In fast 100 Fällen hat Hans-Jürgen Schmidt Streit im Alltag geschlichtet. Nun wird er für seine zehnjährige Arbeit geehrt

Döhle. Diese Geschichte hätte niemand besser erfinden können und doch ist sie wahr. Sie handelt von einem Streit unter zwei Männern aus Asendorf, die heute fast Freunde geworden sind und dem Schiedsmann Hans-Jürgen Schmidt, der dies vollbrachte.

Alles beginnt mit einem Pfeifenstielgrundstück und einem schlammigen Sandweg bis zum hinteren Anwesen. Immer wieder flitzt der dort ansässige Geschäftsmann mit seinem Wagen am geparkten Fahrzeug seines Nachbarn vorbei, wirbelt Dreck auf und verschmutzt das fremde Blech. Bis es dem Mann im vorderen Haus zu viel wird. Er schaltet Hans-Jürgen Schmidt ein. „Ich will mit 7,50 Euro die Hälfte von dem zurück, was ich jedes Mal fürs Autowaschen bezahlen muss“, sagt er. „Naja“, sagt Schmidt, „allein die Verwaltungsgebühr kostet 50 Euro. Lohnt sich das?“ Doch dem Mann geht es ums Prinzip.

Tatsächlich kommt es zu einem Treffen der beiden und Schmidt muss einsehen, dass er hier keinen Kompromiss erzielen kann. Keinen Cent will der Geschäftsmann zahlen. „Die Sitzung hat nichts erbracht“, erinnert sich Schmidt. „Aber ich habe erreicht, dass die beiden später gemeinsam in Gummistiefeln und mit Schaufeln den Weg hergerichtet haben.“ Damit war das Problem vom Tisch. Jetzt trinken die Nachbarn auch mal ein Bier zusammen. Darauf ist der Schiedsmann, der in Döhle am südlichen Rand des Landkreises wohnt, noch heute stolz.

Immerhin seit zehn Jahren ist Schmidt jetzt als Schlichter mit solchen Streitigkeiten befasst. Seine Fälle reichen von Grenzstreitigkeiten über Handwerker-Pfusch, Lärm von Mietern bis hin zu Erbstreitigkeiten, bei denen er sich stundenlang mit der Verteilung von Möbeln, Modelleisenbahnen oder handgestrickten Socken befassen musste. Alles ehrenamtlich für ein paar Euro Aufwandsentschädigung. „Ach, du hast vielleicht einen Fall pro Jahr“, hatte ihn der damalige Hanstedter Samtgemeindebürgermeister, Volker Hinz, die Sache schmackhaft gemacht. Schmidt mochte nicht Nein sagen. Doch mit der Zahl der Termine kam er längst nicht aus. 97 Fälle hat Schmidt nun bearbeitet und mehr als drei Viertel von ihnen mit einem Kompromiss abgeschlossen. „Bei mir gibt es nur Ja oder Ja, kein Nein“.

Wer zu Schmidt kommt, wurde vom Amtsgericht oder der Polizei geschickt oder wendet sich gleich über die Samtgemeinde an ihn. Nur wenn ein Verfahren schon läuft oder es um Arbeitsrecht geht, dürfen Schiedsmänner nicht eingreifen. Zunächst muss für eine Schlichtungsverhandlung ein offizieller Antrag gestellt werden, für den Schmidt die Formulare bereit hält. Der Antragsteller schildert den Fall und muss darstellen, wie er das Problem lösen will. Dann wird der Gegner angeschrieben und zum Termin geladen. Bei der Samtgemeinde hat Schmidt ein Büro und kann zudem ins Trauzimmer ausweichen. „Dort habe ich noch jeden Fall hingekriegt“, versichert er.

Zur Sitzung darf jeder der Kontrahenten einen Beistand mitbringen, das kann auch ein Rechtsanwalt sein. Schmidt dagegen versichert bei der Eröffnung der Sitzung erst einmal, dass er kein Jurist ist. Der Mann für besondere Fälle hat einen anderen Werdegang.

Maschinenbaumeister ist der 70-Jährige, hat aber in diesem Beruf nur ein Jahr in Toppenstedt gearbeitet. Danach wechselt er in ein Heilpädagogisches Heim für Schwererziehbare in der Nähe von Bispingen. Doch weil der Meister, den er in den dortigen Werkstatt ablösen sollte dann doch bleibt, absolviert Schmidt dann eine Prüfung als staatlicher Heimerzieher. Der sozialen Branche bleibt er bis zu seiner Rente treu. Zuletzt ist er Betriebsleiter bei der inab – Ausbildungs- und Beschäftigungsgesellschaft in Buchholz. Im Ehrenamt engagiert sich Schmidt 13 Jahre im Samtgemeinderat, wird Vormund oder Elternsprecher an den Schulen seiner drei Kinder.

Die Vielzahl seiner Erfahrungen hilft ihm heute, seine Sitzungen zu gestalten. Er hört sich beide Seiten an und lässt die Kontrahenten bewusst ihren Ärger abreagieren. „Aber irgendwann muss Ruhe sein. Dann müssen wir nach vorn schauen und eine Entscheidung suchen.“ Gelingt das, wird die Einigung protokolliert, erhält ein Amtssiegel, wird unterschrieben und ist für 30 bis 35 Jahre rechtsverbindlich. Nur wenn das nicht klappt, bekommt der Antragsteller ein Dokument, mit dem er vor ein Amtsgericht ziehen kann. Das kommt bei Schmidt selten vor. „Wenn gar nichts geht, rede ich platt.“

Als Anerkennung für seine Arbeit wird Schmidt nun am 26. Januar von Hanstedts Samtgemeindebürgermeister Olaf Muus und Albert Paulisch, dem Direktor des Amtsgerichts in Winsen, mit einer Dankesurkunde des Präsidenten des Landgerichts Lüneburg geehrt. Paulisch vertritt im östlichen Kreis Harburg die Fachaufsicht über acht Schiedsleute. „Sie sind meist 50 Jahre und älter. Daher besteht stets Bedarf an neuen Interessenten“, sagt Paulisch. Wer Schiedsmann werden will, muss älter als 30 Jahre sein, im Landkreis wohnen und einen guten Leumund haben. Gewählt wird er von der jeweiligen Samtgemeinde, das Amtsgericht muss die Wahl bestätigen. „Wer im Sinne der jeweiligen Sache entscheidet, kann keine Fehler machen“, ist ein Leitspruch des Juristen Paulisch, der seit 1997 an der Spitze des Gerichts in Winsen steht.

Gestützt auf den Leitspruch hat Schmidt sein Amt gerade um fünf Jahre verlängert. Damit ergeben sich für ihn gute Chancen, auch seinen 100. Fall erfolgreich abzuschließen.