Beim Super Zokker Day im Harburger „Stellwerk“ schwelgen Videospielnostalgiker in Kindheitserinnerungen

Etwas zu klein und etwas zu dick ist er geraten. Und in blauer Latzhose, rotem Hemd und roter Kappe sieht er auch nicht wirklich cool aus. Trotzdem gilt Mario als die bekannteste Videospielfigur der Welt. Der italo-amerikanische Klempner hat sozusagen die Computerspielwelt aufgebaut. Alle zwei Monate huldigen im Harburger „Stellwerk“ mehr als 50 Gamer der weltweiten Alltagsikone und anderen grobpixeligen Figuren aus der Gründerzeit des Videospiels. „Super Zokker Day“ nennt sich das Retro-Konsolen-Treffen.

Junge Erwachsene, meist Mitte 20 bis 30 Jahre alt, sitzen im kinoähnlichen Halbdunkel auf Sofas und bearbeiten mit flinken Fingern eine handflächengroße Spielkonsole. PlayStation, Xbox classic oder Nintendo – jeder Gamer spielt auf seiner Lieblingskonsole, die ihn an seine Kindheit irgendwann in den 1990er-Jahren erinnert. Beim Super Zokker Day darf jeder noch einmal Kind sein – und diese Erinnerung zelebrieren die Teilnehmer gemeinsam mit einer Feier.

Die jüngste Spielkonsole stammt aus 2002. Dieses Jahr gilt als der Zeitpunkt, an dem das Computerspiel seine soziale Unschuld verlor. Gamer versammelten sich nicht mehr physisch vor der Röhre, sondern traten – jeder für sich allein – über Internetverbindungen in Kontakt. Retro-Gamer dagegen lieben es, mit ihren Freunden zusammen auf der Couch zu hocken. Sie schließen sich nicht alleine ein und werden asozial.

„Hier geht es um das Gemeinschaftsgefühl“, erklärt Vivien Dehn. Den Retro-Gamer zeichne aus, dass keiner gerne gegen den Computer spiele. Die 24 Jahre alte Erzieherin veranstaltet gemeinsam mit ihrem Freund Kevin Barcelona den Super Zokker Day. Der 26 Jahre alte Auszubildende zum Veranstaltungstechniker hat sich eine Tätowierung auf den Unterarm stechen lassen, die eine Spielszene mit Super Mario zeigt. Sechs Stunden habe das gedauert – mehr Ikonenverkehrung geht kaum.

Retro-Gamer schließen sich nicht ein und werden nicht asozial

Vivien Dehn spricht bewusst nicht von einer Szene. Die Retro-Gamer würden vielmehr eine Gemeinschaft bilden, sagt sie. Anders als die sogenannten LAN-Partys haben sich Retro-Konsolen-Treffen nicht zu einem Massenphänomen entwickelt. Die Gemeinschaft ist familiär geblieben. Der Super Zokker Day im „Stellwerk“ genießt ein Alleinstellungsmerkmal. Gäste kommen sogar aus Kiel oder Hannover. „Wir sind froh, dass das Stellwerk den Mut hat, neues Kulturelles auszuprobieren und uns die Gelegenheit dazu gibt“, sagt die Super-Zokker-Day-Veranstalterin.

Stylisch flache Bildschirmästhetik ist bei den Retro-Gamern verpönt. Insgesamt 13 klobige, mit knalliger Farbe besprühte Röhrenfernseher stehen vor Sofas – ein bisschen so, wie 13 Nachbildungen von Jugendzimmer-Sitzecken aus den 1990er-Jahren. Über Ebay-Kleinanzeigen sind Vivien Dehn und Kevin Barcelona zu ihrer Röhrensammlung gekommen. Geschenkt haben sie die Geräte bekommen. Nur abholen mussten sie die alten Fernseher aus den Kellern.

Während die Spieler in den Sitzecken unter sich bleiben, messen sich Gamer für alle sichtbar auf einer großen Leinwand in Wettbewerben. „Wer früher in seinem Kinderzimmer richtig gut war, kann sich hier in dem Turnier beweisen“, nennt Kevin Barcelona einen weiteren Grund, was Gamer am Super Zokker Day fasziniert. Nur vor der Turnier-Leinwand ertönt der typische Klingeln und Piepsen. Vor den Röhren ist der Ton still gestellt. Das infernalische Durcheinander archaischer Klingeltöne im Saal wäre sonst unerträglich.

Die Preise für die Computerspiel-Antiquitäten steigen jedes Jahr an

Zwei Gamer sitzen auf der roten Ledercouch vor der Leinwand und messen sich bei „Bomberman“. Bei dem labyrinthartig aufgebauten Computerspiel geht es darum, sich an Mauern vorbei den Weg frei und am Ende den Kontrahenten weg zu sprengen. „Stumpf ist manchmal Trumpf“, erklärt Kevin Barcelona den Reiz des Spiels, das so schön entspannt. Der Sieger erhält später eine Urkunde – wie damals bei den Bundesjugendspielen. Kevin Barcelona setzt die Unterschrift darunter, weil er die schönste Handschrift hat.

Bomberman, The Legend of Zelda, FIFA (hier noch mit gesichtslosen, grobmotorigen Kickern) und natürlich Mario Kart – mehr als 200 Spiele für Retro-Konsolen liegen auf dem Ausleihtisch. Sie gibt es längst nur noch im Secondhandhandel. Mit jedem Jahr stiegen die Preise für die Computerspiel-Antiquitäten, sagt Vivien Dehn. Viele Gamer würden lediglich fünf Spiele aus ihrer Kindheit kennen. Beim Super Zokker Day können Gamer Spiele entdecken, die in ihrer Kindheit unerreichbar schienen.

Das Charmante ist, dass die Retro-Spiele niemanden in die Pleite treiben. Das System „Pay to Win“, also dass Spieler sich eine bessere Ausgangsposition erkaufen können, ist ihnen fremd.

Was macht eigentlich einen guten Spieler aus, wenn es darum geht, im Wettbewerb über Schluchten zu springen oder Bomben zu legen? „Koordination und Variation“, sagt Vivien Dehn. Wer in der Lage ist, an der Konsole mehr Tastenkombinationen zu drücken, ist im Vorteil, kann etwa eine „Special Attack“ fahren. Bei Bomberman müsse der Gamer im richtigen Augenblick auch mal still halten können – sonst droht er, seine eigene Spielfigur selbst wegzusprengen.

Ursprünglich war der Super Zokker Tag eine Nacht. Aber die erwachsen gewordenen Videospielnostalgiker wollten gar nicht bis drei Uhr nachts vor der Röhre sitzen. Und so wecken die Gastgeber Vivien Dehn und Kevin Barcelona ihre Mitspieler sanft um gegen 23 Uhr aus ihrem Kindheitsträumen mit dem freundlichen Hinweis, doch kein mehr so langes Spiel anzufangen.