Aktionsplan für Tostedt: Dank Klaus Buhmann untersuchen Studierende aus Lübeck die Gebäude auf Barrierefreiheit

Tostedt. Klaus Buhmann, 67, hatte lange Zeit nichts daran auszusetzen, wie die Deutschen mit behinderten Menschen umgingen. Es erschien ihm richtig, dass Menschen mit Behinderung in Werkstätten arbeiten und so nicht dem Stress und der Hektik des regulären Arbeitslebens ausgesetzt sind. Dass sie in Förderschulen unterrichtet wurden und damit unter ihresgleichen waren.

Bis die Ärzte bei seinem Sohn Frederik eine seltene Stoffwechselkrankheit diagnostizierten. Der Vater musste mit ansehen, wie die Umwelt seinen Sohn ausschließen wollte, wie Frederik nicht mehr am normalen Leben teilnehmen sollte. In die Förderschule wollte man ihn stecken. Mit viel Kraftaufwand wehrten sich die Eltern und erreichten, dass ihr Junge die Grundschule besuchen konnte. Als er fünf Jahre alt war, hatten Ärzte die Krankheit bei dem Jungen festgestellt und gaben ihm nur wenige Jahre zu leben.

Dieses Schicksal hat Klaus Buhmann dazu angetrieben, sich für die Rechte der Menschen mit Behinderung einzusetzen. Dank seines Engagements wird jetzt ein Aktionsplan „Lebenswertes Tostedt“ in Anlehnung an die UN-Behindertenrechtskonvention in der Gemeinde Tostedt erarbeitet. Studierende der Fachhochschule Lübeck sind daran beteiligt.

Klaus Buhmann hat den Kontakt zur Fachhochschule hergestellt und Ulrich van Triel, den Lehrbeauftragten für Barrierefreies Bauen, dafür gewinnen können.

In einem ersten Workshop haben die Studierenden erarbeitet, wie sie vorgehen werden. In den nächsten Wochen wollen sie sich einen Eindruck verschaffen, welche öffentlichen Gebäuden sowie Häuser, die der Gemeinde und der Samtgemeinde gehören, in Sachen Barrierefreiheit keine Wünsche offen lassen und wo es noch hapert. Die Studierenden schauen sich unter anderem Rathaus, Bürgerbüro, Bücherei, Amtsgericht und Jugendzentrum in Tostedt an.

Basierend auf diesen Eindrücken erstellen die Fachhochschüler aus Lübeck gemeinsam mit dem Lehrbeauftragten und der Gemeinde Tostedt eine Prioritätenliste mit kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen. Ulrich van Triel ist klar, wie eng gesteckt der finanzielle Rahmen der Gemeinden ist. „Das sind dann solche Maßnahmen, die mit wenig Geld umgesetzt werden können“, sagt er. Der Dozent rechnet damit, dass das Projekt bis zum Sommer 2015 dauert. Vielleicht wird der Aktionsplan „Lebenswertes Tostedt“ dann noch auf öffentliche Straßen, Wege und Plätze ausgedehnt. In einem weiteren Schritt könnten öffentlich zugängliche Gebäude, die sich im Privateigentum befinden, wie beispielsweise Einzelhandelsgeschäfte, Banken und Gaststätten auf Barrierefreiheit geprüft werden.

Klaus Buhmann weiß, wie die Gebäude eigentlich gestaltet sein sollten, damit sich darin auch Menschen mit Behinderung frei bewegen können. 20 Jahre lang hat er an den ersten internationalen Normen für barrierefreies Bauen gearbeitet. Als technischer Aufsichtsbeamter bei der Berufsgenossenschaft hat er dafür gesorgt, dass Mitarbeiter nach einem schweren Unfall wieder ihrer Arbeit nachgehen konnten. Arbeit und Arbeitsplatz wurden so umgestaltet, dass Menschen wieder in den Betrieb eingegliedert werden konnten.

Er hatte Kontakt zum inzwischen verstorbenen Professor Dieter Philippen, der so etwas wie der Papst des Barrierefreien Bauens ist, und teilt dessen Philosophie: „Ganz gleich, welche Behinderung Menschen haben, sie haben die gleichen Rechte und Pflichten wie andere Menschen auch.“ Buhmann: „Das heißt, wenn ich barrierefrei gestalte, profitieren alle davon, sowohl der Rollstuhlfahrer als auch die Mutter mit dem Kinderwagen“, sagt er. Jeder soll also das tun und lassen können, was er will.

Doch in der Praxis funktioniert das nicht ganz. Es scheitert an ganz banalen Dingen, etwa an einer Stufe, die Rollstuhlfahrer daran hindert, in ein Geschäft zu gelangen. Das ärgert Klaus Buhmann maßlos. „Die Gebäude werden immer noch nur für Otto-Normal-Verbraucher errichtet" sagt Buhmann. „Wenn etwas für Menschen mit Behinderung getan wird, dann meistens erst später“, kritisiert er. Und das sei meistens teuer.

Einen Aufzug gleich ins Gebäude einzubauen statt später einen teuren Treppenlift zu integrieren, sei deutlich günstiger, ist er überzeugt. Buhmann hätte es lieber, dass die Gebäude von vornherein barrierefrei gestaltet werden. Jetzt will er mit dem Aktionsplan wenigstens in der Gemeinde, in der er wohnt, für Barrierefreiheit sorgen. „Damit machen wir Tostedt nicht behindertengerecht, sondern lebenswert für alle!“, sagt er.

Besonders gefreut hat Klaus Buhmann, dass seine Idee sowohl vom Rat als auch von der Verwaltung wohlwollend aufgegriffen wurde. „Das hätte ich nie für möglich gehalten und war sehr überrascht“, sagt er. Erst seit anderthalb Jahren sitzt er für die SPD im Gemeinderat. Klaus Buhmann agiert nach dem Motto „Machen lässt sich alles, man muss es nur wollen“, und das hat offenbar alle anderen Mitglieder im Rat der Gemeinde Tostedt überzeugt.

Ihren Sohn Frederik haben Klaus und Sigrid Buhmann ganz normal am Leben teilnehmen lassen wie seine zwei jüngeren Brüder auch. Frederik besuchte die weiterführende Orientierungsstufe und die Hauptschule. Entgegen aller medizinischen Prognosen wurde er am Ende 19 Jahre alt.