Kinos zeigen einen Dokumentarfilm über die aktuelle Flüchtlingssituation – gedreht im Landkreis Harburg

Winsen. Während auf deutschen Straßen Tausende selbst ernannte Patrioten gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ protestieren, werben Hauke Wendler und Carsten Rau für ihren Dokumentarfilm „Willkommen auf Deutsch“. In dem 90-Minuten-Streifen, der am 12. März in die Kinos kommen wird, zeigen sie, dass bürgerlicher Rassismus tatsächlich existiert. Aber auch, dass es immer wieder engagierte Bürger gibt, die über jedes Vorurteil erhaben scheinen und sich bedingungslos für das Wohl der Flüchtlinge in ihrer Mitte einsetzen. Fast ein Jahr lang begleiteten die Hamburger Filmemacher dafür Personen aus Appel und Tespe im Landkreis Harburg, wo traumatisierte Asylbewerber neben Dorfbewohnern leben, die sich angesichts der neuen Nachbarn um ihre Töchter und den Verkaufswert ihrer Häuser sorgen. Die Situation ist schwierig. Aber sie ist nicht hoffnungslos.

Der Film ist ein gelungenes Beispiel, das stellvertretend steht für bundesweit 295 Landkreise. Denn die deutschen Behörden stehen alle vor der gleichen Mammutaufgabe: Sie müssen innerhalb kürzester Zeit Asylbewerber in ihrer Region unterbringen. In Harburg sind es mittlerweile rund 40 pro Woche. Doch die Möglichkeiten sind begrenzt, die Kapazitäten nahezu ausgeschöpft. Und immer wieder gibt es Bürger, die zwar halbherzig vorgeben, den Flüchtlingen helfen zu wollen – aber eben nicht vor der eigenen Haustür.

Was also passiert, wenn Menschen aufeinander prallen, die sich fremd sind? Was bedeutet es, wenn der Landkreis Grundstücke und Immobilien sichtet und dabei auf Gegenwehr bei den Einwohnern stößt? Und wie fühlen sich eigentlich die Menschen, die mutig Familie und Freunde zurückließen, um Krieg, Armut und Perspektivlosigkeit zu entfliehen und nach oft monatelanger Odyssee ein neues Leben in Deutschland zu beginnen?

„Es gibt Tage, ab denen haben wir nur Angst“, sagt Larisa. Angst vor einer ungewissen Zukunft. Angst vor der Abschiebung in ein Land, in dem ihrer Familie Schlimmes wiederfahren ist und in das sie niemals zurückkehren will. Die 21-Jährige floh vor zwei Jahren mit ihrer Mutter und ihre fünf Brüdern aus Tschetschenien, kam über Polen nach Deutschland. Nach einem Monat im Auffanglager bezog die siebenköpfige Familie in Tespe eine Wohnung über der ehemaligen Sparkasse. Doch die Freude darüber währte nicht lang. Es gab Proteste. Auf einer Informationsveranstaltung fing die Mutter an zu weinen und wurde wenig später mit einem Nervenzusammenbruch in ein Krankenhaus eingeliefert. Ihre Tochter Larisa musste sich um Haushalt und Geschwister kümmern. Die Last und die Sorge um die Mutter und eine drohende Abschiebung waren allgegenwärtig.

Beinahe zeitgleich protestierten zahlreiche Bürger der Gemeinde Appel gegen die geplante Unterbringung von 53 Asylbewerbern in einem ehemaligen Pflegeheim an der Hauptstraße. „Ich glaube nicht, dass die Bevölkerung das so akzeptieren kann und wird“, sagt Hartmut Prahm. Zehn Asylbewerber in Appel, das sei ein faires Angebot an den Landkreis. „Wir sind keine Bittsteller“, sagt Prahm. Und sowieso könne Deutschland für den afrikanischen Kontinent nicht Anlaufstelle sein. „Das geht gar nicht. (…) Das können wir nicht akzeptieren.“

Dass die Menschen, die sich auf den Weg nach Europa machen, zuvor viel Leid ertragen haben, zeigt auch das Beispiel von Malik und Abida. Weil sie heiraten wollten, aber unterschiedlichen Glaubens sind – er muslimisch, sie römisch-katholisch – wurden sie in ihrem Land massiv bedroht. Irgendwann seien die Angriffe so unerträglich geworden, dass das Paar Pakistan verließ. „Es ist nicht leicht für uns, uns hier zurechtzufinden. Vor allem Malik vermisst seine Heimat sehr“, sagt Abida.

Um den Flüchtlingen den Neuanfang zu erleichtern, haben sich in vielen Orten in der Region mittlerweile ehrenamtliche Unterstützerkreise gebildet. Manche ziehen aber auch auf eigene Faust los und helfen, wo Hilfe nötig ist. Wie Ingeborg Neupert zum Beispiel. Als sie hörte, dass in Tespe eine tschetschenische Familie eingezogen ist, bot sie ihre Unterstützung an, gab den Kindern Deutschunterricht. Doch ihr Engagement hinterließ Spuren. Es gab Tage, an denen sie an den Bestimmungen des Asylgesetzes verzweifelte. Die drohende Abschiebung der Familie machte ihr sehr zu schaffen. „Diese Menschen haben keinen Platz auf dieser Erde. Das ist entsetzlich“, sagt Ingeborg Neupert.

Auch Reiner Kaminski, Sozialdezernent des Landkreises Harburg, kritisiert die Abschiebepraxis. „Um einen Menschen willkommen zu heißen, müssen sich Freundschaften bilden. Und ich kann eine Freundschaft nicht von vornherein für einen bestimmten, begrenzten Zeitraum festlegen. Das heißt also, wir haben hier einen Ansatz, die Menschen willkommen zu heißen, eine Willkommenskultur aufzubauen, müssen aber im Hinterkopf gleichzeitig haben, dass die Flüchtlinge, die wir aufgenommen haben, innerhalb kürzester Zeit vielleicht wieder zurückgeführt werden. Und das widerspricht sich an der Stelle. Es ist meine feste Überzeugung, dass unser Ausländerrecht einer umfassenden Reform bedarf.“