Ehemalige Referendarin sagt im Prozess um den korrupten Richter aus. „Er meinte, ich hätte keine Chance zu bestehen“

Lüneburg. Als sie nach dem Gespräch mit ihm ins Auto steigt, baut sie den ersten Unfall ihres Lebens. „Ich war aufgelöst, bin weinend nach Hause gefahren.“ Es ist der 28. Oktober 2013, im Frühjahr will die Referendarin ihr zweites Staatsexamen ablegen. Weil sie einen Ergänzungskurs bei ihm besuchen will, trifft sich die junge Frau mit dem damaligen Referatsleiter des Niedersächsischen Landesjustizprüfungsamts in einem Hotel in Hamburg. Statt Nachhilfe bietet er ihr Klausuren an. Zum Kauf.

15 Monate später erzählt die 32-Jährige ihre Geschichte vor dem Landgericht Lüneburg. Sie ist als Zeugin geladen in dem Prozess gegen Jörg L., der mehrfach wegen Bestechlichkeit, Geheimnisverrat und Nötigung angeklagt ist. Weil sie nicht die Einzige ist, der der Jurist sein unlauteres Angebot gemacht hat. Ein halbes Jahr hat die Staatsanwaltschaft gegen sie ermittelt, war sie Beschuldigte, bis endlich die Ermittlungen gegen sie eingestellt werden.

„Ich bin zu einer Tagung im Grand Elysée Hotel in Hamburg, um 17 Uhr habe ich Zeit, mit dir über deine beruflichen Perspektiven zu sprechen.“ So ähnlich schreibt der Richter der Referendarin am 25. Oktober 2013. Sie sagt zu. Fährt mit dem Auto von Bremen nach Hamburg, kommt wegen starken Sturms und gesperrter Straßen anderthalb Stunden zu spät.

„Er fragte, wie er mir helfen kann. Ich sagte, ich möchte teilnehmen an dem Ergänzungsvorbereitungskurs in Celle. Er fragte, was ich nach Bestehen machen möchte, ich sagte: Ich möchte Rechtsanwältin werden. Er fragte, und was ist dein Plan B? Ich sagte, es gibt keinen Plan B. Ich möchte Rechtsanwältin werden. Dann fragte er mich, ob ich mein Examen nicht kaufen möchte.“

Sie sagt: „Natürlich, kaufen!“, und lacht. Denkt, das sei ein Scherz. Glaubt nicht, was sie da hört.

„Er sagte, das sei gängige Praxis. Ich fragte, was das denn kosten würde. Er sagte, sechsstellig für ein Prädikatsexamen, damit könnte ich dann auch Richterin oder Staatsanwältin werden. Ich sagte, diese Ambitionen habe ich gar nicht, ich möchte mich als Rechtsanwältin selbstständig machen. Dann sagte er, es gingen auch drei bis vier Klausuren. Ich solle mit meinen Eltern sprechen, sie würden mich sicher unterstützen. Türken hätten doch alle Geld und Grundstücke in der Heimat. Und mein Vater würde so etwas ohnehin kennen, weil er in der Türkei aufgewachsen ist.“

Sie dankt und lehnt ab. Sagt, sie hätte das Geld nicht. Er gibt ihr eine Woche Bedenkzeit. Sie meldet sich nicht bei ihm. Dann schickt er ihr eine SMS: Er hätte sie gern glücklich gesehen.

Zwei Monate später wieder eine SMS: Er würde ihr gern helfen. Wieder zwei Monate später: Ob sie noch Interesse habe? Immer von unterschiedlichen Handynummern.

Dann antwortet sie ihm, sagt, sie habe das Geld immer noch nicht. Weil sie den Schein wahren, ihn nach dem Examen verpfeifen will. Der Richter bietet ihr Raten an. „Er schrieb: zweimal zehn. Eigentlich seien es 40, meinen Preis bekämen nur beste Freunde und Geliebte. Er schrieb, du kannst mir ja ein Angebot machen. Mit einem Smiley dahinter.“ Wie eine Aufforderung sei ihr das vorgekommen: „Sex gegen Klausuren. Ich war angewidert.“

Aus gesundheitlichen Gründen hat die Bremerin ihr zweites Staatsexamen bis heute nicht abgelegt, sie bezieht Krankengeld und lebt bei ihren Eltern. Der Richter, erzählt sie noch, hatte ihr gedroht: „Einer psychisch kranken Referendarin wird man man eh nicht glauben, sagte er. Und: Ich bin nicht alleine.“

Sie bekam es mit der Angst zu tun. Dass ihre juristische Karriere endet, bevor sie angefangen hat. „Zum wem sollte ich gehen? Bei wem sollte ich mich beschweren? Ich wusste ja nicht, er alles noch da drin steckt.“

Ihren Plan, den korrupten Richter auffliegen zu lassen, gibt sie aber nicht auf. Lässt seine SMS auf ihrem Handy, bewahrt das Parkticket vom Hotel in Hamburg auf. Macht sich Notizen, damit sie nichts vergisst.

Dann ruft ein Mann vom Landeskriminalamt auf ihrem Handy an. Durchsuchungsbefehl. Sie geht gerade mit dem Hund Gassi. „Als ich hörte, dass ich Beschuldigte bin, habe ich die Welt nicht mehr verstanden.“

Vor Gericht entschuldigt sich Jörg L. bei den Zeugen. Am kommenden Dienstag sind diejenigen dran mit ihrer Aussage, die das Angebot des Prüfers angenommen haben.