„Schwarze Zeiten für Gymnasien“: Aktion läuft an fünf Schulen im Landkreis Harburg

Tostedt. Es ist ein Protest, der umstritten ist. Er nimmt den Kindern und Jugendlichen die schönste Erinnerung an ihre Schulzeit und hat bereits zahlreiche Eltern erzürnt. Doch die Lehrer halten daran fest. Weil das niedersächsische Kultusministerium die Lehrer dazu verdonnert hat, eine Stunde pro Woche mehr zu arbeiten, boykottieren sie die Klassenfahrten.

An diesem Mittwoch unterstreichen die Pädagogen noch einmal ihren Unmut. An fünf Schulen im Landkreis Harburg protestieren sie aus Sorge um die Zukunft der Gymnasien unter dem Motto „Schwarze Zeiten für niedersächsische Gymnasien“. Die Gymnasien in Buchholz, Meckelfeld, Hittfeld und Tostedt nehmen an der Aktion teil.

Die Lehrer fordern mit ihrem Protest das niedersächsische Kultusministerium auf, die zusätzliche Lehrerstunde zurückzunehmen. Zum Beginn des laufenden Schuljahres hatte die Landesregierung die zusätzliche Lehrerstunde verordnet. Die Pädagogen unterrichten seitdem nicht mehr 23,5 Stunden, sondern 24,5 Stunden pro Woche.

Die Landesregierung hatte die Mehrarbeit mit den Investitionen in Ganztagsschulen und in die Inklusion – den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern – gerechtfertigt. 260 Millionen Euro soll allein in den Ausbau und die Ausstattung der Ganztagsschulen gesteckt werden. Mit der zusätzlichen Unterrichtsstunde können laut Kultusministerium 80 Millionen Euro eingespart werden.

Die Gymnasiallehrer sind aber der Ansicht, dass es nicht der richtige Weg sein kann, Verbesserungen an anderen Schulen auf die Beschäftigten am Gymnasium abzuwälzen. „Wir können die Bildungsarbeit nicht an einer Stelle aufbauen und anderer wieder einreißen“, so Ulli Graß, Lehrer am Gymnasium Tostedt. Ihm geht es nicht um nur um die zusätzliche Stunde, die er jetzt an der Schule ist. „Das ist das kleinste Problem. Die Vor- und Nachbereitung kommt hinzu“, sagt er. „Und die Arbeitsbelastung war schon vorher hoch.“

Der Lehrer verweist auf eine Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die an einem Gymnasium in Hannover erstmals die Arbeitszeit der Pädagogen erfasst hat. Danach arbeiten die Lehrer 50 Stunden pro Woche. „Das ist an jedem Gymnasium die Regel, und jetzt hat sich das Pensum noch einmal deutlich erhöht“, kritisiert Graß. Letztlich führe die Mehrarbeit dazu, dass die Pädagogen pro Jahr zwei Wochen mehr leisten müssten. „Das wäre so, als würde man einem Angestellten zwei Wochen Urlaub streichen“, sagt er.

Zusätzlich empört die Lehrer, dass die ihnen versprochene Altersteilzeit gestrichen wurde. Viele Lehrer haben mehr gearbeitet und sich diese Stunden auf einem Arbeitszeitkonto gutschreiben lassen, um die Arbeitsbelastung in den letzten Jahren vor der Pension zu senken. Doch das Kultusministerium gesteht den Pädagogen jetzt nicht mehr zwei Stunden, sondern nur noch eine Stunde Altersteilzeit zu.

Die zusätzliche Arbeitsbelastung gefährde die Qualität der Gymnasien, so die Lehrkräfte. Die Arbeitsreform führe dazu, dass Referendare kaum noch Chancen hätten, nach ihrer Ausbildung an einem Gymnasium angestellt zu werden. Denn allein am Gymnasium Tostedt mit insgesamt 60 Lehrern, schnellt die Unterrichtsversorgung stark nach oben. „Das macht es schwierig, junge Kollegen einzustellen“, sagt Ulli Graß. „Immer mehr junge Lehrkräfte stehen auf der Straße, während die Lehrerkollegien zusehends veraltern.“

Darüber hinaus ließe die erhöhte Arbeitszeit noch weniger Raum für die individuelle pädagogische Arbeit mit den Schülern und für die Gestaltung eines attraktiven Schulleben. Deshalb greifen die Lehrer jetzt zu dem öffentlichkeitswirksamen Mittel des Klassenfahrt-Boykotts.

Die Eltern können den Unmut der Pädagogen zwar nachvollziehen. Doch beim Klassenfahrt-Boykott hört ihr Verständnis auf. Während 2014 noch einige Klassenfahrten wegen zu hoher Stornierungsgebühren stattfanden, schlägt der Boykott in diesem Jahr voll zu. Beispiel Gymnasium Tostedt: Die Schüler der fünften und siebten Klassen müssen in diesem Jahr zu Hause bleiben. Auch die Studienfahrten in der Oberstufe, die meistens ins Ausland führen, fallen weg. Graß räumt ein, dass einige Mütter und Väter am Gymnasium Tostedt wütend auf die Entscheidung reagiert hätten.

Auch er weiß, wie hart das ist. „Die Klassenfahrten machen nicht nur den Schülern, sondern auch uns am meisten Spaß“, sagt er. Es gebe aber keine Alternative. Klausuren ausfallen zu lassen, Fachkonferenzen nicht durchzuführen oder andere Pflichtaufgaben nicht zu übernehmen, kann er nicht verantworten. Die Lehrer wollen sich schließlich nicht nachsagen lassen, dass sie ihren Job nicht mehr richtig ausführen. „Die Unterrichtsqualität darf nicht leiden, Davon hängt der Ruf der Schule ab“, sagt Graß. „Wenn es einen anderen Weg gäbe, würden wir ihn garantiert bestreiten.“