelmsburg nach der IBA abzuwenden.

Wer stattdessen die Regie am Veringkanal bei der Entwicklung einer Kulturmeile ergreifen soll, weiß Jens Kerstan auch schon. Er jedenfalls wünscht, dass der städtische Entwickler IBA Hamburg GmbH die Kreativen unterstützt. Die Einheimischen im Reiherstiegviertel trauen diese Rolle der Sprinkenhof längst nicht mehr zu. Der frühere IBA-Projektkoordinator Gottfried Eich kritisiert die Haltung der Sprinkenhof, den Gewerbehof neben den Zinnwerken lieber halb leer stehen zu lassen, als die Mieten für Start-ups zu senken. Der Wilhelmsburger fordert die Sprinkenhof als Eigentümer der Zinnwerke auf, endlich ihrer Unterhaltungspflicht nach zu kommen und die historischen Industriehallen nicht verfallen zu lassen.

Am Veringkanal gedeiht bereits eine in der Nachbarschaft verwurzelte Kreativwirtschaft. Filmproduzenten, Modedesigner und Autoren bilden mit dem Getränkehändler und dem Edeka-Markt von nebenan eine Gemeinschaft, die der Kampf gegen den Opernfundus zusammengeschweißt hat. Als erster Politiker hatte eigentlich Mittes Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) die Idee des Kulturkanals an die Öffentlichkeit gebracht. Aber: „Seit Dezember 2013 hat das Bezirksamt Mitte nichts Neues mehr vorgestellt“, sagt Marco Antonio Reyes Loredo, der mit seinem Unternehmen „Hirn und Wanst“ einen Teil der Zinnwerke gemietet hat.

Nun scheint der Grüne Jens Kerstan die SPD bei dem prestigeträchtigen Stadtentwicklungsexperiment überholen zu wollen. Der Stadtforscher Dieter Läpple von der HafenCity Universität ist fasziniert von der Idee des Kulturkanals: „Hier könnten völlig neue Formen der Verknüpfung städtischer Funktionen möglich sein“, schwärmt er.

Die ansässigen Kreativen indes legen dabei ein Tempo vor, dem die Politiker nur hinterherhecheln. Die Wilhelmsburger TV-Schmiede „Hirn und Wanst“ wird demnächst ihre erste Komödie für die ARD produzieren und tritt als Veranstalter eines Flohmarktes auf. Für die Umweltbehörde hat Marco Antonio Reyes Loredo auch noch einen Tipp: „Der Veringkanal könnte doch der erste Kanal in Hamburg werden, in dem man schwimmen darf.“