Das Seeveviertel rund um den Rieckhof bietet viel Potenzial – wenn es denn erkannt und genutzt wird. Jetzt werden die ersten Ideen entwickelt

Harburg. Rieckhof-Geschäftsführer Jörn Hansen hatte eingeladen und gut zwei Dutzend Teilnehmer waren in den Rieckhof gekommen, um sich Gedanken über die Zukunft des Seeveviertels zu machen. Bezirkspolitiker, Geschäftsleute, Grundeigentümer, Stadtplaner aus Hochschul-Theorie und Bezirksamts-Praxis, Menschen, die im Seeveviertel arbeiten sowie einige interessierte Harburger. Nur von den rund 900 Einwohnern des Quartiers zwischen Bahnhof und Ring hatte niemand den Weg in das Stadtteilkulturzentrium gefunden, was die Runde bedauerte.

Gleich zu Beginn wurde Vertraulichkeit des Wortes festgelegt, damit die Beteiligten frei von der Leber weg Ideen und Bedenken in die Runde werfen konnten. Dies ist ein übliches Vorgehen bei Ideenwerkstätten. Namentlich zitiert wird hier deshalb niemand, außer Hansen. Gesagt wurde trotzdem viel.

„Das Seeveviertel war einst das so genannte Sanierungsgebiet S2“, führte Hansen historisch ein. „Ende der 70er-Jahre sollte im Zuge der S-Bahn-Baumaßnahmen ein Quartier, das durch Bombenbrachen und viel Verkehr geprägt war, als innerstädtisches Wohnquartier neu entstehen. Und wenn man sich im Inneren des Viertels umsieht, ist das auch gelungen. Aber dahin kommen kaum Leute, die hier nicht wohnen. Das Bild des Viertels wird von seinen Rändern geprägt und da gibt es einige Probleme.“

Das vernagelte und verbretterte Harburg-Center zum Beispiel ist keine schöne Visitenkarte für das Quartier, fanden viele. Ebenso, dass sich an den öffentlichen Plätzen, die zwei der drei Zugänge zu dem kleinen Viertel darstellen, Trinkergruppen etabliert haben. „Viele meiner Patienten, die aus Hamburg kommen, sind dadurch erst einmal abgeschreckt“, sagt eine Heiltherapeutin, die ihre Praxis im Quartier hat. „Aber dann entdecken Sie ganz viele schöne Seiten am Viertel. Manche kommen jetzt extra aus Hamburg hierher, ohne dass sie zu mir wollen, sondern weil sie im Adese-Markt einkaufen, oder weil ihnen der Döner hier besonders gut schmeckt.“

„Einige der Durchgänge ins Viertel haben regelrecht Tropfsteinhöhlencharakter“, bemängelte ein anderer Teilnehmer. „Das ist nicht so angenehm.“ Viele in der Runde stimmten ihm zu. Auch, dass viele Gebäude an der Außenseite des Seeveviertels dem Quartier ihre Rückseite zuwenden und man vielerorts auf eine große Sammlung von Klimaaggregaten oder auf ungepflegte Rückfassaden blicken würde. „Da könnten die Hausbesitzer einiges machen“, hieß es. Und mit einem attraktiven Beleuchtungskonzept ließen sich wohl auch die Angsträume in Wohlfühlzonen verwandeln.

„Das hat schon mit dem Gloriatunnel gut geklappt“, sagte Jörn Hansen. „Das könnte an anderen Stellen auch gehen.“ Als Beispiel nannte er die Treppe von der Galerie an der Seevepassage hinab auf den Platz am Anfang der Rieckhoffstraße. „Dort gab es auch eine angenehme Beleuchtung. Die ist nur seit etwa 20 Jahren kaputt und niemand hat sie repariert.“ Entlang der Galerien und Fußgängerbrücken seien außerdem Vögel und Feuchtigkeit ein Problem. „Das ist ja aber eine Sache, die man ohne große Kosten angehen kann“, sagte einer der Stadtplaner. „Es müsste sich nur jemand kümmern.“

Die Durchgänge, die andere als so problematisch empfinden, fände er gerade charmant, sagte einer der Politiker: „Sie verleihen dem Viertel eine Art Burg-Charakter.“ Den anderen gefiel dieses Bild. In der Tat: Die Moorstraße, das Marktkauf-Parkhaus und das Harburg-Center wirken wie die Außenmauern einer Festung. Sie halten Lärm und Verkehr vom Inneren des Viertels ab. Hier gibt es zwei Burghöfe an beiden Enden der Rieckhoffstraße, geschützte Wohnhäuser mit geheimen Gärten und quasi als Palas der Burg den Rieckhof. Mit den Spindelauffahrten der Parkhäuser gibt es sogar Türme an den Mauern und die Galerien und Fußgängerbrücken, die eigentlich Fluchtwege sind, können glatt als Wehrgänge durchgehen.

„So kann man der Architektur hier auch etwas Positives abgewinnen“, sagte ein Immobilienmanager. „Aber man muss das auch schöner gestalten und dann schön präsentieren können.“

Ohne die Bewohner des Viertels ginge allerdings gar nichts, waren sich alle Stadtplaner und Politiker einig. „Immerhin ist es ihr Viertel“, sagte ein interessierter Bürger. Wir wohnen woanders und haben wahrscheinlich ganz andere Anforderungen an die Stadt, als die Leute hier.“ Deshalb wollen die Macher der Zukunftswerkstatt als nächstes verstärkt ins Viertel gehen und die Bewohner zur Mitarbeit bewegen. Eventuell mit einem weiteren Fest. Ein Seevepassagenfest und ein Sommerfest im Rieckhof-Biergarten wurden in der Vergangenheit schon gefeiert und hatten guten Zulauf.

„Ich weiß gar nicht, warum die Harburger ihre Stadtteile immer so negativ sehen und gleichzeitig ausgerechnet nach St. Pauli oder ins Schanzenviertel fahren, um auszugehen. Ich wohne in Hamburg und komme gerne hierher“, schloss die Heiltherapeutin, „Wenn die Leute hier mehr Stolz auf ihren Stadtteil entwickeln, wird das auch nach außen ausstrahlen.“