Die Unterbringung der Flüchtlinge entwickelt sich 2014 zum zentralen Problem für den Bezirk Harburg

Harburg. Kaum ein Thema hat den Bezirk Harburg im Jahr 2014 mehr beschäftigt, als das Thema Flüchtlinge und ihre Unterbringung. Das wird sich auch im Jahr 2015 nicht ändern. Denn die Flüchtlingsströme werden nicht versiegen – jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Teil 3 unserer Serie zum Jahreswechsel.

„Ich habe zwar keine Glaskugel. Aber man muss nur die Tagesschau ansehen, um zu verstehen, dass in absehbarer Zukunft die Konflikte und Krisen weltweit nicht abnehmen werden – im Gegenteil“, sagt der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Sören Schumacher aus Harburg. Schumacher ist Vorsitzender der Hamburger Härtefallkommission und Fachsprecher des Eingabeausschusses in der SPD-Bürgerschaftsfraktion.

Zum Jahresanfang kamen 200 bis 300 Menschen im Monat nach Hamburg, um hier Asyl vor Krieg, Hunger und politischer Verfolgung zu suchen. Im Sommer waren es im Durchschnitt 500 Flüchtlinge pro Monat, und zum Ende hin stieg die Zahl auf rund 750 Menschen im Monat. Der massive Anstieg der Flüchtlingszahlen stellte die Bezirke und die Fachbehörden vor große Aufgaben. Es mussten schnell geeignete Gebäude und Flächen für das Aufstellen von Containern gefunden werden, um den Menschen ein Dach über dem Kopf bieten zu können. Auch der Bezirk Harburg musste geeignete Flächen liefern. Weder die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI), zuständig für die Folgeunterbringung von Flüchtlingen, noch der Bezirk Harburg haben sich dabei im vergangenen Jahr nur mit Ruhm bekleckert.

„Bei allem, was schief gelaufen ist“, resümiert der SPD-Politiker Schumacher, „haben wir es doch geschafft, dass kein Flüchtling im Winter im Zelt übernachten muss.“ Ein Kritikpunkt vieler Harburger: die späte Bürgerbeteiligung durch die Behörden bei der Auswahl der Flächen für die Flüchtlingsunterbringung. Mitte Februar sehen Anwohner, dass auf einer rund 5300 Quadratmeter großen Fläche Am Radeland Bäume gefällt werden. Die Bostelbeker Siedler nennen die Fläche Pferdewiese. Erst Wochen später erfahren die Bostelbeker, dass die BASFI hier Container für mehr als 200 Flüchtlinge aufstellen will. Sie gründen über Nacht eine Bürgerinitiative und fordern mehr Transparenz.

In mehreren Info-Abenden versuchen Vertreter der BASFI und des Harburger Bezirksamtes die Wogen vor Ort zu glätten. Die Anwohner fühlen sich überrannt. Sie stellen sich zwar nicht generell dagegen, dass hier Flüchtlinge untergebracht werden sollen, aber die hohe Anzahl erscheint ihnen nicht sozialverträglich. Auch die Harburger SPD gerät unter Beschuss, immerhin ist es ihr Senat, der diese Entscheidungen hinter verschlossenen Türen fällt. In einer Info-Veranstaltung im Hit-Technopark in Bostelbek muss der zuständige Mitarbeiter von fördern & wohnen, Betreiber der Flüchtlingsunterkünfte in Hamburg, zugeben, dass die Bäume ohne Genehmigung, also illegal gefällt wurden. Am Ende versucht Hamburgs Erster Bürgermeister, Olaf Scholz (SPD), bei den Bostelbekern gut Wetter für die BASFI-Pläne zu machen.

„In Bostelbek ist in der Tat so ziemlich alles schief gelaufen, was schief laufen konnte. Das einzige, was wir wirklich erreichen konnten, war, dass statt der avisierten 216 nur noch 168 Flüchtlinge in die Bostelbeker Unterkunft einziehen werden“, räumt Harburgs SPD-Fraktionsschef Jürgen Heimath mehrfach ein. Und dann verkündet die BASFI, das Flüchtlingsdorf werde erst im August 2015 ausgebaut. Die Bezirksabgeordneten jeder politischen Couleur werfen der BASFI Planlosigkeit und gar Unfähigkeit in Sachen Unterbringung von Flüchtlingen vor.

Die Fachbehörde ihrerseits beruft sich auf das komplizierte und langwierige Baugenehmigungsverfahren im Hamburger Baugesetz. Sie schiebt den schwarzen Peter dem Bezirk zu, der nicht schnell genug ausreichende Flächen liefere. Die Flüchtlingszahlen steigen und damit auch der Druck auf Bezirk, BASFI und Innenbehörde. Sie ist zuständig für die Erstunterbringung der Flüchtlinge. In manchen Nächten stehen nahezu 100 Menschen vor der Notaufnahme der Zentralen Erstaufnahme (ZEA) an der Poststraße in Harburg.

Auch die Innenbehörde scheint nicht viel von Transparenz zu halten. Offiziell heißt es, in Harburg werde lediglich eine Erstaufnahme in dem ehemaligen Postgebäude eingerichtet. Erst bei der offiziellen Eröffnung am 4. Juni 2014 geben Vertreter der Innenbehörde bekannt: Dies wird die neue Zentrale Erstaufnahme für Hamburg. Das Gebäude wird für etwa 250 Flüchtlinge umgebaut. Betreiber ist fördern & wohnen. Binnen weniger Wochen ist die ZEA in Harburg bis zum letzten Platz besetzt. Immer wieder gerät die städtische Gesellschaft fördern & wohnen in die öffentliche Kritik wegen der „chaotischen Zustände“. Die Fraktion Die Linke in der Harburger Bezirksversammlung bemängelt, es gebe zu wenige Sachbearbeiter für die Flüchtlinge. „Die Kantine hat feste Öffnungszeiten. Es ist den Menschen verboten, Lebensmittel mit in die Zimmer zu nehmen. Das ist menschenunwürdig, zumal Moslems, die fasten, erst nach Einbruch der Dunkelheit essen können“, kritisiert Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus.

Täglich kommen bis zu 50 Flüchtlinge zur ZEA. Ende August ist die Einrichtung vollends ausgelastet. Fördern & wohnen setzt mehr Mitarbeiter ein. Geschäftsführer Dr. Rembert Vaerst spricht jetzt davon, dass sich die Zustände in der ZEA normalisiert hätten, trotz des großen Ansturms. „Wir haben nachgebessert“, sagt er. Das ändert aber nichts an den Platzproblemen, immer mehr Flüchtlinge kommen nach Harburg. Per Polizeirecht beschließt die Innenbehörde, ohne Anhörung der Bezirksversammlung, Zelte auf dem Neuländer Platz aufzustellen. Auch die Bezirksverwaltung wird nicht gefragt. Wieder werden den Harburgern in einer Nacht- und Nebelaktion Unterkünfte vor die Nase gestellt. „Weil die BASFI nicht hinterher kommt mit der Schaffung von Plätzen in der Folgeunterbringung haben wir das Problem, dass die Menschen nicht wie vorgesehen nach drei Monaten aus unseren Einrichtungen ausziehen können, sondern weit länger bei uns bleiben“, sagt Innenbehörden-Sprecher Frank Reschreiter. Der schwarze Peter liegt wieder bei der BASFI.

Der Flüchtlingsdruck wird immer größer. Die Entscheidungsträger in den zuständigen Behörden stehen mit dem Rücken zur Wand. Sie fordern die Bezirke auf, jede nur erdenkliche Fläche für das Aufstellen von Container zu melden, auch Flächen und Gebäude in Privatbesitz sollen gemeldet werden. In Harburg sind zeitweise bis zu 24 potenzielle Flächen im Gespräch. Aber die Flächen in einem Stadtstaat wie Hamburg sind endlich. Die BASFI bringt das Thema Flüchtlingsschiff ins Gespräch. Acht Jahre nachdem das letzte Flüchtlingsschiff, die „Bibi Challenger“ aus Altona verholt wurde, soll nun wieder ein Flüchtlingsschiff nach Hamburg kommen. Die „Transit“ soll am Kanalplatz festmachen. Sie wird fünf Jahre lang etwas mehr als 200 Menschen als Flüchtlingsunterkunft dienen. Auch bei dieser Entscheidung beruft sich die BASFI auf das Polizeirecht. Der Bezirk wird wieder nicht gefragt. Bei aller Kritik gegen den Standort formiert sich im Binnenhafen eine Gruppe von Menschen, die „die neuen Nachbarn“ im Januar 2015 willkommen heißen und sich für die Flüchtlinge engagieren wollen. Insgesamt ist die Hilfsbereitschaft der Harburger gegenüber den Flüchtlingen ungebrochen groß.

„Ich bin positiv überrascht davon, wie die Harburger die Menschen hier aufnehmen und von der Hilfsbereitschaft. Und ich wünsche mir, dass das auch im nächsten Jahr so bleiben wird. Das ist einfach toll. Wir werden in 2015 weitere Flächen brauchen. Dazu zähle ich natürlich auch die Fläche am Sinstorfer Kirchweg“, sagt Sören Schumacher. Hier hätten rund 400 Flüchtlinge Platz. 2015, so der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete, müsse es auch darum gehen, an der Qualität der Unterbringung zu arbeiten. Die Situation in den Erstaufnahmen, davon geht Sören Schumacher aus, werde sich entspannen. Ein Grund dafür: 2015 würden mehr Plätze in der Folgeunterbringung fertig. Am 31. März 2015 werde das Containerdorf auf dem Schwarzenberg abgebaut. „Das Versprechen von BASFI-Staatsrat Jan Pörksen mir gegenüber steht im Raum und ist inzwischen mehrfach wiederholt worden. Darauf verlasse ich mich“, sagt Sören Schumacher. Kaum einer der Verantwortlichen in Hamburg geht davon aus, dass die Zahlen der Flüchtlinge, die jeden Monat um Asyl bitten, die 700-Marke im kommenden Jahr unterschreiten. Vom Tisch sind auch noch nicht die beiden Pontons mit Containern für Flüchtlinge, die in den Binnenhafen geschleppt werden sollen. Und die BASFI berät nach wie vor über die Anmietung weiterer Flüchtlingsschiffe.