Willkommenskultur in Neu Wulmstorf: Die Gemeinde unterstützt Flüchtlinge, Flüchtlinge unterstützen die Gemeinde

Neu Wulmstorf . Erster Arbeitsauftrag: Weihnachtsdekoration abschmücken und aus der Lutherkirche tragen. Für Mohammed Abou Rashed (35) und Mohammad Abu Sbeh (26) war das eine ungewöhnliche, aber willkommene Abwechslung zum tristen Alltag in der Flüchtlingsunterkunft in Neu Wulmstorf. Die muslimischen Syrer, die vor zwei Monaten ein Zimmer in der ehemaligen Heideresidenz an der Hauptstraße bezogen, gehen Andrej Brese, Küster und Hausmeister der evangelisch-lutherischen Gemeinde, bei seiner Arbeit zur Hand und vertreiben sich so die Zeit.

„Außer warten gibt es für uns nicht viel zu tun. Deshalb sind wir sehr dankbar für diese Aufgabe“, sagt Mohammed Abou Rashed, der wie sein Landsmann Mohammad mit 1,05 Euro pro Stunde vom Winsener Herbergsverein entlohnt wird. Doch statt den Boden des Gemeindehauses zu reinigen, würde er lieber in seinem alten Beruf arbeiten. „In Kobane war ich als Chemiker in einer Kläranlage angestellt, bis diese von heute auf morgen geschlossen wurde. Als die Angriffe der Dschihadmiliz auf die Stadt immer stärker wurden, machte die Firma dicht“, sagt Mohammed. Auf der Suche nach einer neuen Perspektive verließ er in einem geschlossenen Truck seine Heimat, Frau und Kinder blieben zurück.

Mohammad Abu Sbeh flüchtete vor dem Blutvergießen in der syrischen Hafenstadt Latakia, kam über Italien nach Deutschland. Seit einem Monat wohnt er mit 43 weiteren Flüchtlingen in der Unterkunft an der Hauptstraße. Das Netzwerk „Willkommen in Neu Wulmstorf“ hilft den jungen Männern aus Syrien und dem Sudan bei der Integration. Schon seit Sommer stehen die Ehrenamtlichen in den Startlöchern, bereichern mit freiwilligen Angeboten tatkräftig den Alltag der Flüchtlinge. „Dieses Netzwerk ist einfach toll. Ich hätte nie gedacht, dass der Ort, den ich nun seit fünf Jahren kenne, in Sachen Willkommenskultur derart weit vorne ist. Ich staune, bin gerührt und freue mich total, wie viele mitmachen. Und auch die Spendenbereitschaft der Neu Wulmstorfer Bevölkerung ist überwältigend“, sagt Pastor Florian Schneider. Bürger hätten Wollsocken gestrickt, alte Fernseher und Playstations gespendet, Bänke, Tischkicker, Pflanzen und sogar ein Billardtisch ins Haus getragen. Außerdem seien mehr als 130 Geschenktüten verpackt worden, die die Flüchtlinge dankbar entgegen genommen hätten.

Zu den zentralen Angeboten des Netzwerkes gehören auch die Sprachkurse, die dreimal pro Woche für jeweils zwei Stunden von Mitstreitern ehrenamtlich organisiert und durchgeführt werden. Doch Ingrid Rosenthal ist beunruhigt: „Wir hatten vom Landkreis Harburg die Zusage, dass die Flüchtlinge einen professionellen Sprachkurs bekommen. Unsere Angebote sind nur ein Überbrückungsangebot. Aber jetzt wird gemunkelt, dass der Landkreis dafür kein Geld mehr hat“, sagt Rosenthal. Kreispressesprecher Johannes Freudewald versichert jedoch, dass der Landkreis zu seinem Beschluss aus dem vergangenen Jahr steht. „Wir haben aber gemerkt, dass wir der Nachfrage nicht mehr Herr werden. Wir müssen jetzt schauen, wie wir das am besten organisiert bekommen.“

Ein weiterer erfolgreicher Baustein des Netzwerkes ist die unter der Regie von Peter Boser im Wohnheim eingerichtete Fahrradwerkstatt. Defekte Räder werden instand gesetzt und den Flüchtlingen als Leihgaben oder zum Kauf angeboten. „Überzählige Drahtesel nehmen die Hausmeister des Wohnheimes gern entgegen“, sagt Schneider.

Das Netzwerk bietet außerdem regelmäßig einen interkulturellen Treff im Mehrgenerationenhaus „Courage“ an. „Wir freuen uns über Menschen, die Zeit und Lust haben, zwischen 10 und 11.30 Uhr vorbeizuschauen und mit den Flüchtlingen in Kontakt zu kommen. Die meisten Männer sprechen wenigstens etwas Englisch“, sagt der Pastor. Nächster Termin für das internationale Frühstück ist Sonnabend, 17. Januar, ab 10 Uhr.

Was noch fehlt, sind unterschiedliche Freizeitangebote. „Wir stellen uns momentan vor, künftig Kochabende, Spieleabende, Wanderungen, Exkursionen und englischen Kinovorführungen auf die Beine zu stellen. Viele Flüchtlinge würden sehr gern Sport machen und freuen sich über entsprechende Angebote“, so Schneider. „Dabei würden wir uns auch über die Hilfe von jungen Mitstreitern freuen. Gerade der Kontakte zu Gleichaltrigen und Einblicke in deren Lebenswelt, in Arbeitsmarkt und Freizeitgestaltung wären sehr hilfreich für die Flüchtlinge.“

Nähere Informationen gibt es unter 040/76429935 und bei Hannelore Schade, Mehrgenerationenhaus „Courage“ unter der Telefonnummer 040/72828177. Das nächste Netzwerktreffen findet am Mittwoch, 14. Januar, 19.30 Uhr, im Gemeindehaus statt.