Sie sehen aus wie die beliebten „Chucks“. Die Geschichtswerkstatt erforscht das frühe Lifestyle-Produkt

Harburg. Als es noch verpönt war, Sportschuhe auf der Straße oder gar zum Anzug zu tragen, produzierte die Phoenix AG in Harburg Turnschuhe am Fließband. Mitte der 80-er Jahre verschwand der Harburger Turnschuh vom Markt. Heute wäre er ein Lifestyle-Produkt. Die Geschichtswerkstatt Harburg begibt sich auf die Spur des originär Harburger Sportartikels und plant eine Ausstellung. Dazu sucht sie Zeitzeugen, die sich noch an die Zeit erinnern, als die Phoenix AG zu den führenden Schuhherstellern Europas zählte und mit Unternehmen wie Adidas konkurrierte.

Klaus Barnick von der Geschichtswerkstatt Harburg und Bettina Evert vom Hamburger Schulmuseum ist es mittlerweile gelungen, einige wenige frühere Arbeiterinnen aus der Schuhproduktion der Phoenix AG ausfindig zu machen. Dabei ist den beiden Geschichtsforschern ein Coup geglückt: Bei ihrer Recherche sind die beiden auf eine 86 Jahre alte Frau aus Rönneburg gestoßen, in deren Keller zwei Paare des heute extrem seltenen Turnschuhs überlebt haben. Mit der markanten Gummikappe über den Zehen erinnert der Harburger Turnschuh an die heutigen Chucks, ein Lifestlyle-Schuh im Retro-Chic, der für Unangepasstheit steht.

Bei dem Internet-Auktionshaus Ebay bietet jemand weiße Segelschuhe an, die von der Phoenix stammen sollen und vermutlich in den 1980er-Jahren produziert wurden. Damit enden aber auch schon die Hinweise auf noch existierende Turnschuhe aus Harburger Produktion.

Insgesamt 40 Jahre hat die Rönneburgerin in den Phoenix-Fabrikhallen an der Wilstorfer Straße gearbeitet. Die zwei Paare Schuhe sind eine Erinnerung daran. Ihr Ehemann und sie haben die weißen Sportschuhe früher beim Kegeln getragen. In den Gummisohlen ist jeweils das Produktionsjahr vermerkt: Ein Paar stammt aus dem Jahr 1966, das andere aus dem Jahr 1986. Versteckt auf der Gummisohle befindet sich ein Hersteller-Logo in Form einer Raute. Besonders auffällig hat das Harburger Unternehmen seine eigene Marke offenbar nicht beworben.

Zumindest aber geschickt hat die Phoenix AG, die im Jahr 2004 von dem Konkurrenten Continental aufgekauft wurde, auf ihre Turnschuhe aufmerksam gemacht. Auf einem alten Wandbild für den Schulunterricht, das die Produktionsschritte von der Kautschukgewinnung bis zum fertigen Schuh schildert, hat das Harburger Unternehmen seine Marke platziert. Das Unterrichtsmaterial zeigt einen braunen Turnschuh mit schwarzer Gummikappe - ein Modell, dass selbst die heute 86 Jahre alte Arbeiterin aus Rönneburg nicht mehr produziert hat.

Bettina Evert arbeitet als museumspädagogische Begleiterin der Dauerausstellung „Schule unterm Hakenkreuz und Neuanfang 1945“ im Hamburger Schulmuseum. Dort fiel ihr das Wandbild der Phoenix auf, das Museumsmitarbeiter aus Anlass der Langen Nacht der Museen aus dem Archiv an die Öffentlichkeit gebracht hatten. Sie wunderte sich über das Unternehmenslogo auf dem Wandbild für eine Schule. Eigentlich gilt Werbung in der Schule als unzulässig. Bettina Evert bekam den Harburger Turnschuh nicht mehr aus dem Kopf und wollte mehr erfahren.

Unterstützung fand die Hamburgerin bei Klaus Barnick von der Geschichtswerkstatt Harburg. Erste Hinweise auf die Arbeitsbedingungen bei der Schuhproduktion in Harburg lieferte ein Artikel im Harburger Volksblatt, eine 1933 eingestellte SPD-nahe Zeitung, den das Museum der Arbeit archiviert hat.

Inzwischen wissen die beiden Geschichtsforscher von einer Zeitzeugin mehr: Demnach sollen in den 1950er-Jahren 28 Arbeiterinnen am Fließband pro Schicht 1200 Turnschuhe produziert haben. Damals galt die 48-Stunden-Woche. Die Arbeiterinnen verdienten 250 Deutsche Mark im Monat. Eine andere, seit 1948 bei Phoenix beschäftigte ehemalige Arbeiterin erinnert sich noch an Dämpfe, die so übel gerochen und sich an der Kleidung festgesetzt hätten, dass ihr Hund nicht mehr fressen mochte, wenn sie abends von der Schicht nach Hause kam.

Noch Ende der 1960-er Jahre galt die Phoenix als einer der führenden Schuhhersteller in Europa. Das Harburger Unternehmen brachte mit der „Schuhbox“ eine der ersten Kundenzeitschriften der Branche heraus.

Die Geschichtswerkstatt Harburg will mit einer Ausstellung an den beinahe vergessenen Turnschuh aus Harburger Produktion erinnern. Klaus Barnick und Bettina Evert hoffen, dass sich weitere Zeitzeugen bei ihnen melden. „Hat jemand noch Verpackungen, Werbeblätter oder Fotos?“ fragt Klaus Barnick. Wer erinnert sich noch an Akkord-Vorgaben oder an die Pausenregelung bei der Schuhproduktion? Ungeklärt ist noch, wann genau die Phoenix AG in die Schuhherstellung einstieg. Klaus Barnick geht bisher von Ende des 19. Jahrhunderts aus.

Ort und Zeitpunkt der geplanten Ausstellung ist noch offen. „Ich habe den Traum, die Ausstellung in den leeren Phoenix-Hallen zu machen“, schwärmt Bettina Evert. Am liebsten würde sie Arbeiterinnen in Originalgröße auf Fotos zeigen und die Aufnahmen mitten in der Halle platzieren. So würde die Schuhproduktion beinahe wieder lebendig werden.

Zeitzeugen melden sich bei Klaus Barnick, Telefon: 040/768 16 44, E-Mail: barnick-radke@t-online.de oder Bettina Evert, Telefon: 040/40 16 86 56 (im Schulmuseum), E-Mail: bettina.evert@li-hamburg.de