Die Harburger Szene entwickelte sich im Jahr 2014 prächtig und will da anknüpfen und weitermachen. Nur wenige Wolken am Horizont zu sehen

Harburg/Wilhelmsburg/Finkenwerder. „Südlich der Elbe ist doch nichts los“ heißt es in der Mutterstadt immer wieder. Statt nun beschämt ob der Szene-Highlights von Farmsen, Rissen oder Langenhorn den Kopf hängen zu lassen, kann man ihn hier im Süden eigentlich nur den Kopf schütteln und ausgehen. Wer sich hier erholt, hat selber Schuld – und trotzdem auch dazu Gelegenheit. Was Harburg 2014 lebenswert machte und auch 2015 lebenswert machen wird, ist die Mischung: vielfältige Szene einerseits, geschützte Natur direkt vor der Haustür andererseits. Beide Lebensqualitätsaspekte werden sich in diesem Jahr qualitativ eher steigen als abbauen, auch wenn sich einiges wohl radikal anders darstellt, als noch im Vorjahr.

Besonders zwei der drei großen Harburger Sommer-Feste müssen wohl anders planen, als sich die Veranstalter dies gedacht haben. Weil das Elend in der Welt nicht weniger wird, reißen auch die Flüchtlingsströme nicht ab. Daher ist nicht davon auszugehen, dass die Flüchtlingsunterkunft auf dem Schwarzenberg bis zum Harburger Vogelschießen Mitte Juni wieder abgebaut werden kann. Die Schützengilde denkt darüber nach, das Fest auf den Rathausplatz zu verlegen. Wegen der vielen Anwohner müsste es dann wohl etwas weniger rummelig ausfallen. Auch das Binnenhafenfest muss wohl etwas anders planen: Am Kanalplatz, dem Sitz der KulturWerkstatt und sonst Zentrum der Feierlichkeiten, liegt nun das Wohnschiff „Transit 2“ als Flüchtlingsunterkunft und muss – in welcher Form auch immer – eingeplant werden. Außerdem plante das Harburger Baudezernat, während der Festivitäten große Bauteile für die neue Drehbrücke auf dem Kanalplatz zu lagern. Gut möglich, dass das Fest komplett auf der anderen Seite des Hafenbeckens, am Lotsekai, stattfindet. Gut möglich andererseits, dass die Bewohner der „Transit 2“ aktiv ins Fest mit einbezogen werden. Es gibt bereits eine Gruppe von Binnenhafenaktivisten, die den Flüchtlingen im Hafen helfen wollen. Auch diese gelebte Willkommenskultur ist ein Harburger Trend aus dem letzten Jahr, der sich 2015 wohl fortsetzt. Schon am Schwarzenberg und an der alten Post kümmern sich Freiwillige um die Neuankömmlingen und die Schützengilde bezog die neuen Bewohner ihres Stammfestplatzes schon beim Laternenumzug mit ein.

Lediglich das Außenmühlenfest ist nicht von Flüchtlingsunterbringung betroffen. Es findet vom 7. bis zum 9. August statt und hat sich 2014 so erfolgreich auf alte Stärken zurückbesonnen, dass die Veranstalter so auch weitermachen wollen: Mehr Harburg auf dem Fest, um ihm so einen eigenen Charakter zurückzugeben.

Dabei hilft auch die vielfältige Harburger Clubszene: Bei der Buchung für die Harburg-Bühne hilft Heimo Rademaker von Marias Ballroom fleißig mit. Er selbst hat seinen Ballroom im April komplett selbst übernommen, nachdem er ihn zwei Jahre lang als Untermieter der Gaststätte „Bei Maria“ betrieben hatte. Rademaker und seine Leute hübschten den Club ordentlich auf, eröffneten ihn im Frühjahr neu und bieten jetzt auch unter der Woche Live-Musik an: Vorn im Gastraum, der nun „Lounge“ heißt, steht extra für die Werktagsmusik eine Mini-Bühne zur Verfügung.

Seine Kontakte zur Musikerszene stellt Rademaker neben dem Außenmühlenfest auch anderen Lokalen zur Verfügung, so dass sich im Laufe des Jahres auch das Café Central und die Gaststätte Blablazu dauerhaften Live-Clubs entwickeln können. Bei der Südkultur Music Night und beim ersten Seeve-Kneipen-Rockfestival feierten die beiden Gaststätten Premiere als Live-Musik-Veranstalter.

Das Seeve-Kneipen-Rockfestival fand 2014 zum ersten Mal statt. Jörn Hansen, Chef des Rieckhofs, hatte die Idee, vier weitere Kneipen zogen mit. Eine Fortsetzung ist fest geplant. Auch das Seeve-Rockfestival für Harburger Bands auf der großen Rieckhof-Bühne, das Hansen 2013 zum ersten Mal und eigentlich nur als Versuch veranstaltete, ist über das letzte Jahr schon zur festen Institution geworden.

Highlight für die Harburger Pistengänger war in den letzten Jahren die Südkultur-Music-Night am letzten Sonnabend im September, zu der alle Livemusik-Clubs südlich der Elbe und auch Veranstalter, die sonst nicht regelmäßig Konzerte anbieten, gleichzeitig einladen. 15 Veranstaltungsorte zeigten 2014 32 Bands oder Solo-Künstler. Dass das im Jahr 2015 wieder so sein wird, ist wahrscheinlich, aber nicht sicher: „Die Treffen der Clubbetreiber sind ein wenig eingeschlafen“, sagt Heimo Rademaker. „Da müssen wir wohl etwas aus dem Quark kommen, wenn das in diesem Jahr etwas werden soll.“

Die Macher von 48 Stunden Wilhelmsburg sind da schon weiter in ihrer Planung. Das Marathon-Kulturfestival der Elbinsel findet vom 12. bis zum 14. Juni statt.

Auch die Festivals, die draußen stattfinden, haben sich im letzten Jahr erstens etabliert und zweitens Zuwachs bekommen. Da ist zunächst einmal das Dickschiff Dockville vom 21. bis zum 23. August, das mittlerweile Besucher aus ganz Deutschland anzieht. Da sind andereseits die örtlichen Festivals. Keine Knete trotzdem Fete ist definitiv wieder geplant. „Nur der Termin ist noch nicht ganz sicher“, sagt Julius Detlefsen vom Organisationskollektiv, „entweder das letzte Wochenende im Juli oder das erste im August.“ Das Musikfestival der Alternativen und Anarcho-Szene für alle Harburger ist einer der Beweise dafür, wie bunt Harburg erstens ist, und dass es zweitens nicht das Ende einer Veranstaltung bedeutet, wenn sie sich ändern muss. Seit das Festival wegen der Beschwerden einiger Stadtparkanwohner nach Bostelbek ausweichen musste, hat es sich dort nicht nur etabliert sondern ist auch kräftig gewachsen. Das Bostelbeker Gelände, das der Heavy-Metal-Fan-Club Tipsy Apes den Festivalmachern für ihr Wochenende zur Verfügung stellt, bietet letztlich mehr Möglichkeiten als die Freilichtbühne.

Zuwachs hat die Festival-Landschaft in Finkenwerder bekommen. Die Kulturflut fand 2014 zum ersten Mal statt. Eine Wiederholung im Herbst 2015 ist fest geplant. In Finkenwerder etabliert ist dagegen das Tidenhub-Festival.Es wird 2015 vom 3. bis zum 56. Juli stattfinden. Als Konkurrenz sehen die Tidenhub-Macher das neue Festival nicht: „Erstens findet die Kulturflut im Herbst statt und nicht im Sommer, wie unser Festival“, sagt Tidenhuber Jan Rieck, „und zweitens unterscheidet sich deren Programm stark von unserem. Wir setzen sehr auf zeitgenössische Rockmusik und wollen gleichzeitig dem Finkenwerder Nachwuchs eine Chance geben.“

Ungewissheit für das nächste Jahr gibt es allerdings für zwei beliebte Ausgeh-Ziele: Das Stellwerk und den Beach-Club. Der Beach-Club soll in diesem Jahr eigentlich von seinem Gelände am Veritaskai auf das Gelände hinter der Fischhalle am Kanalplatz umziehen, damit am Veritaskai ein Hotel entstehen kann. Dagegen hatten Harburger Beach-Club-Freunde Unterschriften gesammelt und im Harburger Rathaus eingereicht. Gleichzeitig entzog der Hamburger Senat dem Bezirk das Planverfahren und machte das Bürgerbegehren damit obsolet. Andererseits ist bislang kein Investor bekannt. Und seit feststeht, dass das Wohnschiff in unmittelbarer Nähe liegen wird, sollen schon einige Investitionspläne für den Binnenhafen auf Eis gelegt worden sein. Bei der Geldanlage hört die Willkommenskultur anscheinend auf. „Wir wollen im April auf alle Fälle öffnen“, sagt Luna Tonnhofer, von der Konzernmutter des Beach-Clubs, der Hornbachers Freizeit-Vertriebs-GmbH, „wir können aber noch nicht sicher sagen, ob es klappt und wenn ja, wo.“

Auch das Stellwerk macht Sorgen: Weil sich Beamte der benachbarten Bahnpolizei durch Techno und HipHop bei der Arbeit gestört fühlten, gab es Ärger im Bahnhof. Dem Musikclub wurde die Lautstärke untersagt. Kurzfristig sah es so aus, als würde das Stellwerk ganz schließen. Jetzt wird mit einer Konzeptänderung weitergemacht: Leisere Veranstaltungen, wie Dichterwettbewerbe, Filmabende und Märkte sollen den großen Saal füllen. Lautere Veranstaltungen sollen in die weniger konfliktträchtigen Hinterräume des Clubs auswandern. Ob sich das trägt, ist noch offen. Anlass zum Mutschöpfen ist allerdings, dass mit Carsten Schölermann eine Hamburger Clublegende Geschäftsführer des Stellwerks wird. Schölermann ist auch Chef des „Knust“.

Letztlich ist sogar die Shopping-Landschaft in Harburg wieder bunter geworden. Dazu tragen nicht zuletzt die beiden Pop-up-Stores bei, die kurz nacheinander die Harburger Altstadt belebten.

Unterm Strich: Auch 2015 wird bunt und rockt. Nur die Freilichtbühne nicht. Die wird schlafen gelegt.