Trend zum Selbermachen beschert dem uralten Handwerk großen Zulauf: Spinnrad und Webstuhl sind wieder in

Längst reihen heute nicht mehr nur Omis Masche an Masche. Stricken und auch Nähen und Häkeln liegen voll im Trend. Man hört das regelmäßige Klackerdiklack der Stricknadeln immer mal wieder im Café, in der Bahn oder im Park. Dieser steile Aufwärtstrend für die Handarbeit steigert auch das Interesse fürs uralte Handwerk – für das Weben und Spinnen.

Almut Gladow, 62, die im Freilichtmuseum am Kiekeberg die Webwerkstatt leitet, bekommt in der letzten Zeit deutlich mehr Zulauf. „Junge Familien sind alle wieder sehr interessiert“, sagt sie. Die Termine zum Mitweben sind für die nächsten Wochen bereits ausgebucht.

Wer die Weberei im Obergeschoss des Eingangsgebäudes vom Freilichtmuseum besucht, fühlt sich um Jahrhunderte zurückversetzt. Dort stehen unter anderem ein Hochwebstuhl, ein Schnellschusswebstuhl und ein alter Webstuhl aus Eichenholz, wie er vor 200 Jahren auf Bauernhöfen üblich war. Es ist ein heimeliger Raum. Die Holzdielen knarren. Es klackert, klickert und quietscht, wenn die Frauen die Webstühle bespielen.

An jedem ersten und dritten Wochenende wird das Handwerk vorgeführt. Das Museum profitiert davon, dass sich dafür wieder viele Menschen anmelden, um den Besuchern das Weben zu zeigen. „Es ist ein großer Unterschied, wenn hier jemand sitzt und webt und die Besucher nicht in einen toten Raum kommen“, sagt Almut Gladow.

Natürlich hat dieses neu gewachsene Interesse für das alte Handwerk nichts mit der Not früherer Zeiten zu tun. Die Frauen, die hier an den Webstühlen sitzen, könnten sich locker einen Läufer oder Teppich selber kaufen. Forscher erklären den Do-it-yourself-Trend mit dem Wunsch, sich in Krisenzeiten dem Kleinen, dem Handwerk zuzuwenden.

Jetzt, da Kriege Europa umzingeln, da der Terror Angst und Schrecken verbreitet, ziehen sich die Menschen zurück und konzentrieren sich auf das, was sie selbst beeinflussen können und wenn es nur ein selbst hergestelltes Stück Stoff ist. Hinzu kommt der Drang, in der kommerzialisierten Welt wieder etwas selber machen zu wollen. Das Stricken, Nähen, Häkeln, Weben und Spinnen ist ein Auswuchs einer neuen Sehnsucht nach dem geerdeten gebremsten Leben in einer kommerzialisierten, schnelllebigen Gesellschaft.

„Wellness-Weben“ nennt Ute Burneleit, 53, aus Hamburg-Altona das. Sie ist Mediengestalterin und verbringt den ganzen Tag vor dem Computer. „Da ist das Weben hier im Museum ein toller Ausgleich“, sagt sie. „Und ich mag gerne Sachen selber entstehen lassen.“

Auch Hildegard Winter-Otte, 66, aus Hamburg-Eppendorf bekommt ihren Kopf frei, wenn sie immer wieder das Schiffchen von rechts nach links schießt, die Kammlade zu sich heranzieht und die Pedalen tritt. „Ich konzentriere mich nur darauf“, sagt sie. Das Beste dabei: Rückenschmerzen, die sie immer mal wieder plagen, sind nach dem Besuch des Webraums im Freilichtmuseum verflogen. Denn der ganze Körper ist beim Weben in Bewegung.

Um die Webstühle bedienen zu können, braucht es eine lange Vorbereitung. Einen Tag dauert es, um beispielsweise den alten Bauernwebstuhl zu bespannen. 600 Kettfäden hat er. „Die haben wir beim Bespannen alle mal in der Hand gehabt“, sagt Almut Gladow. „Das erklärt, dass es ein echtes Handwerk ist. Man kann das nicht einfach zu Hause machen. Das Weben erfordert sehr viel Wissen und Zeit.“

Gleiches gilt für das Spinnen. Auch dieses Handwerk erlebt eine Renaissance. Das regelmäßige Wusch-Wusch zahlreicher Spinnräder ertönt in der Spinnstube des Moisburger Amtshauses. Die Spinngruppe existiert seit 1980 und hat inzwischen so viele Mitglieder wie noch nie. Rund 20 Frauen kommen regelmäßig zum Spinnen zusammen. Was viele bislang allenfalls mit dem Märchen Rumpelstilzchen assoziierten und ungefähr so cool fanden, wie das Tragen von Tennissocken in Adiletten, ist wieder hip. Wer die Spinngruppe im Amtshaus Moisburg besucht, blickt in die Gesichter vieler junger Nachwuchsspinner. Gesa Gabler, 37, aus Moisburg ist eine von ihnen. Sie hat schon immer gestrickt und gehäkelt. Jetzt kann sie auch Spinnen. Sie nutzt das alte Handwerk, um sich das zu nehmen, was ihr die Natur, genauer gesagt das Schaf, gibt.

Die Grafikdesignerin macht den ganzen Prozess durch wie es vor Jahrhunderten üblich war. Sie kauft sich nicht etwa fertige Stränge, auch Kammzüge genannt, zum Spinnen. „Im Internet bestellen kann ja jeder“, sagt sie. Sie nimmt sich die Rohwolle vom Schaf, wäscht und kämmt sie und erst dann verspinnt sie diese. Sogar Haare von Hunden und Katzen verarbeitet die Frau zu Wolle. Ausgekämmte Haare ihres Berner Sennenhundes hat sie zu einem Tuch gestrickt. Selbst die Farben kommen aus der Natur. Mit Hilfe der Pflanze Goldrute wird die Wolle gelb, und Zwiebelschalen machen die Wolle kupferfarben. „Manche mögen das kitschig finden“, sagt Gesa Gabler. Aber für sie ist es gerade das Schöne, dass alles aus der Natur kommt. „Zurück zum Ursprung“, nennt sie es.

Frauke Osse, 56, erklärt das gestiegene Interesse an der Spinngruppe mit dem neuen Spaß am Selbermachen. Alle Frauen sind sich einig: Spinnen entspannt. Zumindest dann, wenn man es geschafft hat, Arme und Beine am Spinnrad zu koordinieren. „Mit der Fliehkraft des Spinnens fliegen auch schlechte Gedanken fort“, sagt Frauke Osse.

Der Grafikdesignerin Andrea Wegner, 57, verschaffte das Spinnen einen Draht zu den Nachbarn in Moisburg . Sie ist vor kurzem hierher gezogen und hat als erstes Anita Prigge kennengelernt. Ein Glücksfall. Andrea Wegner konnte so das Spinnen auf dem alten Rad, das sie auf ihrem Dachboden gefunden hat, von ihr lernen. Und so verbrachte sie zusammen mit Marianne Klahn, 67, die ebenfalls das Spinnen erlernen wollte, jeden Mittwoch am Spinnrad vor dem Ofen von Anita Prigge. Ab dann fühlte sich Andrea Wegner erst richtig in Moisburg angekommen. „Ich habe mich wohler gefühlt“, sagt sie.

Anita Prigge, 87, ist so etwas wie ein alter Hase. Seitdem sie 14 Jahre alt ist, sitzt sie regelmäßig am Spinnrad. Sie kennt das Handwerk noch aus Zeiten, in denen man froh war, wenn die Tiere einem die Kleidung lieferten. Der Mann, den sie heiratete, besaß Schafe. „Die Wolle musste verarbeitet werden“, sagt sie. So einfach war das. Und heute? Warum spinnt sie heute noch? „Es bringt Spaß“, sagt Anita Prigge.