Lunenburg in Nova Scotia/Kanada hat mit Lüneburg historisch nicht all zu viel gemeinsam – aber schön ist es hier auch

Lunenburg. Shelah Allen ist Lunenburgerin in der achten Generation. Ihre deutschsprachigen Vorfahren waren einst aus der Schweiz nach Kanada eingewandert und haben den Ort mitbegründet. Sie ist auch Lunenburgerin aus Überzeugung: Vor drei Jahren warf die studierte Kommunikationswirtin einen gut bezahlten Marketing-Job auf dem kanadischen Festland hin, um nach Hause ziehen zu können in die Atlantikprovinz Nova Scotia. Hier hat sie mit einer Freundin zusammen ein kleines Unternehmen gegründet: Lunenburg Walking Tours. Die Managerin ist Fremdenführerin geworden.

„Ich habe auch schon Touristen aus Lüneburg in Norddeutschland durch die Stadt geführt“, sagt sie, „aber Lunenburg und Lüneburg haben nur den Namen gemeinsam."

Ganz so ist es nicht: Immerhin geht der Name Lunenburg auf Georg, den Kurfürsten von Lüneburg und Braunschweig zurück, der – quasi im Nebenjob – als George II. auch König des britischen Empire war und Lunenburg durch seinen kanadischen Statthalter, Duke Corwallis, gründen ließ.

Die Provinz Nova Scotia ist fast eine Insel, nur durch eine schmale Landbrücke mit dem Festland verbunden. Hier siedelten nacheinander Micmac, Franzosen, Schotten, Deutsche und Engländer. Auf der seewärtigen Südseite sind die Böden dünn und mager. Hier Siedler zu finden war schwierig. Viele warfen das Handtuch. König George ließ deshalb Deutsche anwerben. Protestanten sollten es sein – aber nicht seine eigenen Untertanen, die hatte er ja schon, und es ging ihnen gut. Also zogen seine Werber Mitte des 18. Jahrhunderts nach Süddeutschland und in die Schweiz, wo sie mit nicht immer lauteren Methoden Leute anlockten.

„600 Pfälzer Württemberger und Schweizer kamen mit der ersten Welle“, sagt Shelah Allen, „sie mussten die ersten zwei Jahre in der Provinzhauptstadt Halifax bleiben, wo man sie mehr schlecht als recht durchfütterte, weil hier noch nichts fertig war.“

Als die Siedlung fertig parzelliert war, wurde es nicht besser, denn das Land gab nichts her. Hunger und Wetter dezimierten die ersten Siedler erheblich. Die, die blieben und überlebten, nahmen den Rat derer an, die hier schon länger wohnten: Akadier, Franzosen, die hier gesiedelt und sich mit den Ureinwohnern, den Micmac verschwägert hatten. Sie wiesen die Deutschen auf den wahren Reichtum der Region hin: Fisch. Binnen weniger Jahrzehnte wurde eine Population süddeutscher Landratten zu einem der renommiertesten Schiffbauer- und Hochseefischer-Völker der Welt, den „Blaunasen“, wie sie sich selbstironisch nannten. Am Stockfischexport in katholische Länder verdienten sich die protestantischen Blaunasen eine goldene Nase.

„Der Reichtum brachte ein besonderes architektonisches Merkmal Lunenburgs hervor", sagt Shelah Allen, „aus den sogenannten Witwentürmen, den Erkern aus denen die Kapitänsfrauen die Hafenbucht beobachteten, um rechtzeitig zu sehen, wenn ihr Mann nach Hause kam, entwickelte sich der ‚Lunenburg Bump’, ein turmartiger Vorsprung, der nun keinen Zweck mehr erfüllte, außer zu zeigen, dass man ihn sich leisten konnte.“

In den 1980er Jahren war plötzlich Schluss mit der Herrlichkeit: Die Überfischung ließ die kanadische Regierung ein Kabeljau-Fangverbot aussprechen. Die Hochseefischerei war damit Geschichte – bewahrt im Fischereimuseum, in Legenden von den Grand Banks, im Museumsschiff Bluenose 2 – dessen kostspielige Restauration so etwas wie die kanadische Elbphilharmonie ist – und in der Küche Nova Scotias. In Küstengewässern fischen die Blaunasen immer noch. Muscheln und Hummer aus Nova Scotia sind ein Exportschlager, aber die Fänge so gut, dass die Preis im Keller sind.

Lunenburg heute lebt vom Tourismus. Amerikaner kommen gerne, weil die Stadt wirkt, wie die Neuenglandstaaten der US-Gründer - nur nicht so amerikanisiert. Auch Filmcrews nutzen die altamerikanische Optik der Stadt. Festlandkanadier kommen, um sich Seeluft um die Nase wehen zu lassen. Europäer sind noch rar, aber gerne gesehen.

Besucher finden ein malerisches Städtchen, fast so alt, wie es auf dem neuen Kontinent eben geht; herzliche Gastgeber und eine Küche, der man anmerkt, dass Hummer in dieser Region manchmal günstiger zu haben ist, als Hackfleich.. Zum Schluss hat Frau Allen einen Geheimtipp: Die Ironworks Distillery in der alten Werftschmiede stellt Rum und Obstbrände in Gourmetqualität her – leider nur in Kleinstmengen.