Die Politik im Bezirk Harburg war 2014 geprägt von Intrigen und dem großen Stühlerücken nach der Wahl zur Bezirksversammlung

Harburg. Es war ein Jahr des politischen Erdbebens im Hamburger Bezirk Harburg. Die Wahlen zu den Bezirksversammlungen erbrachten im Süden der Hansestadt die erste Große Koalition im Harburger Rathaus. Und eine Rebellengruppe sorgte anschließend stadtweit für weitere politische Erschütterungen. Teil 2 unseres großes Jahresrückblicks zwischen den Feiertagen.

Sollte der Ausgang der hiesigen Bezirkswahl im Mai dieses Jahres zur Blaupause für die Bürgerschaftswahl Mitte Februar 2015 werden, dann ist es um die absolute Mehrheit der SPD schlecht bestellt. Nachdem die Harburger Genossen eine Legislaturperiode lang allein das Zepter schwingen durften, müssen sie sich die Macht nun mit der CDU teilen. Doch nicht nur deshalb schauen Hamburgs SPD-Granden mit Sorge nach Süden. Denn von dort droht noch eine andere Gefahr. Und die heißt Neue Liberale.

Womit wir gleich beim absoluten Novum in der Geschichte des Harburger Feierabendparlaments wären. Denn dort hielt nur fünf Monate nach der Bezirkswahl mit den Neuen Liberalen eine siebte Partei Einzug, die überhaupt nicht zur Wahl gestanden hatte. Was von führenden Vertretern der bisher vertretenen Parteien wahlweise als „undemokratisch“, „moralisch nicht vertretbar“ oder „schlecht inszeniert“ bezeichnet wurde.

Allein, alles Greinen half nichts. Im Grundgesetz steht, dass Abgeordnete an Aufträge und Weisungen einer Partei nicht gebunden, sondern nur ihrem Gewissen verpflichtet sind. Und das hatte Barbara Lewy und Anna-Lena Bahl von der SPD sowie Kay Wolkau und Isabel Wiest von den Grünen in die Arme der Neuen Liberalen geführt. Dort waren sie so herzlich aufgenommen worden, dass Ihnen auch gleich Topplätze auf der Landesliste für die Bürgerschaftswahl zuteil wurden. Isabel Wiest grüßt gar von Platz eins. Was Harburgs Grüne in gewisser Weise sogar freut. Denn wenn den Neuen Liberalen tatsächlich der Einzug in die Bürgerschaft gelingt, fiele Wiests Bezirksmandat zurück an die Grünen, sollte sie es nicht parallel wahrnehmen.

Auch sonst gaben sich die Grünen trotz des personellen Aderlasses erstaunlich gelassen. Fraktionschefin Britta Herrmann deutete den Schrumpfungsprozess gar in eine Frischzellenkur um. Nach dem Abgang Wolkaus gebe es keine Konkurrenzsituation mehr, das Konfliktpotenzial sei weg: „Wir sind jetzt ein starkes, geschlossenes Team mit viel Kompetenz, das sich wieder geschlossen auf die sachorientierte, kritische Oppositionsarbeit konzentriert“, ließ sie wissen.

Doch zurück zur ebenfalls gestutzten SPD-Fraktion. Bereits bei der Bezirkswahl hatte sie nach beispiellosen Grabenkämpfen im Vorfeld satte sechs Mandate verloren. Wer nun aber glaubte, der Schock über das Wählervotum wäre heilsam gewesen, irrte gewaltig. Kaum mit zwei blauen Augen davongekommen, zündelte die „innerparteiliche Opposition“ um den Bürgerschaftsabgeordneten Matthias Czech, den früheren Fraktionsvize Muammer Kazanci und den ehemaligen Bezirksamtsleiter und Ex-Fraktionschef Michael Ulrich fröhlich weiter. Der aktuelle Fraktionschef, Jürgen Heimath, der für Harburgs Sozialdemokraten einmal mehr die meisten Personenstimmen geholt hatte, sollte für das Wahldesaster büßen.

Auf einer Berlin-Tour für „verdiente Wahlhelfer“ des SPD-Bundestagsabgeordneten Metin Hakverdi, wurde Arend Wiese als Heimath-Nachfolger ausgeklüngelt. Allerdings hatten die Umstürzler die Rechnung ohne Wieses Kollegen vom einflussreichen Süderelbe-Distrikt Neugraben-Fischbek gemacht. Etliche sprachen ihm jegliche Eignung für den schwierigen Job ab. Und erinnerten ihn auch daran, dass er nicht mal seinen eigenen Wahlkreis 8 gewinnen konnte. Deutliche 732 Stimmen hatte er hinter Siegerin Brit-Meike Fischer-Pinz von der CDU gelegen, die hier erstmals überhaupt kandidierte.

Apropos CDU. Noch in der vergangenen Legislaturperiode hatte CDU-Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer, der Vater von Fraktionsnovizin Brit-Meike, keine Gelegenheit ausgelassen, gegen den „monolithischen Block“ der SPD zu wettern, der so viele gute Anträge und Ideen der Opposition zermalmt und beerdigt habe. Als die Genossen nach der geschwundenen Wählergunst nun aber dringend einen Juniorpartner brauchten, machte Fischer die Türen flugs weit auf. Und wurde damit gleichsam zum Fusionskatalysator eines neuen Monolithen, der Harburger GroKo. Einige sprechen beharrlich auch von „das GroKo“(dil). Weil, wie gehabt, nicht genehme Vorstöße der kleineren Fraktionen wohl auch künftig gnadenlos weggebissen werden. Nun aber mit dem stimmgewaltigen Votum von SPD und CDU.

Den Koalitionsvertrag interpretierten übrigens beide Parteien als großen Erfolg für sich. Weil er ja „ganz deutlich“ die eigene Handschrift trage. Dass er von der weitgehend machtlosen Opposition fast durchweg als lückenhaft, unausgegoren, unkonkret und wachsweich kritisiert wurde, ficht die rot-schwarze GroKo nicht an. Schon gar nicht, wenn Widerrede von der FDP kommt. Die hatte im Mai mit nur noch zwei gewählten Abgeordneten sogar den Fraktionsstatus verloren, international aber für das meiste Aufsehen gesorgt.

In einer feierlichen Zeremonie erhielt der ehemalige Fraktionsvorsitzende Carsten Schuster am 10. Dezember in Brüssel den ALDE LeaDeR Award. Mit dem Preis zeichnet die Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) im Europäischen Parlament herausragende Persönlichkeiten in Europa aus, die sich mit außergewöhnlichem Engagement für liberale Werte auf regionaler Ebene stark machen. Schuster hatte mit großem persönlichen Einsatz die Aktion „Gelbe Karte für den HVV“ auf den Weg gebracht. Sie zeitigte nachhaltigen Erfolg: Die Diskussion und der daraus entstehende Druck auf den HVV mündeten letztlich in konkrete Veränderungen hinsichtlich der Streckenführung und der Taktung der Busse.

Verändert hat sich nicht zuletzt auch das Präsidium der Bezirksversammlung (BV). Es wirkte viele Jahre wie ein „Rat der weisen, alten Männer“. Deutlich jenseits der 60-Jahre-Marke alt zu sein, schien geradezu zum Anforderungsprofil für diese herausgehobene Position zu gehören. Deshalb fühlten sich die Christdemokraten dazu berufen, für frische Luft auf dem BV-Podium zu sorgen. Also wurde „Jungspund“ Robert Timmann, 33, nominiert. Was der altgediente Michael Hagedorn, 70, nach 44 Jahren Bezirkspolitik nachvollziehbarer Weise als Affront empfand. Und gleich mal auch sein errungenes Mandat niederlegte.

Horst Krämer (72/SPD), der andere Stellvertreter des BV-Vorsitzenden Manfred Schulz (66/SPD), hatte erst gar nicht wieder kandidiert. Und hätte im Falle seiner erneuten Wahl in die Bezirksversammlung ohnehin wieder im Parkett Platz nehmen müssen. Denn nach dem Verlust der absoluten (SPD-)Mehrheit steht der Posten des zweiten Stellvertreters nun den Grünen als (zwischenzeitlich mit sieben Abgeordneten) drittstärkster Fraktion zu. Sie hat mit Tülin Akkoc attraktive Frauenpower ins BV-Präsidium entsandt. Ein Akt, der sicher weit mehr als nur den Aufbruch alter Sehgewohnheiten bedeutet.